Alkohol erhöht Risiko für Schlaganfall
Saufen bis zum Hirninfarkt
von Harald Frohnwieser
Jeder fünfte Europäer berauscht sich regelmäßig mit Alkohol. Die Folgen davon können fatal sein. Neben Erkrankungen der Leber, des Darms, des Magens oder der Bauchspeicheldrüse, um nur ein paar zu nennen, ist die Gefahr, einen Schlaganfall zu erleiden, besonders groß. Wer regelmäßig viel Alkohol trinkt, muss damit rechnen, 14 Jahre früher als seine Mitmenschen, die wenig oder gar nichts trinken, eine gefährlichen Hirnblutung zu erleiden. Der Sänger der Kölner Kult-Band BAP, Wolfgang Niedecken, kann ein Lied davon singen. Am 2. November 2011 stand es wirklich eng um ihn – nach jahrelangem Alkoholmissbrauch erlitt Niedecken einen Schlaganfall und konnte nur durch eine Operation gerettet werden. „Ich habe seit 1984 sehr viel Alkohol getrunken“, bekannte der Rocksänger später in einem Interview mit dem Spiegel.
Schlaganfälle sind weltweit die dritt häufigste Todesursache, in China steht der Schlaganfall sogar an der ersten Stelle aller Todesursachen. Die „China National Hypertension Study“, die in 17 Provinzen des Landes durchgeführt wurde und an der 64.338 Männer, die älter als 40 Jahre waren, sollte Aufschluss darüber geben, inwieweit Alkoholkonsum einen Schlaganfall begünstigt. Während des Studienzeitraums wurden 3.434 Schlaganfälle und 1.848 Todesfälle, die Folge eines Schlaganfalls waren, verzeichnet. Bei der Untersuchung der Trinkgewohnheiten der Probanden stellte sich folgendes heraus: Wer bis zu sechs Drinks pro Woche zu sich nimmt, hat ein eher niedriges Risiko, einen Schlaganfall zu erleiden. Gefährlich wird es ab 24 Drinks innerhalb von sieben Tagen (etwas mehr als drei Drinks am Tag): Hier steigt das Schlaganfall-Risiko um 22 Prozent. Wobei das Risiko, den Schlaganfall nicht zu überleben, sogar um 30 Mal höher ist als bei Menschen, die kaum oder gar keinen Alkohol trinken. Die Wissenschaftler, die die Studie durchführten, sind sich somit einig darüber, dass ein zwar mäßiger, dafür aber regelmäßiger Alkoholkonsum das Risiko, einen Schlaganfall zu erleiden, beträchtlich erhöht.
Hirnblutung 14 Jahre früher
Zu einer ähnlichen Einschätzung kommen auch Forscher der Universität Lille in Frankreich. Sie sind sich auch einig darüber, dass jemand, der über einen längeren Zeitraum hindurch regelmäßig viel Alkohol trinkt, 14 Jahre früher mit einer Hirnblutung rechnen muss als jemand, der kaum dem Alkohol zuspricht. Handelt es sich dabei um eine tiefe intrazerebrale Blutung, so eine Studie der Universität Lille in Frankreich, ist das 2-Jahres-Mortalitätsrisiko eines unter 60-jährigen Trinkers fast doppelt so hoch wie das eines Nichttrinkers in der gleichen Situation. CT-Aufnahmen zeigten ganz klar, dass bei Patienten mit einem hohen Alkoholkonsum häufiger Blutungen außerhalb von Stirn-, Hinterhaupts-, Scheitel- und Schläfenlappen auftraten. Besonders schlecht steht es Wissenschaftlern zufolge, wenn die Alkoholkonsumenten jünger als 60 Jahre alt sind und bei denen die Blutung außerhalb des Lappens stattgefunden hatte. Fazit: Bei Trinkern kommt es häufiger zu Blutungen in den tiefen Hirnregionen oder in der hinteren Schädelgrube, deshalb vermuten die Mediziner einen Zusammenhang mit der Schädigung kleinerer Gefäße.
Doppelt hohes Risiko nach Alkoholkonsum
Amerikanische Forscher wiederum haben herausgefunden, dass sich das Risiko für einen Schlaganfall innerhalb einer Stunde, nachdem man Alkohol getrunken hat, verdoppelt. 390 Patienten, die einen sogenannten ischämischen Schlaganfall (Durchblutungsstörung, die auch als Hirninfarkt bezeichnet wird) erlitten, wurden dafür untersucht. Wobei es egal war, welcher Alkohol getrunken wurde.
Warum aber erhöht Alkoholkonsum das Risiko für einen Schlaganfall? Experten sind überzeugt, dass kurz nach dem Konsum von Alkohol der Blutdruck steigt und sich daher die Blutplättchen leichter verklumpen. Dadurch können sich Blutgerinnsel bilden, die den Schlaganfall dann auslösen.
