Die OECD schlägt Alarm:
Unsere Teenager trinken viel zu viel!
von Harald Frohnwieser
Komasaufen nimmt ab, die Jugend verliert das Interesse an Alkohol. Das waren Meldungen, die Eltern, Lehrer, Pädagogen und auch so manchen Politiker in jüngster Zeit aufatmen ließen. Doch von wegen, die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) schlägt jetzt Alarm: Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen in den wohlhabenden Ländern trinken viel zu viel Alkohol. Und das Komasaufen hat leider nicht abgenommen, ganz im Gegenteil: Der Anteil jener, die so lange trinken bis der Notarzt kommt, hat zum Beispiel bei den 18- bis 25-Jährigen in Deutschland, aber auch im gesamten OECD-Raum, stark zugenommen, wie neue Untersuchungen belegen.
Zwar ist das sogenannte Rauschtrinken unter den 12- bis 17-Jährigen tatsächlich leicht zurückgegangen, dafür hat die Altersgruppe der 18- bis 25-Jährigen auf diesem Gebiet enorm zugelegt: 2014 ist in dieser Altersgruppe der Anteil bei den männlichen Komasäufern von 49,5 auf 54,5 gestiegen, bei den jungen Frauen waren es 2013 25,9 Prozent, ein Jahr später ist der Anteil auf 28,7 Prozent gewachsen. Und was das regelmäßige Trinken betrifft, so gibt es in beiden Altersklassen keinen Unterschied. 2010 gaben 34,5 Prozent der Jungen und der jungen Männern an, regelmäßig Alkohol zu trinken, so waren es nur ein Jahr später bereits 39,8 Prozent, bei den Mädchen und jungen Frauen stieg der Anteil innerhalb von einem Jahr von 12,9 auf 14,2 Prozent. Auch was die Gesundheitsgefahr, die von einem regelmäßigen Alkoholkonsum ausgeht, betrifft, müssten die Alarmglocken läuten: Satte 81 Prozent der jungen Männer und 67 Prozent der jungen Frauen halten Alkohol für einen optimalen Stimmungsmacher. Diese Werte sind seit 2001 um jeweils elf Prozentpunkte gestiegen.
„Gefährliches Trinken nimmt zu“
Doch auch wenn das Komasaufen bei den Kindern und Jugendlichen rückläufig ist, so landen doch noch viele von ihnen im Spital. „Tag für Tag landen bundesweit 65 Kinder und Jugendlichen wegen einer Alkoholvergiftung im Krankenhaus“, zieht der Suchtexperte der Krankenkasse in Deutschland, Ralf Kremer, eine traurige Bilanz. „Gefährliches Trinken nimmt zu“, warnt deshalb auch OECD-Generalsekretär Angel Gurría. Und weiter: „Übermäßiger Alkoholkonsum verursacht weltweit massive Kosten für die Gesellschaft und die Wirtschaft. Unsere Publikation liefert eindeutige Belege dafür, dass Präventionsmaßnahmen – selbst die teureren – sich langfristig auszahlen. Und sie unterstreicht, dass Regierungen dringend handeln müssen.“ Im Durchschnitt trinkt in den OECD-Ländern jeder Mensch ab 15 Jahren jährlich 9,1 Liter reinen Alkohol. Das entspricht mehr als 100 Flaschen Wein und gut 200 Liter Bier. Rechnet man jedoch jenen Alkoholverkauf hinzu, der nicht erfasst werden kann, so steigt die Zahl auf zehn Liter reinen Alkohol.
