Was tun, wenn es zu einem Rückfall kommt?
Weder Kavaliersdelikt, noch Katastrophe
von Harald Frohnwieser
„Ein Rückfall gehört halt zur Krankheit“, sagen Sucht-Spezialisten gerne und bringen damit zum Ausdruck, dass es sich um keine Katastrophe handelt, wenn ein ehemaliger Alkoholabhängiger nach einer längeren Zeitdauer der Abstinenz wieder zum Glas greift. Doch das ist freilich nur ein schwacher Trost für den Betreffenden und auch für dessen Angehörigen. Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) hat auf der Website www.alkoholrueckfall.de wichtige Tipps und Infos aufgelistet, was man tun kann, wenn ein Rückfall droht oder schon passiert ist. Für „Alk-Info“ gibt der Leiter der renommierten Suchtklinik „Zukunftsschmiede“ in Pressbaum bei Wien ebenfalls wertvolle Hilfestellungen zu diesem Thema.
Michael S. war an die zehn Jahre trocken. Seine zweite Frau kannte ihn nur im nüchternen Zustand, für sie war es normal, dass der gelernte Steuerberater keinen Alkohol trank. Und seine Freunde, die ihn noch aus früheren Zeiten kannten und sich gut daran erinnern konnten, wie tief Michael damals gesunken war, als er nach langem Zureden endlich in eine Suchtklinik eincheckte, zollten ihm größten Respekt. Niemand hätte je daran gedacht, dass der 49-Jährige einmal rückfällig werden könnte – und dennoch ist es passiert (siehe auch „Viele Gründe, um wieder mit dem Saufen zu beginnen“).
„Warum ich mir an diesem Tag in einem Gasthaus plötzlich ein Bier getrunken habe, kann ich nicht genau sagen“, erzählt Michael, „vielleicht weil es zum Essen passte, vielleicht aber auch, weil ich mit meiner Frau kurz zuvor einen heftigen Streit hatte. Ich habe mir also dieses verdammte Bier bestellt, habe es sehr schnell ausgetrunken und war sehr schnell beschwipst. Immerhin war ich den Alkohol seit zehn Jahren nicht mehr gewohnt, da fährt das Zeug schon ziemlich ein.“ Mehr trank Michael an diesem Tag nicht. In den nächsten Tagen lebte er wieder abstinent und dachte sich, dass „eh nichts passiert ist“. Erzählt hat er davon niemandem: „Dafür hätte ich mich doch etwas geschämt.“
Rückfall mit fatalen Folgen
Doch einen Monat später trank Michael erneut Alkohol – und diesmal blieb es nicht bei einem Glas. „Ab diesem Tag trank ich regelmäßig und war ständig betrunken“, gibt der Vater einer Tochter unumwunden zu. Die Folgen sollten fatal für ihn sein: sein Geschäftspartner trennte sich bald darauf von ihm, weil Michael betrunken bei Kunden erschien, und seine Frau reichte nach einem Autounfall, den ihr Mann im betrunkenen Zustand verursachte, die Scheidung ein. Heute ist Michael nach einem zweimonatigen Aufenthalt in einer Suchtklinik wieder trocken. „Es geht mir nicht schlecht“, sagt er, obwohl er weiß, dass er jetzt wieder von vorne anfangen und sich neue soziale Strukturen suchen muss.
