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Neue Studie über Alkohol und Armut
Reiche Trinker leben länger

von Harald Frohnwieser

Ob arm oder reich: Alkoholismus ist eine Volkskrankheit, getrunken wird in allen sozialen Schichten. Soviel steht fest. Und dass der Alkohol viele Todesopfer fordert ist ebenfalls bekannt. Aber jetzt erforschten Wissenschaftler vom Erasmus University Medical Center in Rotterdam, Niederlande, dass arme Trinker eher am Alkohol zugrunde gehen als reiche und gebildete. Und das, obwohl sie zum Teil sogar mehr trinken als die Menschen, die man den unteren sozialen Schichten zuordnen kann. Auch was die verschiedenen Regionen betrifft, gibt es Unterschiede. Vor allem in den osteuropäischen Ländern sowie in Finnland und in Dänemark gibt es erschreckend viele alkoholbedingte Todesfälle in den sogenannten unteren Schichten.

Studienautor Prof. Dr. Johan P. Mackenbach„Die Menschen haben quer durch alle Geschichtsepochen Alkohol getrunken, aber man darf nicht vergessen, dass weltweit jährlich mehr als drei Millionen daran sterben“, stellt Studienautor Prof. Dr. Johan P. Mackenbach fest. Der Wissenschaftler und sein Team wollten wissen, ob sich der Alkoholkonsum auf alle Gesellschaftsschichten gleich auswirkt oder ob es Unterschiede gibt. Für ihre umfangreichen Studie werteten sie daher die Daten von Sterberegistern in 17 verschiedenen europäischen Ländern seit dem Jahr 1980 aus – und kamen zu dem Ergebnis, dass reiche und gebildete Menschen mitunter zwar mehr Alkohol trinken als ärmere und ungebildetere, aber trotzdem länger am Leben bleiben. Der Grund dafür: In den sogenannten unteren Schichten wird problematischer getrunken als man es in „besseren Kreisen“ tut. Vor allem Komasäufer – und damit sind nicht nur Junge gemeint – kommen hier öfter vor.
Mackenbach und seine Mitarbeiter teilten für ihre Studie, die sie im Fachblatt „PLOS Medicine“ Anfang Dezember 2015 veröffentlichten, die Daten nach Bildungsgrad und Beruf ein und konnten so die Verstorbenen den verschiedensten sozialen Schichten zuordnen. Aus den Daten ging auch hervor, ob eine Alkoholpsychose, eine alkoholbedingte Kardiomyopathie (Herzmuskelerkrankung), eine Leberzirrhose oder eine Alkoholvergiftung die Todesursache waren.
Ungarn ist trauriger Spitzenreiter
Nach der Auswertung stand fest, dass in allen 17 Ländern alkoholbedingte Todesfälle in den unteren sozialen Schichten häufiger waren. Aber dennoch gibt es nationale Unterschiede. In den osteuropäischen Staaten und in Finnland und Dänemark gab es mehr alkoholbedingte Todesfälle bei den ärmeren Schichten als in den anderen Ländern.
Ein Beispiel: In Finnland starben aufgrund ihres Alkoholkonsums etwa 150 Männer mit einem niedrigen, etwas mehr als 100 mit einem mittleren und etwas weniger als 50 mit einem hohen Bildungsgrad pro 100.000Todesfälle der Männer der untersuchten Staaten (vereinzelt auch Städte), die zwischen den 35. und 79. Lebensjahr verstorben sind, eingeteilt nach 100.000 Personenjahre. Zur Erklärung am Beispiel Finnland: Pro 100.000 Personenjahre starben etwas weniger als 150 Männer mit einem niedrigen, etwas mehr als 100 mit einem mittleren und etwas weniger als 50 mit einem hohen Bildungsgrad aufgrund ihres Alkoholkonsums. Die schwarzen Balken ganz oben an den eingefärbten Linien stellen den Schwankungsgrad dar. Lebensjahre. Bei den Frauen in Finnland starben etwas weniger als 45 mit einem niedrigen, etwas mehr als 20 mit einem mittleren und etwas weniger als 20 mit einem hohen Bildungsgrad aufgrund ihres Alkoholkonsums (siehe Grafiken für weitere Länder bzw. Städte).
