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Alkohol ist ein schlechter Angstkiller
Wenn die Seele schreit

von Harald Frohnwieser

„Angst essen Seele auf“, heißt der gleichnamige Film von Rainer Werner Fassbinder aus dem Jahr 1974, wobei sich der Titel auf ein afrikanisches Sprichwort bezieht. Und es stimmt, die Angst zerfrisst die Seele, nimmt ihr nach und nach die Substanz und lähmt. Wobei Angst nicht gleich Angst ist. Wohl jeder Mensch kennt jene Angst, die durchaus berechtigt ist: Die Angst, von einer Leiter zu stürzen, die Angst um den eigenen Arbeitsplatz nach einer Kündigungswelle im Betrieb, die Angst, einen geliebten, schwer kranken Menschen zu verlieren… Beispiele dafür gäbe es wohl genug. Doch da gibt es noch eine Angst, mit der man viel schwerer umgehen kann, die nicht greifbar ist und die in regelrechten Angstattacken Angst vor der Angstausarten kann. Viele Menschen glauben, dagegen zumindest kurzfristig eine Medizin gefunden zu haben: den Alkohol. Doch das Fatale dabei: Alkohol kann zwar die Angstzustände vorübergehend lindern, doch wer regelmäßig dagegen antrinkt, verstärkt seine Ängste um so mehr. Mit einem Wort: Alkohol ist ein schlechter Angstkiller, warnen die Experten.

