Kampagnen gegen Komatrinken wirkungslos
Mit 16 Jahren schon geeicht
von Harald Frohnwieser
All die Kampagnen gegen das ausufernde Trinken bei Jugendlichen und das Komasaufen, die in Deutschland gestartet wurden, blieben bisher ohne Erfolg. Wie die deutsche Drogenbeauftragte Marlene Mortler bekannt geben musste, ist die Zahl der 18- bis 25-Jährigen, die sich mindestens einmal im Monat stark betrinken, um zwei Prozent angestiegen. Und ein leitender Polizeibeamter berichtet, dass viele jugendliche Komatrinker keine ärztliche Behandlung mehr brauchen, weil sich ihr junger Körper mittlerweile in beängstigenden Ausmaßen an den Alkohol gewöhnt hat.
„Das Problem Jugendliche und Alkohol wird immer gravierender. Wir haben Zwölfjährige, die schon vormittags betrunken sind. Und das sind keine Einzelfälle.“ Die Aussage des Chefs der Jugendzentren der oberösterreichischen Landeshauptstadt Linz, Erich Wahl, zum Thema Komasaufen und Jugendalkoholismus' in den Oberösterreichischen Nachrichten ist nicht erst vor Kurzem gefallen, sie stammt aus dem Jahr 2001! In Deutschland und in der Schweiz dürfte die Situation damals mit Österreich vergleichbar gewesen sein (siehe auch „Komasaufen“).
Was vor mehr als einem Jahrzehnt in den Medien noch kein allzu großes Thema war, rückte mittlerweile immer wieder in die Schlagzeilen. Die Konsequenz darauf waren Aufklärungskampagnen, vor allem in Deutschland. Besonders die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in Deutschland (BzgA) engagierte sich hier besonders stark und versuchte, die Kinder und Jugendlichen über das Internet unter www.kenn-dein-limit.de zu erreichen. Doch nun steht leider fest, dass all diese Kampagnen bei den jugendlichen Trinkern nichts bewirkt haben. Bei den 18- bis 25-Jährigen stieg die Zahl derjenigen, die mindestens einmal im Monat stark betrunken sind, von 42 Prozent im Jahr 2010 auf 44 Prozent im Jahr 2012, wie jetzt bekanntgegeben werden musste. Die Drogenbeauftragte der deutschen Bundesregierung, Marlene Mortler, nahm aus diesem Anlass bei einer Pressekonferenz, in der die neuen Zahlen präsentiert wurden, die Gesellschaft in die Pflicht. „Es muss gelingen, einen gesellschaftlichen Wandel zu gestalten, der enthemmtes Trinken bei Jugendlichen nicht akzeptiert“, ist Marlene Mortler beunruhigt darüber, dass bei den Jugendlichen und den jungen Erwachsenen keine Trendumkehr zu beobachten ist. „Rauschtrinken stellt gerade für Jugendliche ein erhebliches Gesundheitsrisiko dar und kann zu einer lebensgefährlichen Alkoholvergiftung führen“, warnt die Drogenbeauftragte vor der legalen Alltagsdroge Alkohol.
Trendwende durch mehr Prävention
BZgA-Direktorin Prof. Dr. Elisabeth Pott stellte fest, dass der Alkoholkonsum von Jugendlichen ab dem 16. Lebensjahr unverändert hoch geblieben sei, an die 32 Prozent der Burschen und Mädchen ab dieser Altersgruppe trinken mindestens einmal pro Woche Alkohol, so Pott, die auch beim Konsum riskanter Alkoholmengen keinen Rückgang beobachten konnte. „Um hier eine Trendwende zu erreichen, ist es notwendig, dass wir die mediale Präventionsanstrengungen fortsetzen und die Maßnahmen auf kommunaler Ebene intensivieren“, weiß die Direktorin. Weiters wurde beobachtet, dass junge Männer zwischen 18 und 25 Jahren häufiger und mehr trinken und öfter das Rauschtrinken praktizieren. Wobei es beim Alkoholkonsum von Kindern und Jugendlichen keine soziale Unterschiede gibt: An den Hauptschulen greift man genauso gerne zu Alkopops oder Wodka wie in den Gymnasien. Die wenigsten Trinker gibt es übrigens bei den jungen Asiaten und Türken – hier, so Elisabeth Pott, seien die Alkoholerfahrungen am geringsten.
