Abhängige und Mitbetroffene
Offen statt besoffen
von Burkhard Thom
Burkhard Thom, der für „Alk-Info“ schon einige Artikel geschrieben hat, ist ein seit vielen Jahren trockener Alkoholiker und erfolgreicher Autor mehrerer Bücher. Vor allem Angehörige von trinkenden Alkoholikern sind ihm ein großes Anliegen, deshalb betreibt er bereits seit einiger Zeit einen interessanten Podcast zu diesem Thema. Im untenstehenden Bericht richtet er sich an das familiäre Umfeld von Suchtkranken, aber auch an Freunde, Bekannte oder Kollegen und gibt wertvolle Tipps, wie man aus der nach unten gehenden Spirale einer „Co-Abhängigkeit“ wieder herauskommen kann.
Wir haben in Deutschland rund zwei Millionen erfasste Alkoholiker, dagegen stehen aber rund acht bis zehn Millionen Menschen, die direkt oder indirekt als Mitbetroffene bezeichnet werden. Egal ob wir über Familienmitglieder, wie Kinder und Partner reden, Freunde, Kollegen oder Nachbarn, die Zahl von Menschen, die von der Alkoholsucht anderer betroffen sind, ist riesig.
Die Mitbetroffenen haben so gut wie keine Lobby. Sie sind allein gelassen, werden ignoriert und von ihrem eigenen Umfeld kaum oder gar nicht wahrgenommen. Dabei ist „Co-Abhängigkeit“ in den USA inzwischen als Krankheit anerkannt. In Deutschland ist dies leider noch nicht der Fall. Für den Begriff der Co-Abhängigkeit gibt es unterschiedliche Definitionen, inzwischen hat sich jedoch herauskristallisiert, dass es sich nicht um ein Mitkonsumieren handelt, sondern in erster Linie um die Verbindung zum Suchtkranken. Es existieren Suchthilfegruppen und Therapeuten, die sich auf diese Gruppe spezialisiert haben, aber es gibt derzeit insgesamt viel zu wenig Unterstützung für sie.
Wie aber gestaltet sich ihr Alltag?
Häufig existiert ein intaktes Familienleben, so glaubt man zumindest.
Angehörige von Alkohlikern sind häufig schwer traumatisiert und müssen erst lernen, ihr Leben zu meistern. Es gibt keine Regel dafür, keinen Anhaltspunkt oder eine „Bedienungsanleitung“. So unterschiedlich wie die Menschen, so unterschiedlich sind auch die Verläufe. Das familiäre Umfeld bekommt zu Beginn den „Start“ in ein Suchtverhalten gar nicht mit. Vieles findet heimlich statt. Die versteckten Falschen, das heimliche Trinken und die Lügen, die Abwehr und die unerfüllten Versprechungen, all dies steigert sich und wird immer zu spät entdeckt.
Geht es dann um Trennung, Verlust der Kinder oder andere „Hilfsmittel“, „kann“ es zu einer Veränderung kommen, die Chance dazu ist jedoch äußerst gering, die Einsicht hält nur kurz an und der „alte“ Konsum wird wieder aufgenommen, die Konsequenzen werden verdrängt.
Horrorszenario für Familienmitglieder
Das Verhalten der Betroffenen ist sehr häufig vergleichbar. Sie ziehen sich zurück, der Freundeskreis wird kleiner, eigener Antrieb fehlt und das Familienleben bleibt letztlich ganz auf der Strecke. Für die Familienmitglieder beginnt ein Horrorszenario. Jeder Versuch, eine Veränderung herbeizuführen, scheitert. Schuldzuweisungen beginnen, es gibt kaum noch Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme, die Belastung für die Familie steigert sich extrem.
Die Suchtkranken leben (spätestens) jetzt in ihrer eigenen Welt. Die Angehörigen erreichen den/die Betroffenen nicht mehr und es beginnt der Zweifel und das Gefühl, „hätte ich etwas ändern können“ breitet sich aus. Ich will jetzt hier nicht weiter auf das Verhalten des Suchtkranken eingehen, er flüchtet sich immer tiefer in sein Suchtverhalten, psychische und physische Aussetzer begleiten seinen Weg. Vom Eigenentzug (kalt und gefährlich) über unkontrollierte Handlungen wie Gewalt, Fahrten unter Alkohol, totale Aussetzer usw. nehmen die Exzesse zu, die Familie wird völlig vernachlässigt.
Versuche zum Scheitern verurteilt
Die Familie übernimmt in dieser Phase häufig die Verantwortung, versucht zu entschuldigen, zu steuern und zu verändern. Alles wird scheitern. Auch die Versuche, mit dem Betroffenen Gespräche zu führen, enden häufig in Aggression und Schuldzuweisung, zu einer Verhaltensveränderung führen sie meist nicht. Hier ist es wichtig, dass die Angehörigen beginnen eigene Wege zu gehen. Ich beschreibe dies immer mit: mehr Selbstbewusstsein, mehr Selbstvertrauen und etwas Egoismus.