„Bei mir haben die Panikattacken vor eineinhalb Jahren angefangen, nachdem ich eine ganze Silvesternacht durchgesoffen habe“, schreibt Gatyo in einem Forum, das Angst und Panik zum Thema hat. Gatyo berichtet weiter, dass seine Panikattacken unregelmäßig, meist jedoch in Stresssituation auftreten und sich in Herzdruck, Herzrasen, Druck im Kopf, Muskelzuckungen und Hyperventilieren äußern. „Ich war früher sehr sportlich und oft mit Freunden feiern, hatte eine Freundin. Jetzt hänge ich meistens zu Hause herum, denn durch sportliche Anstrengungen sind die Panikattacken noch schlimmer geworden“, teilt er mit und bittet die Leser des Forums um Rat.
Was einen Forumteilnehmer zu folgender Antwort veranlasst: „Ich leide auch unter Panikattacken und ich kann dir sagen, dass der Alkohol nicht unbedingt ein Auslöser ist, die Panikattacken aber verstärken kann“. Und weiter: „Alkohol ist ein beliebtes Anxiolytikum (Angstlöser, Anm.), da es in den Nerven- und Gehirnstoffwechsel eingreift und zunächst die Angst mindert. Schlimm wird es aber, wenn eine Alkoholgewöhnung eintritt. Denn eine Alkoholentwöhnung verstärkt die Angst- und Panikattacken und das kann echt die Hölle sein, ich habe lange Zeit den Alkohol als Angstlöser missbraucht und es wirklich bereut. Es kann Monate dauern, bis sich der Körper während der Alkoholentwöhnung wieder stabilisiert.“ Zum Schluss noch der Hinweis: „Alkohol und Panik passen nicht zusammen.“
Auch der Psychiater und Suchtexperte Primar Kurosch Yazdi vom Kepler Universitätsklinikums in Linz, Oberösterreich, warnt in einem Interview mit den Oberösterreichischen Nachrichten vor Alkohol als Angstlöser:Primar Kurosch Yazdi „Unausgeglichene, ängstliche Menschen sollten nicht versuchen, ihre Probleme mit Alkohol zu lösen. Ausgeglichene Menschen sollten ihr psychisches Wohlbefinden nicht dadurch riskieren, indem sie täglich eine geringe Menge Alkohol oder fallweise sehr viel Alkohol trinken.“
Alkohol beruhigt nur für kurze Zeit
Denn: Alkohol hat einen starken Einfluss auf das Gehirn, zerstört die Zellen und greift in das Zusammenwirken der Botenstoffe ein. Wobei der Botenstoff GABA (Gamma-Animobuttersäure) besonders sensibel auf den Alkohol reagiert. Dockt GABA an einer Nervenzelle im Gehirn an, dann erlahmt deren Aktivität, was eine beruhigendes Gefühl zur Folge hat. Alkohol verstärkt diesen Effekt und sorgt so für eine noch größere Beruhigung. Aber nur für kurze Zeit. Denn ein Gegenstück zum bremsenden GABA ist der Botenstoff Glutamat, der die Empfangsbereitschaft der Nervenzellen erhöht und somit ein Beschleuniger zwischen den Zellen ist. Der Alkohol aber bremst nur kurzfristig den Botenstoff GABA und erhöht hingegen die Aktivität von Glutamat. Deshalb warnen Psychiater vor dem täglichen Konsum von Alkohol, weil dadurch das Glutamat täglich aktiviert wird. „Das betrifft vor allem die Spiegeltrinker. Diese weisen sehr viel Glutamat auf und bekommen neurologische Probleme, wenn der Alkoholspiegel sinkt“, klärt Yazdi auf.
Was dann passiert, löst einen wahren Tsunami im Gehirn aus. Die durch den ständigen Alkoholkonsum immer wieder unterdrückten Glutamat-Rezeptoren werden plötzlich in großer Zahl aktiviert und erregt das Nervensystem enorm, Nervosität und große Ängstlichkeit sind die Folgen und es kann mitunter sehr lange dauern, bis dieser Zustand wieder nachlässt.
GABA-Kapseln sind wirkungslos
Doch es müssen nicht immer Spiegeltrinker so reagieren, auch wer moderat trinkt, ist gefährdet. Bei jemanden, der nur wenig trinkt, aber nervös und unruhig reagiert, wenn er keinen Alkohol konsumiert, sollten ebenfalls die Alarmglocken läuten, denn das könnte ein Hinweis darauf sein, dass bereits vor dem Alkoholkonsum eine ängstlich-nervöse Grundstimmung vorhanden war. Der Grund dafür könnte laut Fachärzten darin liegen, dass das Verhältnis von GABA und Glutamat unausgeglichen war, der Alkohol dies aber zugedeckt hatte. Nun werden im Internet immer wieder GABA-Kapseln zum Verkauf angeboten, aber die sind laut Fachärzten wirkungslos, da das GABA im Körper abgebaut wird und nicht in das Gehirn gelangt. Es gibt auch Medikamente, die wie GABA an die Nervenzellen des Gehirns andocken, doch auch davor wird gewarnt, weil sie allesamt süchtig machen. Wenn man sie trotzdem nimmt, dann sollte dies nur für eine kurze Zeit und unter Aufsicht eines Facharztes erfolgen.
Alkohol und Tranquilizer
Was aber nicht immer praktiziert wird: Studien zufolge greifen in Deutschland 20 Prozent jener Menschen, die unter einer Angststörung leiden, zu Alkohol und Beruhigungspillen, auch Tranquilizer genannt. Diese Kombination, so warnen Fachärzte, kann im Laufe der Zeit nicht nur für eine noch größere Ängstlichkeit sorgen, sie kann auch Bewusstseins. und Gleichgewichtsstörungen sorgen. Jetzt braucht man noch mehr Alkohol und Beruhigungspillen, um wieder halbwegs „normal“ zu funktionieren – und ist mittendrin in einem Teufelskreis, aus dem man schwer wieder rauskommt.
Was sind die Anzeichen von Angstzuständen?
Wie aber erkennt man rechtzeitig, dass man unter Angst- und Panikattacken leidet? Hier einige Anzeichen, die dafür verantwortlich sein könnten: Herzrasen, Herzklopfen, Schwitzen, Zittern, Mundtrockenheit, Atemnot, undefinierbare Schmerzen, Druck in der Brust, Schwindel, Benommenheit, Unsicherheits- und Ohnmachtsgefühle, Hitzewallungen oder Kälteschauer sowie Taubheit und Kribbelgefühle.
Was kann man gegen Panikattacken unternehmen? Entspannungsübungen (Yoga) und homöopathische oder pflanzliche Produkte wie Johanniskraut, Kavawurzel, Melisse und Baldrian können die Angstzustände lindern, aber sollte unbedingt mit einem Facharzt darüber gesprochen werden. Denn auch diverse Medikamente (z.B. gegen Schilddrüsenerkrankungen) können als Nebenwirkung Angstzustände hervorrufen. Und man sollte sich einen Therapeuten suchen, der ergründen kann, ob die Angstzustände nicht einen seelischen Ursprung haben. Aber in einem sollte man ganz sicher sein: Alkohol ist, wie in so vielen anderen Fällen auch, keine Lösung.

Foto & Grafik: Thomas Frohnwieser (2)