Die vier Trinkertypen nach Lesch
Die Freiheit vom Alkohol als Ziel
von Harald Frohnwieser
„Den Alkoholiker schlechthin gibt es ja nicht“, sagt Univ.-Prof. Otto Lesch im großen „Alk-Info“-Interview. Deshalb hat der international angesehene österreichische Psychiater und Neurologe im Laufe vieler Jahre andauernden Studien die vier nach ihm benannten Trinkertypen festgelegt. Das hat der Soziologe Jellinek auch getan (siehe auch „Die fünf Trinktypen nach Jellinek“). Aber im Unterschied zu dem Amerikaner hat Lesch auch Therapiemöglichkeiten erarbeitet. Die vier Typen nach Lesch sind mittlerweile aus der internationalen Alkoholtherapie nicht mehr wegzudenken und stellen eine wichtige Voraussetzungen für die Behandlung von Alkoholkranken dar. Zu diesen Typen liegen auch viele internationale Studien (USA, Brasilien, Libanon und Europa) vor. Nur in seinem Heimatland Österreich hapert es noch mit der Anwendung.
Typ I
Alkoholiker des Typs 1 sind in erster Linie körperlich abhängig. Wenn sie keinen Alkohol trinken, dann treten entsprechend starke Entzugssymptome wie Zittern, Unruhe, Schwitzen, Krampfanfälle bis hin zu einem Delirium auf. Wenn sie abstinent sind wollen sie alles gleich „Anpacken“.
Behandlung: Diese Patienten sollten zu Beginn am Besten stationär behandelt werden oder ambulant mit täglichen Kontrollen. Bei dieser Untergruppe ist vor allem absolute Abstinenz erforderlich, denn schon ein Tropfen Alkohol kann einen Schalter umlegen und zu einem schweren Rückfall führen. Stützende Psychotherapie und/oder Selbsthilfegruppen sind hier besonders empfehlenswert. Medikamentöse Unterstützung mit Campral und Antabus ist auf alle Fälle anzubieten.
Typ II
In dieser Gruppe befinden sich meist sehr unsichere, ängstliche Patienten mit einem sehr niederem Selbstwertgefühl die den Alkohol als Konfliktlöser und Angstlöser einsetzen. Eine psychische Belastung in der frühkindlichen und familiären Entwicklung ist meist vorhanden.
Behandlung: Bei dieser Gruppe stehen psychotherapeutische Maßnahmen, die das Selbstwertgefühl stützen, im Vordergrund. Empfohlen wird auch der regelmäßige Besuch der Anonymen Alkoholiker. Eine Behandlung mit Beruhigungsmittel hingegen ist meist nicht sehr zielführend, da diese Patienten dazu neigen, von den Psychopharmaka abhängig zu werden.
Typ III
In dieser Gruppe findet man sehr leistungsorientierte Menschen. Sie stehen meist sehr unter Druck bis hin zum Burnout und setzen den Alkohol zum Stressabbau, gegen Depressionen oder als Schlafmittel ein.
Behandlung: Da hier eine psychische Erkrankung zugrunde liegt, ist der Einsatz von antidepressiven Medikamenten, die phasenprophylaktisch wirken, notwendig. Eine Betreuung über lange Zeit (zu Beginn oft kurz stationär) ist meist ebenso notwendig wie eine engmaschige, psychotherapeutische Behandlung. Die Kontinuität der psychiatrischen Behandlung mit hohem Vertrauen, damit psychiatrische Symptome und Trinkperioden nicht zum Abbruch der Therapie führen, ist von eminenter Bedeutung. Lioresal, Naltrexon und Nalmefene können Verläufe und Trinkverhalten verbessern.
Typ IV
Alkoholkranke aus dieser Gruppe kommen meist aus desolaten familiären Verhältnissen. Schwere Verhaltensauffälligkeiten wurden schon in der Kindheit festgestellt, oft sind diese auf hirnorganische Schäden zurückzuführen. Diese Gruppe kann dem Trinkdruck der Gesellschaft nicht widerstehen und das Trinkverhalten ist oft als Zwangserkrankung zu sehen.
Behandlung: Patienten des Typ IV benötigen eine intensive psychosoziale Betreuung, z. B. in Form eines betreuten Wohnens. Auch hier ist ein stationäre Behandlung oft über viele Wochen empfehlenswert, da diese Menschen nichts mehr als Halt und Sicherheit benötigen. Neben der Förderung von Eigenkontrolle in Form von stützenden Gesprächen werden oft niederpotente Neuroleptika und Nootropika eingesetzt. Alcover, Lyoresal, Naltrexon und Nalmefen sind als Medikamente gegen das Alkoholverlangen oft sehr hilfreich. Selbsthilfegruppen sind hilfreich.
