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Wenn LehrerInnen keine Kinder mehr sehen können
PädagogInnen landen besonders oft in der Burnout-Falle

von Werner Schneider

Zum Thema Burnout gibt es ein geflügeltes Wort: Wer ausgebrannt ist, muss einmal gebrannt haben. Bei Pädagogen, die besonders gefährdet sind, trifft das nahezu zu hundert Prozent zu. Der Idealismus ist bei den meisten besonders groß, die Erwartungshaltung, bei der Arbeit mit jungen Menschen viel bewirken zu können, steht bei der Motivation, den Lehrerberuf zu ergreifen, an erster Stelle. Die Realität holt viele schon nach relativ kurzer Zeit auf den Boden der Tatsachen zurück. Dann folgen schleichend die klassischen Symptome: Zynismus („Der Lehrerberuf ist ja schön, wenn die Schüler und die KollegenBurnout bei Pädagogen nicht wären…“), Versagensangst, Depression und die Flucht zu Alkohol, Nikotin und/oder Medikamenten. Am Ende steht der Zusammenbruch.

„Burnout: Mehr als ein Viertel aller Lehrer betroffen“ titelte der „Standard“ bereits 2009. Zitiert wurde eine deutsche Studie, die 29 Prozent der Pädagogen als Burnout-Opfer auswies. Polizisten – um einen Vergleich zu nennen – lagen mit 16 Prozent deutlich darunter. Auch Pflegekräfte mit 19 Prozent.
Der Freiburger Psychiater und Neurobiologe Joachim Bauer forderte deshalb in einem Vortrag in Salzburg, „mehr für die Prävention von Burnout zu tun“.
Das sagt sich leicht – aber die Rahmenbedingungen stimmen schon lange nicht mehr, definiert es die Pädagogin Waltraud P.-S.: „Die Eltern wälzen immer mehr Verantwortung auf Kindergärten, Schulen und Horte ab. Die Kinder wissen, dass die Lehrer bei den Eltern nur wenig Rückhalt haben, zudem fehlt die Anerkennung in der Öffentlichkeit.“ Letzteres bestätigt auch der Grazer Psychiater Manfred Maier und sieht darin mit einen Grund, warum LehrerInnen zur „Risikogruppe“ gehören. In der Landesnervenklinik Sigmund Freud in Graz gab es schon seit Jahren eine große Zahl an psychisch gefährdete PädagogInnen. Joachim Bauer zitiert aus einer Umfrage, wonach 53,2 Prozent der deutschen Hauptschullehrer im Verlauf eines Schuljahres „mit schweren persönlichen Beleidigungen in der Öffentlichkeit konfrontiert worden sind“. Bei österreichischen Hauptschullehrern – auch wenn sie nun Lehrer der Neuen Mittelschule heißen – dürfte der Prozentsatz kaum geringer sein.
Burnout ist keine Versagerkrankheit
In der Studie „Burnout bei Lehrern“ setzt sich Karin Zechmeister aus Wien sehr intensiv mit dem spezifischen Thema auseinander. Als Fallbeispiel zitiert sie eine junge Lehrerin, Christina: „Ich hätte nie gedacht, dass ichPsychiater und Neurobiologe Joachim Bauer einmal so werden könnte wie die säuerlichen alten Kollegen, die nur noch Kinder anschreien und Strafaufgaben geben. Inzwischen haue ich auch dazwischen, anders kommt man einfach nicht durch. Der einzige Zweck des Unterrichts sind nun einmal die Zeugnisse.“ Diese Einstellung ist das Gegenteil von Idealismus. Zechmeister versucht daher den Umkehrschluss und stellt fest, was Burnout NICHT ist: „Burnout ist keine Versagerkrankheit. Im Gegenteil: Gefährdet sind vor allem Menschen, die sich stark engagieren und mit Begeisterung bei der Arbeit sind, aus irgendeinem Grund aber auf Grenzen stoßen und sich ‚ausbluten‘.“
Matthias Burisch, Psychologe an der Universität Hamburg, definiert das Dilemma so: „Bei dem Versuch, die Ziele doch noch zu erreichen, werden die Anstrengungen immer verzweifelter. Und schließlich, wenn die Kraftreserven schwinden, tritt ein Erschöpfungszustand ein. Das ursprüngliche Ziel kann nicht mehr erreicht werden, aufgeben kann man es aber auch nicht – man sitzt sozusagen in der Falle. Man fühlt sich nicht nur schlecht – man wird de facto auch schlechter. Die Leistungen sinken ab und zur Erschöpfung kommt meist auch noch eine Portion Zynismus gegenüber der eigenen Arbeit dazu.“
Alkohol macht den Tag erträglich
An diesem Punkt angekommen, ist die Gefahr zur Flasche zu greifen, besonders groß. „Alkoholtherapie.net“. „Die meisten Teilnehmer unserer Alkoholtherapie leiden schon jahrelang an einem Burnout-Syndrom und einer schweren Alkoholabhängigkeit.“
Ein Faktum, das auch Karin Zechmeister anspricht ist die Tatsache, dass Burnout ja nicht hereinbricht, sondern sich schleichend äußert. Der Gang zum nächsten Vorgesetzten oder zum Therapeuten wird hinausgeschoben, man greift zur „Selbstmedikation“. Beginnend mit dem „Schluck zum Abstressen“. Irgendwann wird es der Schluck, der den Tag erst erträglich macht, dann ist man voll in der Abhängigkeit drinnen.