Alkohol von den Eltern
Was aber sind die Ursachen für diesen besorgniserregenden Trend? Als einen der Gründe, warum die Jugendlichen aber auch die jungen Erwachsenen immer öfter zum Glas oder gleich zur Flasche greifen liegt laut Experten darin, dass Alkohol so leicht verfügbar ist wie noch nie zuvor. Eine neue Studie, die im Auftrag der DAK-Gesundheit durchgeführt wurde, zeigt auf, dass vor allem die Jugendlichen über ihre Eltern sehr leicht an den Alkohol kommen. Bei einer Befragung von 1100 Schülern im Alter von zehn bis 16 Jahren in Hamburg, Schleswig-Holstein und in Brandenburg gab jeder Zweitean, dass es für ihn oder für sie keine Schwierigkeit sei, an Alkohol heranzukommen. Zwei Drittel der Befragten, die bereits Alkohol getrunken haben, erzählten, dass sie den Alkohol direkt von ihren Eltern bekamen. Die Hälfte der Kinder und Jugendlichen gab an, dass sie über ältere Freunde an Bier, Wein oder Wodka herankommen, und lediglich elf Prozent besorgten sich ihren Stimmungsmacher im Supermarkt. „Im Kampf gegen den Alkoholmissbrauch bekommt die Vorbildfunktion der Eltern einen neuen Stellenwert“, stellt der Leiter der Studie, Reiner Hanewinkel, fest.
Leichte Verfügbarkeit als Risikofaktor
Der leichte Zugang zu alkoholischen Getränken wirkt sich naturgemäß auf das Komatrinken aus: Das Risiko, einen Kapitalrausch mit Blackouts oder gar mit einer Alkoholvergiftung zu erlangen ist um 26 Prozent höher als in einer Vergleichsgruppe, die einen schwereren Zugang zum Alkohol hat. „Unsere Untersuchung zeigt, dass die leichte Verfügbarkeit ein Risikofaktor für das Rauschtrinken ist“, so Hanewinkel. Deshalb fordern Suchtexperten in Deutschland, aber auch in Österreich oder der Schweiz eine stärkere Beschränkung beim Verkauf von Alkohol, also eine Anhebung des Mindestalters und höhere Preise. Höhere Steuern würde laut einem OECD-Bericht, der im Frühjahr 2015 in Paris vorgestellt wurde, jedes Jahr alleine in Deutschland zehntausende Leben retten.
Höhere Preise könnten Leben retten
Allein der Anstieg der Preis von Bier, Wein und Spirituosen könnte den Anteil der Deutschen, die in einem besorgniserregenden Ausmaß Alkohol konsumieren, um zehn Prozent sinken. Zudem fordern Suchtexperten, dass es auch eine Einschränkung der Alkoholwerbung und ein konsequenteres Vorgehen gegen Alkohol im Straßenverkehr gibt. Würde man den Forderungen der Experten nachkommen, so könnten allein in Deutschland 40.000 Alkoholtote und 138.000 Verletzte im Straßenverkehr vermieden werden. Zwar gibt es bei der Alkoholwerbung bereits eine freiwillige Kontrolle, aber die ist laut Reiner Hanewinkel völlig unzureichend. „Alkoholwerbung, die sich an junge Menschen richtet, sollte verboten sein“, fordert der Suchtexperte. Und weiter: „Ideal wäre ein generelles Alkoholwerbeverbot, denn ein positiver Zusammenhang von Alkoholwerbung und Alkoholkonsum ist wissenschaftlich erwiesen.“
Deutschland liegt beim Alkoholkonsum im oberen Drittel der 34 Industriestaaten, jeder Deutsche trinkt im Durchschnitt elf Liter reinen Alkohol im Jahr, der OECD-Durchschnitt liegt bei 9,1 Liter. Österreich hat im OECD-Ranking fast alle Staaten längst überholt und liegt derzeit an der zweiten Stelle hinter Estland. Auch Krebserkrankungen und Leberzirrhosen könnten allein in Deutschland um mehr als 4000 Fällen pro Jahr verringert werden.
Die OECD plädiert auch dafür, die Allgemeinmediziner in puncto Alkoholmissbrauch besser zu schulen. Das wäre zwar finanziell aufwendig, aber laut vielversprechend. Doch bis die Gesundheitsminister im OECD-Raum dies umsetzen, ist es wohl noch ein langer Weg.
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