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Burnout-Spezialistin Dr. Lisa Tomaschek im ausführlichen Gespräch
„Leider keine Modekrankheit“

von Harald Frohnwieser

Die Zahl ist erschreckend: Etwa eine halbe Million Menschen dürften in Österreich an Burnout leiden. Schaffen ihre Arbeit nicht mehr und sind völlig ausgebrannt. Klar, dass auch das Privatleben darunter leidet. Doch was dagegen tun? Viele von ihnen, vor allem Männer, greifen in ihrer Verzweiflung zum Alkohol, um sich ein wenig Entspannung zu verschaffen. Und geraten so in einen sich immer schneller drehenden Strudel, der sie nach unten zieht. Dr. Lisa Tomaschek, Leiterin des Instituts für Burnout undDr. Lisa Tomaschek Stressmanagement in Wien, steht schon seit Jahren Betrieben, aber auch Privatpersonen zur Seite, wenn es darum geht, das Burnout zu bekämpfen.

„Alk-Info“: Frau Dr. Tomaschek, wie kann ich erkennen, ob ich an Burnout erkrankt bin?
Dr. Lisa Tomaschek: Die Symptome sind nicht schwer zu erkennen. Es kommt zu Einschlaf- und zu Durchschlafstörungen, man ernährt sich schlecht, man hat Konzentrationsstörungen, oft Kopfschmerzen, eine chronische Gastritis, Bluthochdruck, Rückenschmerzen, mitunter auch einen Tinitus. Aber Burnout ist eine schleichende Erkrankung, die Symptome kommen nicht alle auf einmal sondern entwickeln sich im Laufe der Zeit. Zu uns sagen Leute, dass sie die Symptome schon seit zwei oder sogar drei Jahren haben. Sie haben aber gar nicht gewusst, dass es sich hier um einen Burnout handelt.

Wie reagieren die Firmen auf diese neue Volkskrankheit?
Da hat sich viel verändert, zum Glück. Noch vor einigen Jahren durften wir, wenn wir mit Firmen zusammen arbeiteten, das Wort „Burnout“ nicht einmal in den Mund nehmen, da mussten wir von Leistungsfähigkeit sprechen. Die Angst der Firmen, einen Stempel aufgedruckt zu bekommen, war einfach zu groß. Doch jetzt können die Firmen Burnout nicht mehr tabuisieren. Mittlerweile wollen sie das Kind beim Namen nennen. Schuld daran ist sicher die große mediale Thematisierung.

Ist es wirklich so schlimm oder übertreiben die Medien?
Die Leute brechen ihnen reihenweise nieder. Ich kenne kein Unternehmen, in dem wir bisher waren, wo es nicht mindestens einen Fall von Burnout gab. Es gibt aber nicht wenige Firmen, in denen es einen richtigen Flächenbrand gibt, wo gleich mehrere Mitarbeiter ausfallen. Dann müssen die Kollegen deren Arbeit übernehmen, und dann fallen noch mehr aus. Burnout kann durchaus ansteckend sein. Es ist aber vor allem eines nicht – es ist keine Modekrankheit.

Dr. Lisa TomaschekKommt es, wenn ein Mitarbeiter ausfällt, schnell zur Kündigung?
Bei Umsatz- und Know-how-Trägern weniger, gutes Fachpersonal zu finden ist schwer geworden, vor allem im technischen Bereich. Da werden Leute sogar aus der Pension geholt. Wenn ein solcher Arbeitnehmer ausfällt, dann kostet das den Firmen enorm viel, und das wissen sie mittlerweile. Bei den unteren Schichten hingegen erleben wir aber oft, dass an Burnout erkrankte Mitarbeiter gekündigt werden, auch im Krankenstand, was ja mittlerweile möglich ist.

Wer ist Burnout-gefährdet?
Das sind fast immer diejenigen, die sich voll für ihr Unternehmen einsetzen, die sich voll rein geschmissen haben. Das sind Menschen, die es immer allen recht machen wollen, die nicht Nein sagen können, die sich nicht abgrenzen. Leuten, denen ohnehin alles wurscht ist, sind kaum gefährdet.

Gibt es Symptome, auf die die Chefs achten können?
Wir schulen die Entscheidungsträger darauf, ein sogenanntes drittes Ohr und ein drittes Auge zu entwickeln. Die Betroffenen selbst gehen ja selten zu ihren Vorgesetzten und sagen, dass sie ausgebrannt sind, dass sie seit Wochen oder Monaten kaum mehr schlafen können, dass sie unkonzentriert sind. Aber es kann einem Chef auffallen, wenn sein Mitarbeiter sehr oft zur Kaffeemaschine geht, wenn er literwiese Aufputschgetränke zu sich nimmt, wenn er häufig zu spät kommt, weil er erst in den Morgenstunden einschlafen konnte oder weil er öfter Alkohol trinkt. Dann sollte der Vorgesetzte seinen Mitarbeiter darauf ansprechen. Wir schulen die Vorgesetzten darin, wie man solche Gespräche führt.

Stichwort Alkohol. Kommt es häufig vor, dass jemand, der unter Burnout leidet, zur Flasche greift?
Wenn die Belastung zu groß wird, dann leider schon. Hauptsächlich sind Männer davon betroffen, aber auch Frauen gönnen sich gerne ein Entspannungsachterl, später dann leider mehr, weil die Wirkung irgendwann weniger wird. Da kann man kurzfristig abschalten, sich in eine andere Welt „Beamen“. Und legal ist es obendrein. Außerdem kann man es sehr lange verbergen. Und so werden im Glauben, dass man sich ein wenig Entspannung gönnt, die Grenzen immer wieder erweitert. Bis man dann irgendwann süchtig ist, weil sich der Körper daran gewöhnt hat.

