Müde, niedergeschlagen, melancholisch, antriebslos:
Wenn der Blues des Winters zuschlägt
von Harald Frohnwieser
Wenn die Tage kürzer und die Nebel häufiger werden, wenn das laute Lachen des Sommers in die melancholische Stille des Herbstes überwechselt, wenn es draußen nasskalt und in den Herzen dunkelgrau wird, dann wissen geschätzte fünf Prozent der Bevölkerung, dass sie die Winterdepression fest im Griff hat. Es gibt freilich Einiges, was dagegen helfen kann. Alkoholiker freilich kennen ein Allheilmittel gegen den Blues des Winters, der sie umklammert und nicht mehr loszulassen scheint – den Alkohol. Aber Vorsicht: Die vermeintliche Medizin hilft, wenn überhaupt, nur sehr kurzfristig bevor sie die Depression verstärkt.
„Nebel hängt wie Rauch ums Haus, drängt die Welt nach innen, ohne Not geht niemand aus, alles fällt in Sinnen“, dichtete Christian Morgenstern über einen grauen Novembertag und beschreibt so gelungen eine Stimmung, der sich viele Menschen nicht entziehen können. Und unter einer Winterdepression – oder, wie es richtig heißt – einer saisonal-affektive Störung (SAD) leiden. Alkoholiker wissen meist ein Lied davon zu singen. Hat man sich während des Sommers noch einigermaßen gut gefühlt und konnte der Alkoholkonsum mitunter sogar etwas zurückgeschraubt werden, so trinkt man in diesen grauen Herbsttagen wieder öfter und vor allem mehr. „Speziell im Herbst, wenn die Stimmung wieder schlechter wird und man in eine Depression reinkommt, wird der Alkohol vermehrt als Therapie eingesetzt“, weiß die Psychiaterin und Neurologin Dr. Hemma Unterluggauer, die im 7. Wiener Gemeindebezirk ihre Ordination hat. Und weiter: „Wichtig ist, dass man sich seinen jahreszeitlich bedingten Stimmungsschwankungen bewusst ist und rechtzeitig medikamentös gegensteuert anstatt mit dem Alkohol die Symptome zu bekämpfen.“ Es gibt, so die Ärztin weiter, viele Alkoholiker, die besonders davon betroffen sind, aber generalisieren dürfe man das nicht: „Die Menschen reagieren unterschiedlich auf jahreszeitlich bedingte Stimmungen.“
Für die Fachärztin ist eines besonders wichtig: „Bevor sich ein Alkoholkranker seine Depressionen behandeln lässt, sollte er vorher unbedingt einen Entzug machen. Denn Alkohol und Medikamente sind keine gute Kombination, Wirkungen können verstärkt werden, oft nicht ungefährliche Nebenwirkungen können auftreten. Daher ist es ratsam, mit einer medikamentösen Therapie erst zu beginnen, wenn man keinen Alkohol mehr trinkt.“ Nachsatz: „Wichtig ist auch, dass man die mit einer Depression oft einhergehende Schlafstörungen mit Hilfe eines Facharztes bekämpft.“
Wie aber erkennt man, ob man von einer Winterdepression betroffen ist? Hauptkriterien einer Diagnose, die unbedingt durch einen Facharzt erfolgen soll, sind bei einer sogenannten normalen Depression:
- depressive, gedrückte Stimmung an so gut wie allen Tagen
- wenig oder gar kein Interesse mehr an allen Aktivitäten und keine Freude daran
- Appetitlosigkeit gepaart mit Gewichtsverlust
- Schlafstörungen
- Schuldgefühle und wenig Selbstwertgefühl
Bei einer Winterdepression, die nur im Herbst und in den Wintermonaten auftritt und im Frühjahr wieder verschwunden ist, hingegen treten oft ein
* vermehrtes Schlafbedürfnis auf.
* ;gesteigerter Appetit, insbesondere auf Kohlehydrate wie Nudeln oder Süßigkeiten auf.