Hingegen waren in Spanien, Frankreich, Italien, der Schweiz und in Österreich die Unterschiede nicht so stark ausgeprägt. In den Südeuropa hingegen ist die Rate der Alkoholtoten in den unteren sozialen Schichten gleichgeblieben oder sogar zurückgegangen. Spitzenreiter ist Ungarn: Hier starben die meisten Männer und Frauen am Alkohol, vorwiegend an Leberzirrhose. Deutschland wurde nicht untersucht, da soziale Merkmale wie der Beruf oder der Bildungsgrad in der Sterbeurkunde nicht vermerkt werden. Doch die Drogenbeauftragte der Bundesrepublik, Marlene Mortler, weiß, dass in Deutschland jährlich etwa 74.000 Menschen aufgrund ihres Alkoholkonsums sterben.
Gründe müssten genauer untersucht werden
In vielen der untersuchten Staaten nahm die Anzahl der männlichen Alkoholleichen der unteren Schicht in denTodesfälle der Frauen der untersuchten Staaten (vereinzelt auch Städte), die zwischen den 35. und 79. Lebensjahr verstorben sind, eingeteilt nach 100.000 Personenjahre. Zur Erklärung am Beispiel Finnland: Pro 100.000 Personenjahre starben etwas weniger als 45 Frauen mit einem niedrigen, etwas mehr als 20 mit einem mittleren und etwas weniger als 20 mit einem hohen Bildungsgrad aufgrund ihres Alkoholkonsums. Die schwarzen Balken ganz oben an den eingefärbten Linien stellen den Schwankungsgrad dar. letzten Jahren erheblich zu, während die Zahlen bei den bessergestellten in etwa gleichgeblieben ist. Warum aber gibt es diese Unterschiede? Die Forscher meinen, dass laxere Gesetze oder ein allzu leichter Zugang zu Alkohol eventuell entscheidend sein könnten. Aber das ist den Forschern zu wenig. Sie fordern, dass es genauere Untersuchungen darüber geben müsste, warum die Zahl der Alkoholtoten in den unteren Schichten in einigen Ländern nicht zugenommen hat und in anderen schon. „Dies könnte dazu beitragen, jenen Ländern, in denen mehr arme Menschen am Alkohol sterben, zu helfen“, meinen die Wissenschaftler.
Ungleichheiten beseitigen
In seinem Studienbericht schreibt Mackenbach: „Alkohol wirkt sich im Gesellschaftsleben enorm aus, sei es bei der Kriminalität oder im Verkehr. Die Auswirkungen auf die Gesundheit hängt von der Menge ab, die getrunken wird. Die meisten Richtlinien, wie viel Alkohol getrunken werden soll, besagt, dass Männer nicht mehr als zwei alkoholische Getränke am Tag und Frauen nicht mehr als ein Getränk konsumieren sollen. Mit einem Getränk meine ich eine Dose Bier oder ein Gläschen Bier.“
Mackenbach ist auch der Ansicht, dass die von ihm und seinen Mitarbeitern erstellte Studie eine wichtige Dokumentation ist, die dazu beitragen kann, sozioökonomische Ungleichheiten in der alkoholbedingten Mortalität zu erklären, damit Strategien und Maßnahmen entwickelt werden können, um die aufgezeigten Ungleichheiten zu beseitigen. „Mitarbeiter in den Gesundheitsberufen und Politiker müssen Strategien entwickeln, um den jüngsten Anstieg der alkoholbedingten Sterblichkeit in den unteren sozialen Schichten nach unten zu korrigieren“, fordert Johan Mackenbach.

Foto & Grafiken: Erasmus MC (3)

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