Die eigenen Wünsche, die eigenen Bedürfnisse und das eigene Leben sollten in den Mittelpunkt gerückt werden.
Eine Veränderung des trinkenden Partners scheidet aus. Ohne Einsicht und eigenem Willen wird sich nichts ändern. Ein alter Wahlspruch: „Nur Du allein kannst es schaffen, aber Du schaffst es nicht alleine“, darf nicht dazu führen, dass die Familie glaubt, selbst eine Veränderung herbeiführen zu können.
Distanzierung ist der richtige Begriff
Deshalb das eigene Leben verbessern, eigene Wege suchen, eigene Kontakte wiederaufbauen und die eigenen Bedürfnisse in den Vordergrund rücken.
Ich bin grundsätzlich kein Mensch, der gerne über Trennung redet oder diese priorisiert. Distanzierung ist hier der richtige Begriff. Das eigene Leben in den Mittelpunkt stellen und zusehen, dass die Lebensumstände erträglich werden.
Wird der trinkende Partner einsichtig, macht eine Therapie, dann beginnt eine erneute Phase des Misstrauens. Trinkt er wieder, hält er durch, gibt es Rückfälle? Nachvollziehbare Ängste und Sorgen. Hier sind Selbsthilfegruppen, Psychologen und Gesprächstherapien angesagt. Enttäuschungen und Rückfälle können vorkommen, sollten aber ausgeschlossen werden. Die Freigabe von „ein Rückfall gehört dazu“ unterstützt nicht den Willen der Abstinenz.
Noch ein paar Worte zum Thema „Wie erkenne ich Suchtverhalten?“
Zunächst noch der Hinweis auf einen häufig benutzten Irrtum, das kontrollierte Trinken. Dies funktioniert nicht bei Abhängigkeit, sondern ausschließlich bei Alkoholmissbrauch.
Einige Kriterien zum Suchtverhalten:
Ich kann nicht aufhören, das Verlangen nach der Substanz wird immer größer
Ich verliere die Kontrolle über mein Verhalten (Zeit und Menge sind unwichtig, werden gesteigert)
Ich fokussiere mich auf mein Suchtmittel, mein Umfeld ist unwichtig
Ich habe keinen Spaß an anderen Dingen, die Sucht steht im Vordergrund
Ich schwanke zwischen aggressiv, freundlich und andere Emotionen
Das was DU fühlst ist mir egal
Das eigene Verhalten wird entschuldigt – ich trinke ja nur…., ich kann jederzeit aufhören, andere trinken mehr
Ich trinke heimlich
Typische Entzugserscheinungen wie Schwitzen, zittern, schwarz vor den Augen, Schlafstörungen, Konzentrationslücken, mitunter auch Krampfanfälle
Gleichgültigkeit, egal ob im privaten oder geschäftlichen Bereich
Es zählt nur noch das eigene Leben; Familie, Umfeld und Beruf sind völlig gleichgültig
Hier noch Anmerkungen für die Menschen aus dem Umfeld:
Die wichtigste Maßnahme: Unterstützung suchen.
Selbsthilfegruppen, Psychologen und Berater der Suchthilfe kontaktieren und nach Lösungen suchen. Dies gilt insbesondere auch für den Fall, dass Kinder in den Familien leben, sie sind besonders betroffen und wie bereits angesprochen können die Spätfolgen extrem sein.
Grundsätzlich gilt:
Die Angehörigen trifft keine Schuld, nur der Suchtkranke kann die Situation verändern
Vorwürfe helfen nicht, sie kommen beim Konsumierenden nicht an
Lügen und Versprechungen nicht glauben
Regeln aufstellen und Konsequenzen einfordern. Dies aber nur, wenn man bereit ist, sich selbst an die Konsequenzen zu halten
Keine Geheimnisse mehr aus dem Trinkverhalten machen. Offen statt besoffen. Je klarer die Situation, desto weniger Möglichkeiten etwas zu verheimlichen
Die wichtigste Erkenntnis: DU bist wichtig. Den Trinkenden kannst Du nicht ändern, denk also zunächst an Dich.
Über allem steht aber immer der Leitsatz: Hilfe suchen!
„Alkohol – Ein Hilfeschrei, Ratgeber und mehr“ - so heißen die Podcast-Reihe und der Ratgeber von Burkhard Thom aus Bergheim. In den Episoden spricht Burkhard Thom über seine Erfahrungen mit dem Thema Alkoholismus. Welche Folgen hat die Sucht? Worauf müssen Alkoholiker im Alltag achten? Wie sollten Angehörige mit Suchtkranken umgehen, ohne in die Co-Abhängigkeit zu geraten?
Zum Podcast: NRWision oder Spotify
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