Dazu kommen
- verringerter Antrieb
- häufige Tagesmüdigkeit
- sozialer Rückzug
- geringere Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz
- Anspannung
- Zukunftsangst
- Mutlosigkeit
- Interessenlosigkeit
Was aber sind die Ursachen dafür, dass die Stimmung im Oktober, November und im Dezember mit schöner Regelmäßigkeit in den Keller fällt. Experten machen dafür das wenige Licht, das in dieser Zeit vorhanden ist, verantwortlich. Licht macht uns wach, gibt uns das Gefühl, gesund und fit zu sein, es gibt uns Energie und hebt unsere Laune. Hauptverantwortlich dafür sind die Hormone Melatonin und Serotonin, deren Aufbau (Biosynthese) vom Tageslicht reguliert wird. Serotonin ist wesentlich für die Förderung des Wachzustandes zuständig und wird aufgrund seiner Wirkungen auf die Stimmungslage im Volksmund oft als „Glückshormon“ bezeichnet. Das alles fehlt uns in der dunklen Jahreszeit. In Kliniken oder bei einem Arzt mit entsprechender Ausstattung werden die Patienten täglich eine halbe Stunde mit Licht in einer Intensität von 10.000 Lux (Lateinisch für Licht) bestrahlt. Das Licht entspricht dem Sonnenlichtspektrum aber ohne schädliche UV-Strahlung. Die Behandlung kann auch mit weniger Lichtintensität, z. B. 2500 Lux durchgeführt werden. Dies verlängert die Behandlungsdauer jedoch auf jeweils zwei Stunden. Als Nebenwirkungen können in seltenen Fällen Augenreizungen, Kopfschmerzen und Übelkeit auftreten.
Lichttherapie für daheim
„Geräte für zu Hause kann man durchaus empfehlen“, rät Psychiaterin Hemma Unterluggauer, „die meisten haben eine sehr gute Beschreibung dabei und sind oft vom Preis her gar nicht so teuer.“ Fachleute raten dazu, sich morgens eine halbe Stunde lang vor das eingeschaltete Gerät zu setzen und dabei die Zeitung oder ein gutes Buch zu lesen.
Weiters zu empfehlen ist die Einnahme von Johanniskraut, das nicht nur gegen depressive Verstimmungen hilft, sondern auch die Lichtempfindlichkeit der Haut steigert. Auch Grüntee kann die Stimmung ein wenig steigern. Japanische Forscher haben herausgefunden, dass zwei bis drei Tassen täglich eine Stimmungsaufhellende Wirkung bei depressiven Patienten auslösen. Ratsam ist auch, seinen Vitamin-D- und den Vitamin-B-Haushalt abklären zu lassen. Hat man von diesen beiden Vitaminen einen Mangel, so kann auch der für eine gedrückte Stimmung verantwortlich sein.
Hier einige Tipps, um den Winterblues zu bekämpfen:
* Ein Spaziergang von einer halben bis einer Stunde an der frischen Luft kann den Melatoninhaushalt wieder in Ordnung bringen.
* Eine kalte Dusche am Morgen bringt den Kreislauf in Schwung, stärkt die Durchblutung und stärkt das Immunsystem.
* Eine farbenfrohe, helle Wohnung bringt etwas Schwung in den Alltag.
* Lieblingsmusik hören kann ebenfalls die Stimmung heben.
* Entspannung suchen bei einem ausgiebigen Bad oder in einem Wellnessareal.
* Ein schönes Buch lesen, einen interessanten Fernsehabend gestalten, Freunde einladen tut ebenfalls gut.
Das alles kann Abhilfe schaffen. Für einen Alkoholkranken sind solche Dinge freilich oft sehr weit weg, wenn Hoffnungslosigkeit und Suff die Oberhand haben. Wichtig ist aber auch hier, sich nicht zu Hause einzugraben. Der Besuch einer Selbsthilfegruppe (Blaues Kreuz, Anonyme Alkoholiker etc.) führt nicht nur dazu, dass man sich vielleicht doch noch entschließt, sein Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen und nicht vom Alkohol fremdbestimmt zu werden, sondern ermöglicht einen auch, Gleichgesinnte zu treffen, mit denen man plaudern und – vielleicht – sogar lachen kann. Und das ist doch was, oder?
Fotos: Thomas Frohnwieser (1), Privat (1)