„Alk-Info“: Herr Prof. Lesch, wie sind Sie auf die Idee der Typologie gekommen?
Prof. Dr. Otto Lesch: Da, wo ich früher gearbeitet habe, hatten wir einen Chef, der sehr frankophil war. Dazu muss man sagen, dass die Franzosen schon immer mehr auf den Verlauf der Krankheit geschaut haben und weniger auf den Querschnitt. Also nicht auf das, was im Augenblick ist sondern auf die Veränderung. Von dem habe ich viel gelernt. Anfang der 1970er Jahre war ich im Bezug der Alkoholkrankheit neben meiner Tätigkeit in einer Klinik auch verantwortlich für das gesamte Burgenland. Da habe ich viele Alkoholabhängige kennen gelernt. Ich kannte ihre Verhaltensauffälligkeiten, ihre Geburtstraumata, ihre Kindheit, ich wusste, ob sie von ihren Eltern erwünscht waren oder nicht. Nach einiger Zeit der Beobachtung, die mehrere Jahre gedauert hat, habe ich ihre Abhängigkeit in guten Verläufen, in schlechten Verläufen und in episodenhaften Verläufen eingeteilt. Und da waren Typen dabei, die zwar viel getrunken, aber keinen Kontrollverlust hatten. Diese Ergebnisse habe ich dann publiziert.
Vor wie vielen Jahre war das?
Im Jahr 1990 habe ich meine Typologie komplimentiert, dann ging es schnell bergauf damit. Aber ich muss dazu sagen, dass meine Erkenntnisse noch immer nicht ganz abgeschlossen sind. Weil es den Alkoholiker schlechthin nicht gibt.
Ist Ihre Typologie in vielen Ländern anerkannt.
Ja, das ist sie, in Deutschland ebenso wie in Frankreich, in Polen oder in Brasilien. In den USA verwendet man meine Erkenntnisse auf dem Gebiet der Entwicklungsstörungen, darauf bin ich schon sehr stolz. Sie liegt heute als Computerprogramm in 16 Sprachen vor und kann ohne Probleme kostenfrei aus dem Internet bezogen werden (Programm zum Download ist unten).
Und in Ihrem Heimatland, in Österreich?
Hier werden lediglich Teile davon herausgenommen. Bis man in Österreich alles verwendet, wird es sicher noch einige Zeit dauern.
Was ist der Unterschied zwischen Ihrer Typologie und Jellinek, der die Alkoholkranken in Alpha-, Beta-, Gamma- und Delta-Trinker eingeteilt hat?
Der Jellinek war ein Soziologe, er hat keinen Therapieansatz gehabt. Er hat das soziologische Verhalten abgebildet. Sein Riesenverdienst war, dass er die Alkoholabhängigkeit als Diagnose eingeführt hat. Er war sicher jemand, der genau hingeschaut hat und dabei nicht alle Alkoholabhängige als degenerierte Menschen gesehen hat, wie dies vor ihm viele andere Fachleute getan haben, die sich mit der Alkoholkrankheit befasst haben und zum Teil ist dieses Denken auch heute noch vorhanden.
Was wünschen Sie sich in Bezug auf die Behandlung von Alkoholkranken?
Da wünsche ich mir zwei Dinge: Zunächst einmal, dass die Menschenrechte, z. B. die freie Therapiewahl, eingehalten werden, das ist nämlich oft nicht der Fall. Und ich wünsche mir eine Verbesserung der Therapie. Gruppentherapien zum Beispiel bringen kaum etwas, weil sie viel zu heterogen besetzt sind. Eine ordentliche Psychotherapie funktioniert nur in einem Einzelgespräch, weil da die Vertrauensbasis besser ist. Aber sie wird oft aus Kostengründen durch eine Gruppentherapie ersetzt. Auch bei den praktischen Ärzten gibt es oft viele Probleme, weil viele von ihnen mit Alkoholikern nichts zu tun haben möchten und dazu ein Teil von ihnen das eigene Trinkverhalten hinterfragen müssten. Aber rund 20 Prozent der niedergelassenen Ärzte betreuen Alkoholiker gerne und verstehen auch viel davon. Immerhin!
Wie definieren Sie die Alkoholabhängigkeit?
Sie ist wie ein Gefängnis. Der Alkohol ist ein Freund und ein Feind zugleich. Es war ja im Verlauf einer Suchterkrankung nicht immer alles negativ. Dementsprechend muss man als Therapeut offene Fragen stellen. Was ist das Gute und was ist das Schlechte am Alkohol? Und was ist gut am Nichttrinken und was nicht? Es gibt ja Personen die sagen, wenn ich mit dem Trinken aufhöre, dann habe ich solche Angstzustände, dass ich nicht aus dem Zimmer gehen kann.
