Andreas Herzog, stellvertretender Obmann der SVA, im „Alk-Info“-Gespräch
„Stress und Alkoholsucht hängen stark zusammen!“
von Harald Frohnwieser
Wer selbständig arbeitet, ist in Österreich bei der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVA) versichert. Und für so manchen Selbständigen ist Alkoholismus leider ein Thema, da viele unter einem enormen Stress stehen, was wiederum oft in ein Burnout mündet. Im großen „Alk-Info“-Gespräch sagt der stellvertretende Obmann der SVA, Alexander Herzog, dass Burnout und Alkoholabhängigkeit stark zusammenhängen. „Wer sich ausgebrannt fühlt, versucht, dies mit Alkohol abzufedern, wissen wir aus unterschiedlichen Erfahrungsberichten“, so Herzog. Deshalb bietet die SVA schon seit Jahren ihren Versicherten ein spezielles Alkoholprogramm an. Wobei eine Bewusstseinsbildung in Bezug auf Alkohol genauso wichtig ist wie die gemeinsam mit dem jeweiligen praktischen Arzt bestimmte Trinkmenge. Und wenn jemand bereits ernsthaft unter einer Alkoholsucht leidet, kümmert sich die SVA darum, dass der Betroffene möglichst schnell einen Therapieplatz bekommt.
„Alk-Info“: Herr Herzog, als stellvertretender Obmann der SVA werden Sie sicher sehr oft mit den gesundheitlichen Belangen Ihrer Klienten konfrontiert. Nun sind Ihre Versicherten in erster Linie Selbständige, die es nicht immer leicht haben und mitunter nur sehr selten ausspannen können. Ist Burnout im Zusammenhang mit Alkohol hier ein großes Thema?
Alexander Herzog: Das ist hier ein ganz großes Problem. Und leider wird die Grenze zwischen Burnout und Alkoholabhängigkeit sehr oft überschritten. Wobei es hier ein großes Problem der Selbstdeklaration gibt, das heißt, dass die Betroffenen sehr schwer ihre Abhängigkeit vom Alkohol zugeben.
Warum trinken Ihrer Erfahrung nach Selbständige sehr viel Alkohol, wenn sie unter Stress stehen?
Wer sich ausgebrannt fühlt, versucht, dies mit Alkohol abzufedern. Die Menschen kommen dann in einen Kreislauf hinein, aus dem sie sehr schwer wieder herauskommen. Hier ist vor allem eine Bewusstseinsbildung enorm wichtig, damit das Thema in den Köpfen drin ist. Wenn es erst einmal thematisiert ist, dann ist es schon leichter, weil sich dann der Betroffene mit seiner Arbeitssituation auseinandersetzt. Wenn man tagein tagaus im Arbeitstrott drin ist, immer wieder Leistungen bringen muss, dann merkt man es meist gar nicht, wie es um einen steht. Das ist schon komisch, man beschäftigt sich mit tausend Sachen am Tag, aber an die eigene Gesundheit denken die wenigsten.
Was sind diesbezüglich Ihre Erfahrungen auf dem Gebiet?
Ich bin überzeugt, wenn man sein Burnout in den Griff bekommt, bekommt man auch den Alkohol in den Griff. Das hängt zusammen.
Was für Lösungsansätze gibt es?
Da gibt es schon ein paar, wie man einen allzu großen Stress vermeiden kann. Zum Beispiel, den Terminkalender nicht ganz vollstopfen und sich ein oder zwei Stunden am Tag Zeit nur für sich zu nehmen. Oder mit der Arbeit eine Stunde später zu beginnen, damit man in Ruhe frühstücken kann. Ich rate auch dazu, das Handy am Abend abzuschalten. Die Welt geht nicht unter, wenn man ab 20 Uhr geschäftlich nicht mehr erreichbar ist. Das sind war nur Kleinigkeiten, aber die sind wichtig.
Ist das im normalen Arbeitsleben eines Selbständigen nicht schwer, diese Vorschläge konsequent durchzuziehen?
Als Selbständiger muss man einen Grat finden. Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, seine Arbeit nicht mit nach Hause zu nehmen. Ich weiß aber auch, dass das eine große Herausforderung ist. Aber da muss man eine Disziplin entwickeln.
Wie hoch ist die Zahl der Burnout-Gefährdeten Ihrer Einschätzung nach?
Wir schätzen, dass die Hälfte der Selbständigen davon betroffen ist. Und die gelangen auch schnell an die Grenze zum Alkoholismus. Nichts spricht dagegen, hin und wieder ein Glas Wein oder Bier zu trinken, wenn es einen schmeckt. Aber wenn man den Alkohol gezielt einsetzt, um seinen Stress abzubauen, dann wird es gefährlich. Oder wenn man schon zu Mittag Alkohol trinkt. Doch hier hat sich einiges gebessert, es bürgert sich zum Glück immer mehr ein, zu Mittag Alkoholfreies zu trinken.
Ist Alkohol in Ihrem Vorsorgeprogramm ein Thema?
Selbstverständlich ist dies eines der Gesundheitsziele in unserem Vorsorgeprogramm „Selbständig Gesund“ seit dem Jahr 2012 drinnen. Die Alkoholvorsorge ist neben Bewegung, Blutdruck, Gewicht und Nikotin eines der fünf Gesundheitsziele, die wir unseren Versicherten anbieten. Und wenn diese Ziele erreicht sind, dann zahlt der Versicherte nur noch den halben Selbstbehalt. Wobei wir auch immer wieder zielgruppenorientierte Programme entwickeln. So werden wir zum Beispiel im Herbst 2016 ein eigenes Vorsorgeprogramm für die selbständigen Gastronomen anbieten.