Gibt es auch andere Suchtmittel, zu denen gegriffen wird?
Ja, Kokain zum Beispiel. Das ist vor allem bei Menschen in kreativen Berufen gefragt, weil es einen lange durcharbeiten lässt. Und so teuer, wie es früher einmal war, ist es längst nicht mehr. Aber auch Tabletten, die aufputschen oder die Stimmung aufhellen, sind ein Thema.

Wenn jemand, der an Burnout erkrankt ist, nun auch noch süchtig wird, ist da eine Therapie nicht besonders schwierig? Der fährt ja zweigleisig.
Nun, zunächst einmal muss der dann abstinent werden. Es hat keinen Sinn, sein Burnout zu behandeln, wenn er vom Alkohol umnebelt ist. Der muss zunächst in eine Therapie für Suchtkranke, der muss erst lernen, sich selbst wieder zu spüren.

Dr. Lisa TomaschekAber fällt der dann nicht für eine sehr lange Zeit aus?
Bei Burnout fallen die Leute sehr häufig bis zu drei, manchmal sogar bis zu sechs Monaten aus. Auch wenn sie nicht am Alkoholismus oder an Drogen erkrankt sind. Aber das ist notwendig. Es ist wie bei einer Grippe, wenn man sich nicht auskuriert wird man schnell wieder krank. Die Führungskräfte erkennen das zum Glück immer öfter. Der Mitarbeiter muss, wenn er wieder einigermaßen arbeitsfähig ist, erst wieder in den Arbeitsprozess integriert werden. Zunächst manchmal nur für zehn oder 15 Stunden die Woche, dann können es schrittweise schön langsam mehr werden. Wenn man ihm die Zeit lässt, dann sind im Schnitt 95 Prozent irgendwann wieder voll einsatzfähig, wenn nicht, dann fällt der Mitarbeiter für immer aus.

Wie behandeln Sie Menschen, die ausgebrannt sind?
In der Therapie zeigen wir den Menschen, wie sie mit ihrer nun neu gewonnenen Freizeit sinnvoll umgehen. Wir ermutigen sie dazu, Freunde anzurufen, sich mit Leuten zu treffen, ins Kino oder ins Theater gehen. Die müssen sich erst daran erinnern, was sie früher gerne gemacht haben. Dabei helfen wir ihnen. Die Menschen müssen wieder ins Handeln kommen. Die Behandlung umfasst vor allem vier Kriterien: Bewegung, Ernährung, Entspannung und die Psychohygiene, also die Bilanz, wo man steht und wo man hin möchte. Ich vergleiche den Menschen gerne mit einem Tisch, der vier Beine oder Säulen hat. Da gibt es die Ich-Säule, die Wir-Säule, die Arbeitssäule und die Gesellschaftssäule.

Und diese vier Säulen sollten gleich lang sein?
Ja, aber meistens ist die Arbeitssäule viel länger. Und dann kippt alles. Wenn diese Säule hingegen einmal ganz weg fällt, dann steht der Tisch immer noch, zwar nur auf drei Beinen, aber er wackelt dennoch nicht oder wenn, dann nur ein bisschen.

Zahlen die Krankenkassen für eine Behandlung?
Leider ist das Angebot auf diesem Gebiet viel zu gering. Wir haben derzeit etwa 65.000 Menschen, die eine Psychotherapie auf Krankenschein machen, aber der Bedarf liegt bei 200.000 bis 300.000. Wir geben für Psychopharmaka im Jahr mehr als 200 Millionen Euro aus, für die Psychotherapie aber nicht einmal 60 Millionen. Das ist nicht wirtschaftlich. Man weiß längst, dass Psychopharmaka ohne eine begleitende Psychotherapie nichts bringt. Hier ist die Politik gefordert, die Situation zu verbessern. Wir geben nur 0,8 Prozent der Kosten für die Behandlung von psychischen Erkrankungen aus, in anderen vergleichbaren Ländern sind es 2,5 bis hin zu 5 Prozent. Das ist eine Schande für ein Land, das Sigmund Freud hervorgebracht hat. Damit die Behandlung von Burnout bei uns nicht allzu teuer für die Betroffenen wird, bieten wir auch eine Gruppentherapie an, die leistbar ist.

Die Folgekosten einer Burnouterkrankung sind ja nicht ohne.
Richtig. Die langen Krankenstände kosten viel, wenn jemand gekündigt wird bezieht er Arbeitslosengeld oder er bekommt Sozialhilfe. Dazu kommen die Kosten, die aus Unachtsamkeit am Arbeitsplatz passieren: da kann eine Hand oder ein Fuß schnell abgetrennt werden, wenn der Mitarbeiter an der Maschine unkonzentriert ist. Aber der Nachweis, dass der Unfall aufgrund eines Burnouts passiert ist, ist halt nicht leicht. Deshalb ist es für uns so wichtig, dass die Unternehmen diese Erkrankung zum Thema machen. Die Zeiten, wo man den Kopf in den Sand gesteckt hat, sollten endgültig vorbei sein.

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Fotos: Thomas Frohnwieser (3) Logo: IBOS – Institut für Burnout und Stressmanagement (1)