Doch es gibt auch Erfreuliches zu berichten. Immer mehr 12- bis 17-Jährige verzichten der Studie zufolge auf Alkohol. 30 Prozent der Jugendlichen in dieser Altersgruppe gaben bei einer Umfrage an, dass sie noch nie in ihrem Leben Alkohol getrunken hätten. Doch es gibt auch die Kehrseite. 41,1 Prozent der 12- bis 17-Jährigen gaben wiederum an, dass sie in den vergangenen 30 Tage Alkohol getrunken haben. Regelmäßig, also mindestens einmal pro Woche, trinken der Umfrage zufolge 13,6 Prozent. Und jeder sechste Jugendliche gab zu, dass er in den vergangenen 30 Tagen, große Mengen an Alkohol auf einmal zu sich nahm.
Alk-Patienten werden immer jünger
Doch nicht immer kommen Jugendliche ins Krankenhaus, wenn sie das weit verbreitete Rauschtrinken praktizieren. In einem Interview mit der Schwäbischen Zeitung Wangen stellte im Sommer 2014 der Leiter eines Polizeireviers fest, dass die jungen Komasäufer immer mehr Alkohol vertragen. „Viele Jugendliche können mittlerweile auch große Mengen an Alkohol zu sich nehmen, ohne große Ausfallserscheinungen oder Folgewirkungen zu zeigen, da sie sich bereits an den Konsum gewöhnt haben“, berichtet der Polizeibeamter aus der Praxis. Was passiert, wenn die Polizisten mitbekommen, dass sich ein Jugendlicher bis zum Abwinken mit Bier, Wein oder Wodka zugeschüttet hat? „Wir verständigen den Notarzt und den Rettungswagen, um überprüfen zu lassen, ob der Betroffene medizinische Hilfe benötigt. In den wenigsten Fällen ist dies jedoch notwendig“, so der Polizeidienststellenleiter. Sie sind somit erst 15 oder 16 Jahre alt, aber, was den Alkohol betrifft, bereits geeicht.
Therapieeinrichtungen für Alkoholkranke berichten immer öfter von ihrer jugendlichen Klientel. „Wir bekommen immer öfter Anfragen von Eltern von Jugendlichen, ob der Sohn oder die Tochter aufgenommenen werden kann“, berichtete die Sozialarbeiterin Mag. Hermine Naderer der Therapieeinrichtung in Ybbs an der Donau, Niederösterreich, „Alk-Info“ bereits im Jahr 2012 (siehe auch „Wollen nicht, dass sich unsere Patienten einsperren“). Experten warnen schon länger vor einem frühzeitigen regelmäßigen Alkoholkonsum. Ein Erwachsener, der irgendwann beginnt, Alkohol regelmäßig zu missbrauchen, braucht mehrere Jahre, bis er körperlich davon abhängig wird, bei einem 15-Jährigen zum Beispiel dauert es nur ein paar Monate, bis sein Körper täglich nach Alkohol schreit.
Gefährliche Spiele im Internet
Als Grund für den ausufernden Alkoholkonsum bei den Jungen wird Gruppenzwang ebenso angegeben wie das Elternhaus. Ein trinkender Elternteil beeinflusst in der Regel den Sohn oder die Tochter. Schenkt sich der Vater immer dann, wenn er gestresst oder verärgert ist, ein Glas ein, färbt das freilich auf den Nachwuchs ab. Gleiches gilt natürlich auch für die Mutter. Hinzu kommen Faktoren wie Hoffnungslosigkeit, Perspektivlosigkeit oder innere Einsamkeit. Sie können dazu führen, dass ein junger Mensch aus von dieser Welt flüchten will, zumindest für einen gewissen Zeitraum. Zu einem weiteren Faktor wird auch mehr und mehr das Internet. Mittlerweile kursieren verrückte Trinkspiele im weltweiten Netz, die beängstigende Formen annehmen. Um möglichst spektakuläre Fotos oder Videos auf YouTube oder Facebook zu posten, überschütten sich junge Leute mit Alkohol, um sich dann selbst anzuzünden. „First Challange“ heißt der ebenso gefährliche wie verrückte Trend.
Ebenfalls gefährlich sind diverse Trinkwettbewerbe, bei denen Jugendlich unter möglichst spektakulären Bedingungen Alkohol auf Ex trinken und sich dabei auch filmen müssen. Wenn das Video online gestellt wird, werden Freunde nominiert, die das nachmachen und übertreffen müssen. Dass solche Spielereien gefährlich sein können, zeigt ein Beispiel aus Irland. Ein junger Mann sprang komplett betrunken in einen Fluss, sein Freund versuchte, ihn aus den Fluten zu ziehen. Beide Männer ertranken im eiskalten Wasser.
Fotos: BPA/ Denzel (1), BzgA (1)