Gefährlicher Trend in Deutschland
Immer mehr Kinder trinken sich ins Koma
von Harald Frohnwieser
Die Entwicklung sorgt für Alarm: In Deutschland trinken sich immer öfter Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene ins Koma. Laut einer Studie der DAK-Gesundheit landeten im Jahr 2018 mehr als 20.500 von ihnen mit einer Alkoholvergiftung in den Krankenhäusern. Die Zahl der jungen Komasäufer hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten fast verdreifacht. Vor allem in den Großstädten spitzt sich die Lage zu, hier führen Berlin und Hamburg das traurige Ranking an. Krankenkassenchef Andreas Storm von der DAK will noch mehr auf Prävention und Aufklärung setzen.
Cham in der Oberpfalz. In der bayrischen Kreisstadt steigt ein ausgelassenes Frühlingsfest, die Stimmung – es ist gegen 22 Uhr – ist feucht fröhlich. Mittendrin unter den Besuchern ist auch ein Zwölfjähriger, der sich kaum mehr auf seinen Füßen halten kann. Der Junge grölt lautstark, hält in seiner Hand eine Maß Bier. Umstehende feuern ihn an, daraus zu trinken, was der Bub auch macht. Die Erwachsenen prosten ihm zu, lachen, haben ihre Gaudi mit dem Kind, das nun versucht, auf die Sitzbank zu steigen. Der Junge, nennen wir ihn Michael, erklimmt schunkelnd die Bank. Die Leute, darunter auch der Onkel des Buben, haben ihren Spaß daran. Eine Security-Mitarbeiterin wird auf den Lärm aufmerksam, erkennt die Situation, eilt zu dem Buben und ruft gleich darauf die Rettung, die das Kind in die Klinik bringt. Es hat 1,3 Promille Alkohol im Blut.
Mehr als 20.500 Kinder mit Alkoholvergiftung im Spital
Michael ist freilich längst kein Einzelfall mehr. Schon seit einiger Zeit warnen Suchtexperten von einer bedrohlichen Entwicklung, denn immer mehr Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene greifen immer öfter zum Alkohol, und trinken sich ins Koma. So landeten in Deutschland im Jahr 2018 – aktuellere Zahlen gibt es leider nicht - mehr als 20.500 von ihnen volltrunken im Krankenhaus, wo ihnen der Magen ausgepumpt werden musste. Es sind vor allem Kinder und Teenager, die mit einer Alkoholvergiftung in die Kliniken gebracht werden mussten. An die 3000 Jungs und Mädchen waren es 2018, die sich fast zu Tode tranken, was einen Anstieg von 230 Fälle gegenüber dem Vorjahr bedeutet. Andreas Storm, Vorstandschef der DAK-Gesundheit, zeigt sich über diese Entwicklung besorgt.
Gesundheitspolitische Herausforderung
„Das Rauschtrinken gerade bei den ganz jungen Altersgruppen ist alarmierend. Wir müssen deshalb weiterhin alle Kraft in die Aufklärung über die Gefahren des exzessiven Alkoholkonsums stecken“, sagt er. Was den Krankenkassenchef besonders alarmiert ist, dass es im Jahr 2000 knapp 7000 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene waren, die tranken, bis der Notarzt kam, so hat sich diese Zahl innerhalb von zwei Jahrzehnten fast verdreifacht. „Alkoholmissbrauch ist und bleibt eine gesundheitspolitische Herausforderung in unserem Land“, stellt Andreas Storm nüchtern fest. Und weiter: „Je früher Kinder erste Rauscherfahrungen sammeln, desto höher ist ihr Risiko für einen problematischen Umgang mit Alkohol im Erwachsenenalter.“
In Berlin und Hamburg spitzt es sich zu
Doch das Rauschtrinken der Kinder und Jugendlichen ist nicht überall gleich verbreitet. Während in den ländliche Regionen die Situation noch eher moderat ist, spitzt sich das Komasaufen bei den Kindern in den Großstädten zu. Nach der DAK-Auswertung führen Berlin und Hamburg das traurige Ranking an: So gab es in der Hauptstadt einen Anstieg innerhalb nur eines Jahres von 18,8 Prozent von Kindern und Jugendlichen, die mit einer Alkoholvergiftung in die diversen Krankenhäusern eingeliefert werden mussten. Somit ist der Anstieg in Berlin mit Abstand am größten.
Zahl innerhalb der Rauschtrinker eines Jahres fast verdoppelt
In der Hansestadt hingegen sind es vor allem die ganz jungen Komasäufer, die die Alarmglocken bei den Suchtexperten läuten lassen: Fast doppelt so vielen Zehn- bis 15-Jährige als im Jahr 2017 landeten ein Jahr später volltrunken in den Krankenhäusern, der Anstieg betrug sagenhafte 46,2 Prozent. Auch bei den nördlichen Nachbarn Hamburgs, in Schleswig-Holstein gab es einen Anstieg von 45,3 Prozent. Positiv hingegen fällt das Bundesland Baden-Württemberg auf: alkoholbedingte Krankenhausaufenthalte von Kindern und Jugendlichen gingen 2018 gegenüber dem Vorjahr um 16 Prozent zurück.
Der hohe Anstieg von Alkoholmissbrauch bei Kindern und Teenagern hängt auch mit dem Internet zusammen. Hier gelangen die Jungen besonders leicht an harte alkoholische Getränke, da es leider immer wieder genau für diese Zielgruppe zugeschnittene Angebote gibt, warnt die Deutsche Hauptstelle für Suchtragen.
„Bunt statt blau“
Für die DAK-Gesundheit ist es schon alleine wegen dieser traurigen Entwicklung klar, dass ihre Präventionskampagne „bunt statt blau“ selbstverständlich weiter gehen wird. Hier werden schon seit mehr als einem Jahrzehnt Kinder und Jugendliche dazu aufgefordert, auf Plakaten kreative Botschaften gegen das Rauschtrinken zu positionieren. Mit Erfolg. So waren es im Jahr 2020 mehr als 6000 junge Künstler, die bei der Aktion, die unter der Schirmherrschaft der Bundesdrogenbeauftragten Daniela Ludwig steht, mitgemacht haben. Seit Beginn der Kampagne haben sich bisher mehr als 100.000 Schülerinnen und Schüler an der Aktion mit ihren kreativen Ideen beteiligt. Daniela Ludwig bringt es auf den Punkt: „'Bunt statt blau' schafft es seit vielen Jahren, die Jugendlichen über die Risiken von zu viel Alkohol aufzuklären. Kreativ sein, mit Freunden zusammen Spaß haben – dazu braucht es eben keine Alkohol.“
Fotos: DAK-Gesundheit/Wigger (2), DAK-Gesundheit/Weychardt (1)