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Alkoholiker-Therapiezentrum in Ybbs an der Donau:
„Wollen nicht, dass sich unsere Patienten einsperren“

von Harald Frohnwieser

In grauer Vorzeit war es eine Irrenanstalt, jetzt nennt man es ganz so, wie es sich gehört: Therapiezentrum Ybbs. In der sozialpsychiatrischen Einrichtung nahe der Donau, die zum Wiener Krankenanstaltenverbund gehört, werden u. a. Menschen mit Depressionen, mit Angst- und Zwangserkrankungen oder mit einer Störung der Persönlichkeitsentwicklung wie z.B. Borderline behandelt. Und Spiel- und Drogensüchtige. UndTherapiezentrum Ybbs - Psychiatrisches Krankenhaus natürlich Alkoholiker. „Alk-Info“ hat sich in dem ehemaligen Kloster umgesehen und eine Verhaltenstherapeutin und eine Sozialarbeiterin zum Interview gebeten.

Das Ambiente des ehemaligen Klosters aus dem 13. Jahrhundert strahlt eine große Ruhe aus. Kein Autolärm, obwohl zentral gelegen, und keine Hektik. Das nahe gelegene Donauufer lädt zum Verweilen ein, der Kräutergarten im Innenhof ist groß und voll mit Sträuchern und Gewächsen. Hier suchen die Patienten nach einer Aufgabe, die sie von ihren Sorgen und Problemen ablenkt. Und finden etwas, das sie im Mühsal ihres Alltagslebens längst irgendwo verloren haben: Selbstvertrauen.
„Wir legen viel Wert darauf, dass unsere Patienten ihre Zeit bei uns sinnvoll verbringen“, sagt Verhaltenstherapeutin Dr. Marianne Wachter, „deshalb bieten wir ihnen Einzel- und Gruppentherapie auch eine umfangreicheDr. Marianne Wachter Beschäftigungstherapie wie Malen, Seidenmalerei, Arbeiten mit Glastechniken oder unsere Gartentherapie an. Die hat sehr viel mit einer wieder entdeckten Achtsamkeit zu tun, man nimmt dadurch zum Beispiel Gerüche wieder viel intensiver wahr.“ Freizeitaktivitäten wie Spiele und Ausflüge runden dieses Therapieangebot ab. „Bei uns gibt es keinen Zwang. Wir versuchen raus zu bekommen, was jemandem liegt. Wichtig ist uns eine optimale Tagesstruktur.“ Nachsatz: „Leider haben wir nicht die Möglichkeit, auf alle individuellen Bedürfnisse einzugehen, auch wenn wir das gerne möchten.“
Drei Suchtstationen
Insgesamt gibt es im Therapiezentrum drei Suchtstationen mit etwas mehr als 60 Betten, die Aufnahme erfolgt ausschließlich über die Ambulanz. Die Wartezeit beträgt in der Regel zwei Monate, die Therapiedauer acht bis zwölf Wochen, aber wenn jemand ausfällt, kann es durchaus sein, dass man etwas früher dran kommt. Wird man auch aufgenommen, wenn man Entzugserscheinungen hat? „Ja“, sagt Marianne Wachter, „aber nur, wenn wirMaltherapie abschätzen können, dass nichts Größeres passiert mit der Patientin, dem Patienten, denn wir sind ein Therapiezentrum, welches in der Nacht z.B. kein Labor oder Röntgen hat.“ Deshalb ist es auch wichtig, dass sich die Patienten vor ihrem stationären Aufenthalt von einer Ärztin, einem Arzt durch checken lassen und die Befunde zur Anmeldung mitnehmen. Hat jemand eine internistische Erkrankung, dann muss er diese zuerst in ein einem anderen Spital behandeln lassen. Apropos Entzugserscheinungen: „Wenn wir glauben, dass es eine schlimme Nacht für den Patienten wird, dann vereinbaren wir, dass er auf eine Station kommt, wo es zwei Nachtdienste gibt“, so die Verhaltenstherapeutin.