Was unterscheidet im Bezug auf Alkohol einen Gastronom von einem anderen Selbständigen?
Die Belastung aber auch der gesellschaftliche Druck sind bei den Wirten eine ganz andere. Der Alkohol ist quasi für sie immer verfügbar. Bei diesem speziellen Vorsorgeprogramm spielt neben den Themen Bewegung, richtige Ernährung, richtige Körperhaltung und Stressbewältigung auch Alkohol – der richtige Umgang damit – eine Rolle. Deshalb arbeiten wir zur Zeit gemeinsam mit der Fachgruppe Gastronomie der WKÖ an einem für sie eigens zugeschnittenen Vorsorgeprogramm.
Gibt es bereits Erfahrungen bei Ihrem Alkoholprogramm?
Wir können natürlich nicht kontrollieren, ob die Angaben, die unsere Versicherten ihrem jeweiligen Arzt machen, auch stimmen. Das kann auch der Arzt nicht überprüfen, wobei er natürlich schon merken würde, wenn man ihn bezüglich seines Trinkverhaltens anlügt. Aber unsere Versicherten, die beim Vorsorgeprogramm „Selbständig Gesund“ mitmachen, beginnen, sich mit ihrem eigenen Alkoholkonsum auseinander zu setzen, sie fangen an, darüber nachzudenken. Und damit sind sie schon dort, wo wir sie hinbekommen wollen. Das ist der erste Schritt. Der zweite Schritt lautet: „Habe ich wirklich ein Problem mit dem Alkohol?“ und der dritte Schritt beinhaltet die Frage, was man dagegen tun kann, wenn man ein Alkoholproblem hat.
Wenn jemand beim dritten Schritt angekommen ist und etwas gegen seine Alkoholsucht unternehmen will, wie wird er dann von der SVA unterstützt?
Wir versuchen immer, unsere Versicherten bevorzugt in die Therapieeinrichtungen unterzubringen. Auf diesem Gebiet haben sie unsere volle Unterstützung. Wenn jemand freiwillig zu uns kommt und sagt, dass er ein Alkoholproblem hat, dann ist das ja optimal. Die Normalität ist doch, dass man sehr lange auf jemanden einreden muss, bis er endlich etwas gegen seine Sucht unternimmt. Wenn jemand bei mir bei der Tür rein kommt und sagt, Herr Herzog, ich habe ein Alkoholproblem, bitte helfen Sie mir, dann werde ich das sofort tun.
Kann wirklich jeder, der bei Ihnen versichert und alkoholabhängig ist, zu Ihnen ins Büro kommen?
Ja, da kann jeder kommen. Ich bin ein Dienstleister, und deshalb kümmere ich mich um meine Kunden. Das ist der Grundservicegedanke der SVA: Die Leute zahlen bei uns ein und somit ist es das Mindeste, was wir tun können, uns um sie zu kümmern, wenn sie ein Problem haben, das über die Normalität hinausgeht.
Ist es in Österreich nicht schwer, einen Therapieplatz zu finden? Da betragen die Wartezeiten oft mehrere Wochen wenn nicht gar Monate.
Es ist leider schon so, dass wir in Österreich auf diesem Gebiet viel zu wenig Kapazitäten haben. Da muss man unbedingt etwas ändern, das ist keine Frage. Aber wir müssen noch viel mehr bei der Prävention etwas unternehmen. In den Schulen müssten wir zum Beispiel verstärkt reingehen, um die Kinder und Jugendlichen über die Gefahr einer Alkoholsucht und deren Folgen aufzuklären.
Wie sieht es mit den Kindern Ihrer Versicherten aus? Bietet die SVA bezüglich Gesundheitsvorsorge auch etwas für sie an?
Da haben wir den „Gesundheitscheck Junior“, der auch die Themen Alkohol und Nikotin beinhaltet, was aber bisher leider viel zu wenig in Anspruch genommen wird. Für die ärztliche Behandlung von Kindern wird auch kein Selbstbehalt verlangt. Denn die Sozialisierung von Kindern ist für uns das zentrale Thema. Wenn ein Kind ein stabiles Elternhaus hat, dann ist es einfach viel weniger anfällig für Alkohol und Nikotin. Da sind auch die Eltern sehr gefordert. Es gibt viel zu viele Kinder, die keinen geregelten Tagesablauf haben, die irgendwann einmal aufstehen, denen niemand ein Frühstück macht. Das sehe ich mit großer Sorge und da sehe ich die SVA in einer großen Verantwortung, hier vorzusorgen.
Ist die SVA unter anderen auch deshalb bei dem Wiener Projekt „Alkohol 2020“ dabei?
Ja, das ist ein wichtiger Grund, warum wir hier mitmachen.
Was erwarten Sie sich von „Alkohol 2020“?
Das kann ich nicht quantifizieren. Aber es ist ein wichtiger Mosaikstein auf dem Weg zur Bewusstseinsbildung, und da nutzen wir „Alkohol 2020“, um mit diesem Thema in die Breite zu kommen, weil eine Alkoholabhängigkeit nach wie vor ein großes Tabuthema ist, das auch von den Medien leider sehr gerne totgeschwiegen wird.
Gesundheitsziel Alkohol: Informationen
Fotos: Thomas Frohnwieser (2) Grafik: SVA (1)