Anonyme Alkoholiker bieten Online-Meetings für Junge
„Endlich ein Ort, wo man sich auskotzen kann!“
von Harald Frohnwieser
Die Anonymen Alkoholiker (AA) haben nicht nur in Deutschland ein Problem damit, dass immer weniger junge Menschen in ihre Meetings finden, auch in Österreich und in der Schweiz ist die Überalterung in den Gruppen oft nicht zu übersehen. Hans-Jürgen aus Deutschland, dessen voller Name wir aus Gründen der Anonymität natürlich nicht nennen, und einige seiner AA-Freunde und Freundinnen haben erkannt, dass man hier unbedingt gegensteuern muss und deshalb das Online-Meeting „AA4Young“ speziell für junge Alkoholabhängige bis zu einem Alter von 28 Jahren ins Leben gerufen. Im „Alk-Info“-Gespräch erklärt Hans-Jürgen, wie das funktioniert und warum es so wichtig ist, dass für die Jungen etwas getan wird.
Eines gleich vorweg: Online-Meetings der AA gibt es schon seit vielen Jahren, das allererste wurde schon 1995 installiert. Doch sie sind durchmischt, speziell für junge Menschen, die natürlich ganz andere Probleme und Erfahrungen haben wie etwa die Generation 50plus, gab es bisher nichts. Deshalb wurde 2014 das Online-Meeting „AA4Young“ von Hans-Jürgen und seinen AA-Freunden und Freundinnen ins Leben gerufen. „Die Jungen wollen ernst genommen werden“, sagt Hans-Jürgen im „Alk-Info“-Gespräch, „sie sollen ihre Sichtweise so darstellen können, ohne dass ihnen ein alter Bock dazwischen kommt.“
Doch an die Jungen heranzukommen, ist gar nicht so leicht, nicht nur für AA. „Es ist wohl ein allgemeines Problem vieler Selbsthilfegruppen, dass sie langsam überaltern. Die Anonymen Alkoholiker merken das ganz deutlich. Nur wenige Neue – sprich junge Menschen – finden in die Selbsthilfe vor Ort“, schreibt Hans-Jürgen in einer Presseaussendung. Und weiter: „Sieht man aber gleichzeitig den Boom von Internetforen und Chatrooms – auch zu gesundheitlichen, psychischen oder sozialen Themen, wird deutlich, dass der Austausch mit anderen, die in einer ähnlichen Situation sind, das Kernstück der Selbsthilfe eigentlich, offensichtlich auch für junge Menschen wichtig ist.“
Hans-Jürgen ist über die Zukunft von AA etwas besorgt: „Die Meetings haben sich generell geleert. Das größte, dass es in meiner Stadt gab mit durchschnittlich 30 Leuten hat geschlossen und so manches Meeting ist zu einem Kaffeekränzchen verkommen“, klagt er. Aber er sieht auch einen Hoffnungsschimmer: „Die Spiritualität, die AA so auszeichnet, ist wieder im Kommen, wir bewegen uns langsam in diese Richtung wieder hin.“ Eines aber kann Hans-Jürgen schwer verstehen: Die Gemeinsame Dienstkonferenz (GDK) der Anonymen Alkoholiker steht „AA4Young“ ablehnend gegenüber. Trotzdem will er seinen Weg fortsetzen.
Junge nehmen sich kein Blatt vor dem Mund
Bisher hat „AA4Young“ etwas weniger als 40 junge Menschen, die sich auf der Plattform eingetragen haben. Anmelden muss man sich übrigens nur einmal, ist dies geschehen, dann kann man jederzeit ohne einer neuerlichen Anmeldung rein. Hans-Jürgen rät dazu, sich nicht mit einer E-Mail-Adresse einzutragen, die den vollen Namen verrät. „Am besten ist es, sich eine Adresse zuzulegen, in der nur der Vorname steht oder ein Nickname“, so Hans-Jürgen. Die jüngsten Teilnehmer sind 18 oder 19 Jahre alt, das Durchschnittsalter liegt bei Anfang 20.