Nein-Sagen ist wichtig
Die Patienten, die sich im niederösterreichischen Ybbs behandeln lassen, kommen zum Großteil aus Wien, manche aber auch aus Oberösterreich, Salzburg oder Vorarlberg. Und nicht wenige kommen, weil der Druck von außen – zum Beispiel von der Familie oder vom Dienstgeber - zu groß geworden ist. „ich sehe darin aber kein allzu großes Problem“, erzählt Dr. Marianne Wachter. Ein bisschen ein Wille ist ja immer vorhanden. Es ist ja auch nicht sicher, dass es jemand schafft vom Alkohol los zu kommen, obwohl er es ganz von selber will.“
Was lernt man nun in diesen acht bis zwölf Wochen? „Ganz stark üben wir das Nein-Sagen“, so die Ärztin. Und weiter: „Wir wollen ja, dass sie, wenn sie von uns entlassen werden, wieder aktiv am Gesellschaftsleben teilnehmen. Und da gehört der Alkohol halt einfach dazu. Deshalb wollen wir der Patientin, dem Patienten vermitteln, sich selbst die Alkoholsucht einzugestehen und eben Nein zu sagen, wenn ihm etwas Alkoholisches angeboten wird.“
Kontrollen nach Ausgang
Ausgang gibt es natürlich auch in Ybbs. Marianne Wachter: „Wir wollen ja unsere Patienten nicht einsperren.“ Aber es gibt Kontrollen – ins „Röhrl blasen“ ebenso wie Harnproben. Aber: „Wichtig ist, dass die Person erkennt, dass es die eigene Angelegenheit, die ganz persönliche Entscheidung ist.“
Aber wie bringt man jemanden bei, auf den Alkohol zu verzichten, der seit vielen Jahren davon abhängig ist? Dr.Luftaufnahme auf Ybbs Krankenanstalt Marianne Wachter: „Wir sagen nicht, dass man nie wieder etwas trinken darf. Denn ein Nie-wieder macht nur Druck und erzeugt Widerstand und Resignation Mein Ziel als Therapeutin ist vielmehr, dass der Patient lernt, mit einem eventuellen Rückfall richtig umzugehen. Wie helfe ich mir, wenn ich einen habe?“ Denn ein Rückfall sei, so Dr. Wachter, wie eine chronische Erkrankung, die immer wieder kommt.
Patienten werden immer jünger
Mit einbezogen in die Therapie werden auch die Angehörigen alkoholkranken Person: „Das persönliche Umfeld ist schon sehr wichtig, deshalb laden wir die Angehörigen immer ein zu einem Gespräch ein, an dem auch der Alkoholiker teilnimmt.“ Dass ein Alkoholiker nach der Entlassung den Alltag oft umstrukturieren muss, ist eine Notwendigkeit, ohne die man wenig Chancen hat, trocken zu bleiben. „Ich hatte einmal einen Weinbauern, der hat, nur damit er nicht mehr mit demPsychotherapeutische Raum Alkohol konfrontiert wird, seinen Job gewechselt. Auf dem bin ich ganz besonders stolz“, berichtet die Therapeutin. Und berichtet, dass im Laufe der vergangenen zehn Jahre die Patienten immer jünger geworden sind. Das habe aber auch damit zu tun, dass eine Alkoholsucht früher als Krankheit erkannt werde.
Auch Mag. Hermine Naderer sagt, dass sie beobachtet, dass die Klientel immer jünger wird: „Der Jüngste war 18 Jahre alt, aber wir bekommen auch Anfragen von Patienten – oder deren Eltern – die noch viel jünger sind. Aber wir dürfen erst ab 18 aufnehmen.