Was sind die Folgen eines Schlaganfalls, vorausgesetzt, dass man ihn überlebt? Ärzte haben festgestellt, dass ein ausgedehnter Schlaganfall das menschliche Gehirn innerhalb von nur wenigen Stunden um bis zu 36 Jahre altern lässt und bis zu 1,2 Milliarden Neurone, also Zellen, abgetötet. Weiters werden bis zu 8,3 Billionen Synapsen (Zellverbindungen) lahmgelegt und bis zu 7.140 Kilometer Nervenleitungen zerstört. Dieser Zerstörungsprozess kann sich in nur wenigen Sekunden und Minuten ausbreiten.
Auch Menschen mit einer Schlafapnoe (Atemaussetzer) sollten abends auf Alkohol verzichten. Damit ist auch Rotwein gemeint, obwohl dieser in moderaten Mengen vor einem Schlaganfall schützen soll. Denn die zentrale Weckreaktion wird durch den Alkohol verzögert, die Apnoe-Phase dauert somit länger an und kann so einen Schlaganfall im Gehirn herbeiführen. Ärzte warnen daher solche Patienten auch vor nur einem einzigen Glas Rotwein vor dem Schlafengehen.
Die Anzeichen
Gibt es Anzeichen für einen Schlaganfall? Ja, die gibt es. Die typischen Warnzeichen sind halbseitige Lähmungserscheinungen oder Taubheitsgefühle einer Körperseite, Sprach- und Sprechstörungen, die Unfähigkeit, Sätze oder auch nur einzelne Worte zu verstehen, ein herabhängender Mundwinkel, Sehstörungen mit einer einäugigen Blindheit, Doppelbildern oder Gesichtsfeldausfällen. Sind diese Anzeichen vorhanden, muss umgehend der Notarzt gerufen werden, denn bei einer schnellen Behandlung steigt die Wahrscheinlichkeit für eine erfolgreiche Behandlung.
Oft heißt es, dass Alkoholkonsum das Risiko für einen Schlaganfall sogar senken soll. Dem können Ärzte nur bedingt zustimmen, nämlich dann, wenn wirklich ganz wenig Alkohol getrunken wird. Die Mediziner sprechen hier von einem einzigen Glas Wein oder Bier pro Woche!
Mehr davon hatte ohne Zweifel der Sänger der deutschen Kultband BAP, Wolfgang Niedecken, im Laufe vieler Jahre täglich getankt. „Ich habe seit 1984 viel Alkohol getrunken“, bekannte er in einem Interview mit dem Spiegel, „in den härtesten Zeiten ging das schon beim Soundcheck los. Erste Flasche Wein, dann vielleicht noch eine, dann während des Auftritts noch eine und dann vielleicht zum Abfeiern noch eine oder sogar zwei.“ Da kamen pro Tag locker vier bis fünf Flaschen Wein zusammen.
„Alles war so leer…“
Am 2. November 2011, so gegen 13 Uhr, bemerkte der 1951 geborene und in Köln lebende Sänger beim Lesen, dass er nichts mehr davon mitbekam von dem, was da vor ihm geschrieben stand. Es dauerte nicht lange, und ein Nebelschleier lag vor seinen Augen: „Alles sah merkwürdig aus, mein ganzes Umfeld hatte amorphe Formen.“ Zum Glück bemerkte Niedeckens Frau Tina, dass irgendetwas nicht in Ordnung war mit ihrem Mann und alarmierte die Rettung. Niedecken: „Ich konnte noch gehen, ich bin nicht herumgetorkelt. Ich konnte nur nichts mehr sagen, alles war so leer.“
In der Kölner Uni-Klinik wurde sein Blut verdünnt, um das Blutgerinnsel, das sich gebildet hatte, aufzulösen. Doch das Gerinnsel wanderte in Richtung Hirn, Niedecken wurde sofort in die Neurochirurgie gebracht, wo er operiert wurde. Tina Niedecken erzählt: „Es war wirklich eng. Wolfgang hatte über lange Zeit eine Unterversorgung im Hirn. Es war nicht klar, in welchem Zustand er wieder aufwachen würde.“ Als der Rockstar nach der Operation zu sich kam, konnte er zunächst nicht sprechen und den rechten Arm heben, trotzdem war er sehr euphorisch: „Das ist geil, ich bin wieder am Start, es gibt noch eine Zugabe.“ Sein Zustand besserte sich von Tag zu Tag. Niedecken im Rückblick: „Ich bin dem Tod nochmal von der Schippe gesprungen!“ Heute sagt er Sänger stolz, dass er keinen Alkohol mehr trinkt. „Ich habe keine Lust, irgendetwas in meinem System zu haben oder irgendetwas in ihm in Unordnung zu bringen“, so Wolfgang Niedecken, der wieder voll auf Tour ist. Und damit bewiest, dass sich ein Rockstar nicht täglich besaufen muss, damit er auf Touren kommt.
Grafik: Thomas Frohnwieser (1)