Neue weltweite Alkohol-Studien belegen:
Die Frauen sind im Vormarsch
von Harald Frohnwieser
Männer saufen Frauen unter den Tisch. Historisch gesehen war es lange Zeit das sogenannte starke Geschlecht, das hauptsächlich dem Alkohol zusprach und ihn missbräuchlich verwendete. Nun aber hinterlässt die Emanzipation ihre Spuren – die Frauen haben mittlerweile aufgeholt und trinken fast genauso viel wie die Männer, wie eine Analyse von 68 Studien, die zu diesem Thema weltweit an mehr als vier Millionen Menschen durchgeführt wurden, belegt. Und in einer dieser Studien heißt es sogar, dass nach 1981 geborene Frauen mehr als die Männer, die ab diesem Zeitpunkt zur Welt kamen, in einem gefährlichen Ausmaß Alkohol trinken.
Für die 68 Studien wurden weltweit mehr als vier Millionen Menschen befragt, um die Entwicklung derer Trinkgewohnheiten von 1948 bis 2014 zu untersuchen. Die meisten Teilnehmer der Studien, die zwischen 1891 und 2000 geboren wurden, stammten aus Europa und Nordamerika. Einige der Untersuchungen, die von einem australischen Team der University of New South Wales in Sydney rund um den Wissenschaftler Tim Slade ausgewertet wurden, decken einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten ab, befragt wurden u.a. die Einstellung der Probanden zu Alkoholkonsum, zu Alkoholabhängigkeiten oder zu Problemen, die durch Alkohol entstehen. Besonders erschreckend ist, dass die Zahl der Alkoholtoten weltweit zunimmt: zwischen den Jahren 1990 und 2010 stieg übermäßiger Alkoholkonsum als Todesursache weltweit vom achten auf den fünften Platz. Veröffentlicht wurde die Auswertung der Studien im Online Journal „BMJ Open“.
Feierabenddrink und Vorglühen
Das Ergebnis der Auswertung: Bis in die 1930er Jahre tranken Männer im Schnitt doppelt so viel Alkohol wie Frauen. Doch die Frauen holten langsam, aber sicher auf und näherten sich den Trinkgewohnheiten der Männer alle fünf Jahre um drei Prozent an, am stärksten kann dieser bedenkliche Trend nach dem Jahr 1966 beobachtet werden. Und bei den heute 15- bis 25-Jährigen herrscht nahezu Gleichstand. Da mittlerweile immer mehr Frauen in früheren Männerdomänen arbeiten, gehört der Feierabenddrink somit längst nicht mehr nur bei den männlichen Kollegen zum guten Ton und das Vorglühen vor einem ausgiebigen Discobesuch wird zunehmend auf von jungen Frauen praktiziert.
Frauen haben Männer zum Teil schon überholt
„Alkoholgebrauch und problematischer Alkoholgebrauch galten historische als Phänomen bei Männern“, schreibt das australische Forscherteam, „die aktuelle Studie stellt diese Vermutung infrage und legt nahe, dass konzentrierte Bemühungen, den Einfluss von Substanzen und den mit ihnen verbundenen Gefahren zu verringern, insbesondere auf junge Frauen abzielen sollten.“ Dazu Forschungsleiter Tim Slate: „Unsere Analyse zeigt, dass Frauen die Männer in einigen Bereichen sogar überholt haben.“ Und weiter: „Gerade in den Jahrgängen ab 1980 und besonders ab 1990 zeigte sich, dass Frauen fast so oft zum Rausch neigen wie Männer und - da sie weniger vertragen - fast ebenso häufig von alkoholbedingten Schäden betroffen sind. Was „problematisches Trinkverhalten“ angeht, liegt das Verhältnis zwischen Männern und Frauen für die Jahrgänge 1991 bis 2000 bei 1,2 zu 1.“
Alkoholreduzierung bei Frauen kaum bemerkbar
„Die Resultate dieser Forscher kann ich für Deutschland nur bestätigen“, zeigt sich Gabriele Bartsch von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen in Hamm wenig überrascht vom Ergebnis der Studien. Dass die Frauen beim Alkoholmissbrauch aufholen, ist für Gabriele Bartsch nichts Neues: „Wir beobachten schon länger, dass sich der Alkoholkonsum von Männern und Frauen samt der damit verbundenen Probleme immer mehr annähert.“ Den Grund für diese bedenkliche Entwicklung sieht die Suchtexpertin in der gesellschaftlichen Entwicklung, die sich in den vergangenen Jahrzehnten stark geändert hat. Bartsch: „Im Vergleich zu früher stehen Frauen voll im Erwerbsleben, haben ihr eigenes Geld und sind selbstbewusster. Auffallend dabei ist, dass Alkoholkonsum in Deutschland bei Frauen mit einem höheren Einkommen besonders weit verbreitet ist.“ Dazu kommt, so Gabriele Bartsch, dass die Getränkehersteller immer mehr Produkte auf den Markt bringen, die Frauen aufgrund von Marketingkampagnen und süßen Drinks zum Alkohol verleiten.