“ Die Sozialarbeiterin, deren Diplomarbeit „Eltern von alkoholabhängigen Jugendlichen“ zum Inhalt hatte, hilft bei der Bewältigung alltäglicher Problem wie zum Beispiel mit einem Training zum richtigen Umgang mit den Behördenwegen oder die Beantragung von Sozialleistungen. Oder sie interveniert, wenn eine Delogierung droht. Sie telefoniert, wenn nötig, mit dem AMS, sie ruft in Ämtern an oder vermittelt Kontakte mit der Arbeiterkammer, wenn sie sich mit arbeitsrechtlichen Problemen herumschlagen müssen. „Es ist leider ein Unterschied, ob der Patient anruft oder ob ich es tue“, sagt Mag. Naderer, „ich weiß, wie weit ich gehen kann und habe mit meinen Ressourcen eine bessere Ausgangslage.“ Aber auch sie stößt mitunter an ihre Grenzen, denn: „Die Vorstellungen mancher Patienten funktionieren in der realen Welt leider nicht immer.“
Viele Patienten haben ein großes Problem mit ihrem Dienstgeber, wenn sie sich für zwei oder gar drei Monate in Therapie begeben. „Da gibt es oft eine einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses, was rechtlich natürlichMag. Hermine Naderer nicht in Ordnung ist. Da vermitteln wir unsere Patienten an die Arbeiterkammer oder ans Arbeitsgericht“, sagt die Sozialarbeiterin und betont, dass es auch Firmen gibt, die sich sehr kooperativ verhalten und den Mitarbeiter dabei unterstützen, vom Alkohol los zu kommen. Aber die sind freilich eine Ausnahme: „Die Zeiten sind härter geworden“, stellt Mag. Naderer lapidar fest.
Stigmatisierung am Arbeitsplatz
Auch die Stigmatisierung ist ein großes Thema. „Das Verhältnis zur Familie ist oft jahrelang gestört, auch wenn die Patientin, der Patient trocken ist.“ Doch, so Naderer, im familiären Bereich sei es meist nicht ganz so schlimm wie in der Arbeitswelt, beschreiben ihr PatientInnen. „Die Chefs, die Kollegen, sie alle haben ihre Vorurteile. Schlimm ist es auch bei Vorstellungsgesprächen. Da fehlen oft Zeiten im Lebenslauf. Man muss zwar nicht reinschreiben, dass man wegen dem Alkohol zwei, drei Monate lang in Therapie war, aber das wissen viele nicht. In diesen Fällen verweise ich darauf, dass für diese Zeit der Status ,arbeitssuchend'Garten Igilt und das auch angegeben werden kann.“ Dabei, so Mag. Naderer, könne man kaum mehr Sozialkompetenz beweisen, wenn man ein trockener Alkoholiker ist. „Das ist aber leider nur in den USA so, bis zu uns hat sich das leider noch nicht herumgesprochen.“ Und weiter: „Die Gesellschaft verträgt zum Teil keine Spiegelbilder. Denn dann müsste in manchen Firmen hinterfragt werden, wie es um den Alkoholkonsum der Mitarbeiter steht.“
Gibt es einen Unterschied in der Sozialarbeit zwischen Frauen und Männern? „Ja“, braucht die Sozialarbeiterin nicht lange zu überlegen, „die Frauen sprechen Probleme viel schneller an und kommen daher auch schneller zu uns. Die Männer glauben eher, dass sie alles alleine bewältigen können. Dann wird es schwieriger, ihnen zu helfen, weil meist sehr viel zusammen gekommen ist.“ Aber mit Schwierigkeiten kann Mag. Naderer gut umgehen, es ist ja ihr Beruf.

Therapiezentrum Ybbs - Psychiatrisches KrankenhausInfos: Zum Video

Therapiezentrum Ybbs - Psychiatrisches Krankenhaus
3370 Ybbs/Donau, Persenbeugerstraße 1-3
Tel.: +43 (0)7412/55 100 - 0
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Web-Adresse: www.wienkav.at/kav/tzk/

Fotos: Thomas Frohnwieser (2), Christian Keusch (2), Wilhelm Bamberger (2), TZT Imagefilm 2011 (1) Logo: Therapiezentrum-Ybbs (1)