Hätte Michael den Rückfall verhindern können? „Ein Rückfall passiert meist in besonderen (bzw. besonders riskanten) Situationen“, steht auf der Homepage der DHS zu lesen. Und weiter:
* ein Rückfall muss keine Katastrophe sein
* bedeutet nicht, dass man persönlich gescheitert ist
* kann Sie in Ihrer Abstinenz bestärken. Er bedeutet nicht, dass sie am Ziel (Abstinenz) gescheitert sind
Doch was hätte Michael tun sollen, bevor er sich das erste Bier nach all den Jahren bestellte? Dazu die DHS:
* Von 100 bis Null in Siebener Schritten hinunter zählen
* so viel Wasser trinken, bis nichts mehr reingeht
* Radio oder TV-Gerät einschalten und bestimmte Worte mitzählen
* sich mit anderen Sachen – wie z.B. Wörter spiegelverkehrt auf ein Blatt Papier schreiben, abzulenken
Doch was führt zu einem Rückfall? Auch hier gibt es einige Hinweise, die man beachten sollte:
* keine gute Tagesstruktur
* Langeweile oder Überforderung im Arbeitsbereich
* zu wenig schöne Aktivitäten
* negative Gefühle, Einsamkeit, Angst
Für den Leiter der Therapieeinrichtung „Zukunftsschmiede“ in Pressbaum bei Wien, Christian Voggeneder, sind vor allem Einsamkeit und Isolation ausschlaggebend dafür, dass jemand rückfallgefährdet ist. „Die Einsamkeit spielt hier eine große Rolle“, spricht er im „Alk-Info“-Gespräch aus seiner langjährigen Erfahrung, „denn man ist als ehemals Süchtiger, der frisch und trocken aus einer Therapie kommt, oft gefordert, den Freundeskreis zu wechseln. Denn sich weiterhin mit jenen Kumpels zu treffen, mit denen man früher getrunken hat, ist nicht sinnvoll. In einem solchen Fall wäre ein Rückfall schon vorprogrammiert.“ Deshalb rät der Suchtspezialist dazu, sich eine neue Aufgabe zu suchen. Denn mit einer solchen ergeben sich auch neue soziale Kontakte: „Man kann mit einer Ausbildung beginnen oder, wenn das nicht möglich ist, eine ehrenamtliche Tätigkeit annehmen, die einen interessiert. Hier kommt man mit Gleichgesinnten in Kontakt, kann sich austauschen und es ergeben sich erfahrungsgemäß oft auch neue Freundschaften.“
Sinnvolle Tagesstruktur ist wichtig
Christian Voggeneder weiß auch, dass so manche seiner Patienten bei Therapieende Angst vor dem Heimgehen haben: „Für diejenigen, die in ihrem Familienverband zurückkehren können, ist eine Gedanke an einen Rückfall meist kein Thema, aber für diejenigen, die das nicht können, ist es eine Herausforderung, nicht wieder zum Glas zu greifen.“ Deshalb rät er dazu, sich eine sinnvolle Tagesstruktur zu suchen, denn ein Zurückkommen aus dem geschützten Bereich der Therapie bedeutet auch einen emotionalen Stress. „Manche haben auch einen Wohnungswechsel vor sich, und so etwas macht immer ein wenig instabil. Deshalb sollte man sich gedanklich darauf einstellen, dass in den ersten zwei Wochen vielleicht Gedanken aufkommen, diesen Stress mit Alkohol zu bekämpfen. Doch wenn einem klar ist, dass dieser Stress nur für kurze Zeit andauert, bis sich wieder Normalität einstellt, kann man diese Phase ohne Rückfall bewältigen“, so Voggeneder.
Rückfall ist nicht gleich Rückfall
Was aber ist zu tun, wenn der Rückfall passiert ist? Dazu schreibt die DHS auf ihrer Homepage, dass es Unterschiede gibt. Trinkt man nur einmal etwas und hört dann wieder auf, dann handelt es sich, so die Fachleute, lediglich um einen Ausrutscher, kippt man aber wieder in alte Verhaltensmuster rein, dann handelt es sich sehr wohl um einen Rückfall. Doch ein Rückfall muss laut DHS keine Katastrophe sein: Viele Abhängige müssen den Umweg über einen Rückfall machen um eine dauerhafte und zufriedene Abstinenz zu erreichen.
Keine Selbstentwertung
Eine Ansicht, die auch Christian Voggeneder vertritt: „Wenn ein Rückfall passiert ist, ist es wichtig, dass man nicht in die Selbstentwertung geht, denn dass verstärkt nur die Wiederholung. Daher sollte einem immer bewusst sein, dass man ja schon viel bewiesen hat, indem man eine gewisse Zeit lang keinen Alkohol getrunken hat. Dazu zählt bereits der Aufenthalt in der Therapie. Dass man während dieser Zeit nicht rückfällig wurde, ist ja nicht der Verdienst der Therapeuten, sondern der eigene. Es wird ja niemand gegen seinen Willen in einer Einrichtung festgehalten.“ Voggeneder rät auch, zum Telefon zu greifen und seinen Therapeuten in der Einrichtung zu kontaktieren: „Wenn man sich das, was passiert ist, von der Seele reden kann, dann tritt meist eine große Erleichterung ein. Und wenn nicht, so kann man sich ja für zwei Wochen nochmals in Therapie begeben, um alles, was man dort gelernt hat, nochmals aufzufrischen.“
Es ist also enorm wichtig, nicht in Panik zu verfallen oder sich selbst zu geißeln, wenn man wieder getrunken hat. Denn die Monate oder Jahre, die man völlig abstinent gelebt hat, die gibt es nach wie vor und die kann einen niemand nehmen. Man kann vielmehr darauf wieder aufbauen. Sicher, ein Rückfall, oder sei es nur ein sogenannter Ausrutscher, ist nichts Spaßiges oder ein Kavaliersdelikt. Es ist eine ernstzunehmende Angelegenheit, der man sich unbedingt stellen muss. Aber eine Katastrophe, die gleich den Weltuntergang einläutet, ist sie auch nicht.