Dann muss man die Angstzustände behandeln.
Ja, wenn es geht. Wenn es nicht geht, dann muss man mit dem Patienten einen Kompromiss in Bezug auf das Trinkverhalten eingehen.
Und wie könnte ein solcher aussehen?
Dass er einmal im Monat trinkt, damit er einkaufen gehen kann. Aber nur dann, wenn alles andere nicht mehr geht. Ich muss ihm ja helfen, und wenn ich nicht helfen kann muss ich es auch zugeben. Der Patient muss spüren dass das, was ich sage, auch meine Einstellung ist. Der Patient muss das Therapieziel verstehen und akzeptieren können und sagen, das passt und das passt eben nicht.
Was machen Sie, wenn ein Patient einen Rückfall hat?
Die Kollegen fragen gerne, wie der letzte Rückfall so war. Vielleicht sollten Sie einmal fragen, was man in der Zeit, in der man abstinent war, getan hat. Dann kann man die Therapie viel besser nützen. Weil das, was zum Rückfall geführt hat, kann man ohnehin nicht mehr ändern. Da sind ja tausend Begründungen da. Das bringt ja nichts. Ich kann auch jemanden, der nur Entzugserscheinungen hat sagen, du bist wie ein Diabetiker. Wenn du richtig eingestellt bist, bist du völlig gesund. Also geh zu dem Anonymen Alkoholiker oder zu einer anderen Selbsthilfegruppe. Ein anderer wiederum braucht Medikamente, aber nicht jedes ist für jeden geeignet. Wichtig ist dabei immer, dass einem bewusst ist, dass man Menschen und keine Krankheiten behandelt.
Viele Ärzte sagen ihren Patienten gerne, dass sie nie wider trinken dürfen. Was halten Sie davon?
Sagen Sie einmal jemanden, dass er nie wieder Schokolade essen darf – wer wird sich daran halten? Da halte ich es lieber mit dem 24-Stunden-Programm der Anonymen Alkoholikern. Also: Nur heute bin ich trocken. Und morgen kann ich mich neu entscheiden.
Sie sehen vieles kritisch, was die Behandlung von Alkoholkranken betrifft.
Es wird ja auch nur ein kleiner Teil von ihnen gut, der große Teil aber sehr schlecht behandelt. Das Problem dabei ist, dass man immer dem Patienten die Schuld überstülpt, wenn es nicht funktioniert, was sehr unfair ist. Wenn man einen Patienten gut behandelt, dann entsteht immer ein Vertrauensverhältnis. Es wird vielleicht nicht immer optimal verlaufen, aber es entsteht eine Verbesserung. In der Medizin passiert es ja öfters, dass man nicht heilen kann, aber man kann trotzdem eine Verbesserung der Lebensqualität herbeiführen.
Alkoholismus ist ja nicht heilbar.
Das stimmt nicht ganz. Aus biologischer Hinsicht ist Alkoholismus sehr wohl heilbar, aber aus psychologischer Hinsicht nicht. Auch, weil wir in einer „saufenden“ Gesellschaft leben, speziell in Österreich. Da ist es einfacher, nichts zu trinken als reduziert. Denn wenn man weniger trinkt, dann muss man ja Tag für Tag kämpfen und erklären, warum man jetzt nicht trinken will. Denn für einen, der ein Alkoholproblem hat, ist schon ein Tropfen schlecht. Aber das gilt nicht für alle.
Fachleute sagen, dass kontrolliertes Trinken nur für drei Prozent geeignet ist.
Das sagen jene, die in Kliniken arbeiten, aber das hat keine Aussagekraft für alle. Für das Klientel der Kliniken wird das schon stimmen, aber die anderen nehmen sie ja nicht, weil sie zu krank sind, weil sie keine Versicherung oder schon eine Leberzirrhose haben. Aber die existieren auch, für die braucht man auch ein Konzept. Da ist mir eine Reduktion der Trinkmenge schon recht, wenn nichts anderes mehr greift. Natürlich wünsche ich mir, dass so jemand gar nichts mehr trinkt, aber das spielt es ja oft nicht.
Was ist Ihr Ziel?
Die Freiheit vom Alkohol und den Alkoholfolgen zu schaffen, das ist mein Ziel!
Download: Das Computerprogramm zur Bestimmung des nach Lesch eingeteilten Alkoholiker-Typen ist im Internet unter „www.lat-online.at“ kostenlos erhältlich.
Fotos: Thomas Frohnwieser (3)