Werbespots speziell für Frauen
Die Direktorin des britischen Instituts für Alkohol-Studien, Katherine Brown, kennt ebenfalls diese Problematik. „Historisch gesehen haben Frauen nicht so viel getrunken. Es gab definitiv eine proaktive Anstrengung um Frauen dazu zu bringen, mehr zu trinken“, stellte sie in einem Interview mit dem britischen „Guardian“ fest. Als Beispiel nannte sie Babycham, ein Drink, der bereits im Jahr 1953 in Großbritannien auf den Markt kam und als erstes Alkoholprodukt im britischen Fernsehen beworben wurde, wobei der Spot gezielt Frauen ansprach. Ein Trend, der sich durchgesetzt hat. So gehört beispielsweise ein bekannte Firma, die Sahnelikör herstellt, zu den Sponsoren der beliebte Frauenserie „Desperates Housewives“.
Männer trinken weniger, Frauen nicht
Auch bei Michaela Göricke, die das Suchtreferat der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) in Deutschland leitet, läuten die Alarmglocken. „Zwar hat sich der Anteil junger Erwachsener, die regelmäßig – das heißt mindesten einmal pro Woche – Alkohol trinken, seit dem Jahr 1970 ungefähr halbiert, was eine erfreuliche Entwicklung im Sinne der Prävention ist, aber der gleiche Alkoholkonsum ist für Frauen auf Dauer gesundheitlich riskanter als für Männer“, sagt sie in einer ersten Stellungnahme. Michaela Göricke, die darauf hinweist, dass im Vergleich von zehn Jahren zwar deutlich weniger junge Männer Alkohol trinken, dieser an sich erfreuliche Trend sich bei jungen Frauen aber kaum bemerkbar macht: „Es geht nicht darum, jedes Glas zu verbieten, aber Frauen müssen noch stärker aufpassen als Männer, wie viele Suchtstoffe sie aufnehmen.“
Größeres gesundheitliches Risiko
Frauen sind tatsächlich mehr gefährdet, unter einer Folgeerkrankung eines Alkoholmissbrauchs zu leiden, da sie den Alkohol in der Regel nicht so schnell abbauen wie die Männer und Leber, Hirn, Herz und Kreislauf daher schneller und auch stärker geschädigt werden. Auch das Risiko, an einen Krebs zu erkranken, steigt schneller an, wenn Frauen über dem Limit trinken. Man wird also genau beobachten müssen, wie Stellen, die sich mit den Auswirkungen von Alkoholmissbrauch beschäftigen, auf diese – leider gar nicht mehr so neue – Entwicklung reagieren und in ihr Präventionsprogramm einbauen werden.
Foto: ABC (1)
Zum Thema: „Das alles ertrage ich nur, wenn ich trinke“