Themen werden nicht vorgegeben, meist kommen Tagesprobleme wie Schule, Ausbildung, Beziehung oder Sexualität zur Sprache. Dabei kann es vorkommen, dass hier viel offener darüber geschrieben wird, als es in einem Tischmeeting zur Sprache kommt. Hans-Jürgen: „Da kriegen wir mitunter ganz schön heftige Dinge zu lesen, aber das ist gut so“, freut sich Hans-Jürgen darüber, dass sich die Jungen im Schutz der virtuellen Welt kein Blatt vor dem Mund nehmen, wenn es darum geht, Sachen, die sie bedrücken, loszuwerden.“ Mitunter schreiben die Jungen auch, dass es „schön ist, dass es endlich etwas gibt, wo wir uns so richtig auskotzen können.“ Die Jungen seien, so Hans-Jürgen, viel ernsthafter bei der Sache, als er und seine AA-Freunde es sich anfangs vorgestellt haben. „Das hat uns wirklich überrascht. Positiv ist auch, dass wir sofort darauf aufmerksam gemacht werden, wenn einer unserer 12 Schritte schon länger nicht mehr zur Sprache kam. Das wird dann richtig eingefordert.“
„Der Alkohol rückte in den Vordergrund“
Eine, die sich auch schon oft „ausgekotzt“ hat, ist Lisa. Kurz nach ihrem 14. Geburtstag kam das Mädchen mit dem Alkohol in Berührung. Lisa trank an diesem Tag so viel Feigenschnaps, dass sie sturzbetrunken nach Hause gebracht werden musste. Was sie aber nicht abschreckte, im Gegenteil. Immer öfter griff Lisa zur Flasche. „Der Alkohol rückte mehr und mehr in den Vordergrund und ich begann, jeden Tag zu trinken“, blickt die junge Frau auf ihre Jugend zurück. Oft verlor Lisa die Kontrolle über ihr Leben, besoff sich mit Leuten, die sie nicht einmal kannte, stellte im Rausch viele peinliche Sachen an. Dann kam die Zeit, in der sie alleine soff. „Diese einsamen Zeiten wurden immer mehr, bis ich gar keine Kontakte zu anderen hatte“, erzählt sie über diese Zeit.
Immer wieder wollte das Mädchen sein Trinken stoppen, doch alle diesbezüglichen Versuche führten nur zu einem neuen Besäufnis.
Herzliche Aufnahme
Endlich konnte sich Lisa dazu aufraffen, ihr Leben zu ändern. „Ich hatte so viel verloren, Freunde, Familie, Partnerschaften. Eine berufliche Perspektive gab es auch nicht.“ Doch Lisa wusste, dass sie es nicht alleine schaffen kann: „Ich brauchte Menschen, die wissen, was ich durchmache und die mich verstehen und nicht verurteilen. Ich wusste, dass es die Anonymen Alkoholiker gibt, aber ich wusste nicht viel über sie“. Im Internet fand Lisa heraus, dass es Online-Meetings gibt, und sie meldete sich sofort bei „AA4Young“ an. Die herzliche Art, wie sie aufgenommen wurde, überraschte die junge Frau: „Ich hatte plötzlich einen Platz, an den ich hingehörte. Ich konnte mich öffnen, ich konnte anderen Menschen „zuhören“. Menschen, die genau wie ich den Wunsch haben, ein trockenes Leben zu führen. Seither gehe ich einen neuen Weg.“
Kann ein Online-Meeting ein Tischmeeting ersetzen? „Online-Meetings sehen wir als Ergänzung, aber wir legen Wert darauf, dass man auch an die Tische geht. Die virtuellen Meetings sehen wir als eine Art Vorstufe, die Leute, die zunächst mittels Mausklick zu uns kommen, kennen sich dann aus und wissen, wie ein Meeting funktioniert. Nämlich dass es keine guten Ratschläge gibt und dass man die Antworten auf ein Problem über andere Teilnehmer bekommt, die aus ihrer eigenen Erfahrung berichten“, sagt Hans-Jürgen, der seit 18 Jahren trocken ist, zu „Alk-Info“. Sein Wunsch: „Die Jungen sollen mit den Meetings erwachsen werden.“ Und natürlich trocken…
AA4Young
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Web-Adresse: www.listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/aa4young und www.online-aa.de