Zechmeister stellt dieses Anschleichen der Krankheit Burnout in einem sieben Punkte Diagramm dar:

1.) Anfangsphase: Begeisterung und Idealismus

2.) Reduziertes Engagement für die Arbeit

3.) Emotionale Reaktionen, Schuldzuweisungen, Depression und Aggression

4.) Abbau der Leistungsfähigkeit, der Motivation und der Kreativität

5.) Verflachung des emotionalen, sozialen und geistigen Lebens

6.) Psychosomatische Reaktionen, Auswirkungen auf die Gesundheit

7.) Verzweiflung

Spätestens bei Punkt fünf sind PädagogInnen an ihrem Arbeitsplatz nicht mehr tragbar. Eigentlich müssten schon bei Stufe vier alle Alarmglocken läuten. Ohne Motivation und Kreativität in eine Schule, einen Kindergarten oder einen Hort zu gehen, stellt bereits eine Vernachlässigung der Kinder dar. So sieht es auch Pädagogin Waltraud P.-S.: „Ich habe bemerkt, dass ich den Schülern nicht mehr helfen wollte, wir haben abseits des Vorgeschriebenen kaum Neues gemacht, der Dienstschluss war das erstrebte Ziel.“ Ein Gehörsturz, die Arbeit mit einer Neurologin brachten für P.-St. zutage: Burnout mit psychosomatischen Folgen. Drei Monate absolute Ruhe.
„Lasst mich in Ruhe…“
Was nicht übersehen werden darf: Während sich die Symptome häufen, kommen familiäre Probleme oder Missstimmungen in der Partnerschaft dazu. Zechmeister: „Am liebsten möchte man sich die Decke über den Kopf ziehen und sagen: ‚Lasst mich in Ruhe, ich bin nicht da‘.“ Dies ist bereits das Anzeichen für eine Depression.
Die österreichische Pädagogin Hannelore Knauder schildert ein berührendes Beispiel einer „ausgebrannten“ Lehrerin: „Mein Lehrberuf begann voller Faszination und Idealismus. … Doch dann 17 Jahre danach kam für mich das böse Erwachen. Ich kam mir plötzlich wie verloren vor – eine Nichtskönnerin. … Meine Gewichtschwankungen in dieser Zeit waren enorm, von 63 kg auf 54 kg, dann auf 70 kg. Nach insgesamt fast einem Jahr Krankenstand folgte für mich der schwerste Tag meines Lebens: Schulbeginn. Es war nicht nur die Angst vor den Kindern, Eltern und Kollegen. Es waren auch die schweren Schuldgefühle diesen Personen gegenüber.“ Im konkreten Fall folgt ein Happy End, die Pädagogin findet wieder einen Sinn im Leben. Andere haben das Glück nicht. Waltraud P.-S. weiß von Kolleginnen, die jeden Pensionsabschlag in Kauf nahmen, nur um nie wieder einen Fuß in die Arbeitsstelle setzen zu müssen.
Lehrer-Bashing nimmt zu
Inwieweit – und hier muss man die Politik und die Gewerkschaft in die Pflicht nehmen – das in die Verhandlungen in ein Dienstrecht einfließen durfte, blieb einer breiten Öffentlichkeit unerschlossen. Die Arbeitgeberseite sagte schlicht: Zwei Stunden mehr in der Klasse sind nicht zu viel verlangt, die Gewerkschaft nannte das einfach unzumutbar. Und weil diese gesundheitlichen Hintergründe nie kommuniziert wurden, setzte ein vor allem mediales Lehrer-Bashing ein.
Bleibt die Frage: Was kann man präventiv tun?

Hier bietet Karin Zechmeister ein ganzes Bündel an Maßnahmen, die nur punktuell angerissen werden können:

* Supervision, also die Hilfe von außen.

* Hilfe durch den Schulleiter (falls der nicht selbst Burnout-gefährdet ist), etwa durch Schaffung einer vertrauensvollen Atmosphäre, Sensibilisierung für Warnsignale, gutes Klima im Kollegium usw.

* „Widerstandsressourcen gegen Stressoren“ als da wären abschalten, auftanken und auf die eigenen Bedürfnisse achten.

Hilfe gibt es bei den diversen psychologischen Diensten der Landesschulräte bzw. beim Stadtschulrat Wien.

Foto: psychotherapie-prof-bauer.de (1) Grafik: Thomas Frohnwieser (1)