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Ein Entzug, viele Tabletten
Ohne Therapie ist die Pharmazie ziemlich hilflos

von Werner Schneider

Gibt es die Tablette, die vom Alkoholismus zum kontrollierten Trinken führt? Der französische Arzt Olivier Ameisen schreibt diese Wunderwirkung dem Mittel Baclofen zu und beruft sich auf einen erfolgreichen Selbstversuch (siehe auch „Einfache Lösung für komplizierte Erkrankung?“). Experten melden erhebliche Zweifel an. Aber ganz ohne Medikamente geht es während des Entzugs und der Entwöhnungsphase auch nicht. „Alk-Info“ stellt die gängigsten Präparate vor – mit der Betonung, dass dies keine fachärztliche Empfehlung oder Ablehnung für eines der erwähnten Präparate ist!

Alles beginnt mit A wie Antabus®. Es hatte seine Hochblüte in den späten 50er und den 60er Jahren. Das heutige renommierte Anton-Proksch-Institut in Wien-Kalksburg wurde damals despektierlich „Antabus-Hütte“ genannt. Die harmlose Warnung lautet: „Antabus macht das Trinken unangenehm.“ Ein Euphemismus. Denn dieses Medikament verhindert, dass der Alkohol in de Leber vollständig abgebaut wird, es kommt folglich zu Vergiftungserscheinungen. Übelkeit, Kreislaufstörungen, Blutdruckabfall, Kopfschmerzen und Kältegefühl in den Extremitäten sind nur einigen Nebenwirkungen, die auftreten können. Der unübersehbare Gefahrenhinweis lautet: „Achtung, schon geringste Mengen von Alkohol können in Verbindung mit Antabus tödlich wirken!“ Es darf also nie ohne das Wissen des Patienten und unter ärztliche Kontrolle verabreicht werden und sollte nur in Verbindung bei der Entwöhnung bereits abstinenter Probanden verwendet werden. Es hemmt, so die Definition, den Trinkwunsch. Idealvoraussetzungen für eine längere Antabus-Therapie wären:

- Intaktes gesellschaftliches Umfeld (Familie)

- Garantierte regelmäßige Einnahme

- Keine suizidalen Tendenzen

Eine ähnliche wie Antabus Wirkung wird auch Campral® zugeschrieben. Dies wird schon während des Entzugs eingesetzt. Im Hirn des Alkoholikers wird verstärkt Glutamat (wieso das so ist, ist nicht vollständig erforscht) festgestellt. Dieser Botenstoff erwirkt die Übererregbarkeit der Nervenzellen. Campral setzt direkt hier an und verringert so während des Entzuges das Verlangen nach Alkohol. Campral ist nicht billig, wirkt nicht bei allen Patienten (wenngleich bei einem hohen Prozentsatz, wie klinische Erfahrungen zeigen) und hat natürlich auch seine Nebenwirkungen: Durchfall, Bauchschmerzen, Übelkeit und Erbrechen, Juckreiz und Hautausschläge. Eventuell Verminderung der Libido, Impotenz oder Frigidität. Es kann sich umgekehrt die Libido aber auch verstärken. Mit Verwirrtheit und Schlafstörungen ist unter Umständen auch zu rechnen.
Übelkeit und Erbrechen
Gegen Entzugserscheinungen wirkt Distraneurin®. Dieses Mittel mit dem Wirkstoff Clomethiazol wird in der akuten Phase der Entgiftung (bei schweren Entzugserscheinungen, zur Behandlung von Delirium Tremens) zurBaclofen, Antabus, Campral, Distraneurin, Haldol, Tegretal, Timonil und Tiapridex Anwendung gebracht. Auch hier stehen eindringliche Warnhinweise an erster Stelle: Distraneurin kann abhängig machen. Es ist also nur unter klinischer Beobachtung und nur über einen relativ kurzen Einsatz zu verwenden (etwa zwei Wochen bei sinkender Dosierung). Distraneurin „wirkt“ auf den gesamten Organismus bisweilen heftig: Die obligaten Übelkeit und Erbrechen, aber auch allergische Reaktionen und Blutdruckabfall sind möglich. Auf keinen Fall darf das Medikament mit Alkohol genommen werden – siehe Antabus - denn dann besteht Lebensgefahr!
Zur Dämpfung von Entzugserscheinungen und Delirien gibt es auch Haldol®. Es kommt zum Einsatz, wenn bereits eine Distraneurin-Abhängigkeit droht. Es ist dies ein Antipsychotikum. Es wirkt gegen die beim Alkoholentzug oft auftretenden Probleme wie Psychosen und ständigen Brechreiz. Wie viele Antipsychotika kann Haldol mit dem Wirkstoff Haloperidol Benommenheit, Krämpfe, Müdigkeit, Blutdruckabfall bis hin zu Bewegungsstörungen führen. Hier ist – wie bei allen anderen Mitteln noch zu erwähnen -, dass schwerste Leberschädigungen oder Niereninsuffizienz sich nicht mit den Medikamenten vertragen.
Müdigkeit, Sehstörungen, Stimmungsschwankungen
Wer während des Entzuges unter Krampfanfällen leidet, kann Tegretal® oder Timonil® verabreicht bekommen. Die Nebenwirkungen wie Erbrechen, Müdigkeit, Sehstörungen, Stimmungsschwankungen und eine Verminderung der weißen Blutkörperchen halten sich – weil nicht unmittelbar lebensbedrohend – in überschaubaren Bereichen. Vorteil: Das Antieptileptikum Carbamazepin hemmt die Erregungsleitungen in den Nervenzellen und kann auch zur Vorbeugung von Krampfanfällen eingesetzt werden. Frauen werden gewarnt, dass die Anti-Baby-Pille wirkungslos werden kann und auch Missbildungen des Embryos nicht ausgeschlossen sind.
Zuletzt noch ein fast „harmlos“ klingendes Mittel: Tiapridex®. Die Wirkstoffe Tiaprid und das schon erwähnte Carbamazepin haben sich in der Entzugsbehandlung bewährt und sind auch anwendbar, wenn noch Restalkoholmengen beim Patienten festgestellt werden. Tiapridex bekämpft die „klassischen“ Entzugserscheinungen: Bewegungsstörungen, Zittern, Bluthochdruck und Schwitzen sowie zu hohen Puls.
Was auch immer man schluckt: Ohne therapeutische Begleitung sind fast alle diese Medikamente nahezu wirkungslos – so brutal das auch klingen mag. Man bekommt die Entzugserscheinungen weg, der Saufdruck kehrt aber nach Beendigung der physischen Entgiftung wieder. Nur die intensive Auseinandersetzung mit der (tödlichen) Krankheit Alkoholismus kann zu Langzeiterfolgen führen. Selbstmedikation mit illegal erworbenen Medikamenten kann – wie oben beschrieben – sogar mortal enden.
Alkoholiker wird man nicht von einem Tag zum anderen, der Weg zurück in die Trockenheit ist also ebenfalls nicht mit ein paar Tagen im der Klinik und einigen Tabletten zu bewerkstelligen. Aber ohne helfende Pharmazie wäre der Weg noch ungleich schwieriger – die Nebenwirkungen sind vergleichsweise kurz mit einem langen, alkoholfreien, wieder normalen Leben.

Grafik: Thomas Frohnwieser (1)