Wie verhalten sich Angehörige nach der Therapie des Partners richtig?
Reden ist erwünscht, Kontrollen jedoch nerven!
von Harald Frohnwieser
Endlich. Endlich geschafft. Der Partner, die Partnerin, hat sich nach einem sehr langen Leidensweg dazu entschlossen, sich in eine Therapie zu begeben, um die Alkoholsucht in den Griff zu bekommen. Doch während er/sie in einer Suchtklinik verweilt, stehen die Angehörigen zu Hause vor einer neuen Herausforderung: Wie soll man sich richtig verhalten, wenn er/sie wieder heimkommt? Soll man Fragen stellen, was in der Therapie so vor sich ging? Soll man ebenfalls dem Alkohol abschwören? Und: Was sagt man den Bekannten, wenn sie fragen, wo der Partner, die Partnerin denn gerade sei? „Alk-Info“ hat zwei Suchtexperten, Dr. Thomas Legl, Leiter der Suchtklinik „Peterhof“, und Dr. Georg Psota, Chefarzt des Psychosozialen Dienstes in Wien, dazu befragt.
Michael hat es geschafft. Er hat dem Drängen seiner Gattin Monika nachgegeben und endlich eingesehen, dass er in eine Therapie muss, um mit dem Trinken aufzuhören. Monika hat lange auf diesen Moment gewartet, schließlich war das Leben mit ihrem Mann geprägt von der Angst, dass er sich zu Tode saufen könnte oder bei einem Autounfall, den er in betrunkenem Zustand verursacht, schwer verletzt wird oder gar stirbt. Oder dass er seinen Job verlieren könnte. Doch nach der ersten Erleichterung, dass nun nicht mehr sie für ihn verantwortlich ist sondern die Experten der Suchtklinik steht Monika vor einigen neuen Fragen, die sie beschäftigen.
Soll Monika ihren Mann auf seine Therapie ansprechen?
Dazu der Leiter der privaten Suchtklinik „Peterhof“ im niederösterreichischen Reichenau an der Rax, Dr. Thomas Legl: „Das ist eine Frage, wie offen man in einer Beziehung ist. Grundsätzlich gilt, je mehr sich die Partner mitteilen, desto besser ist es. Aber Vorsicht. Wenn der Partner, die Partnerin, es gewohnt war, den Alkoholkranken während dessen Suchtkarriere zu kontrollieren und dieses inquisitorische Verhalten jetzt weitergeht und er oder sie alles bis ins kleinste Detail wissen möchte, dann führt das sofort zum Widerstand des Betroffenen. Dann sollte er das auch ansprechen: „Ich spüre, dass du mich kontrollieren willst.“ Besser ist es, wenn Angehörige z.B. sagen: „Mich würde interessieren, was ihr in der Therapie gemacht habt. Wie ist es dir dabei ergangen?“ und nicht: „Hast du eh alles erzählt, was du im Rausch so aufgeführt hast?“
Für Thomas Legl steht fest, dass sich die Heilungschancen für den Betroffenen erhöhen, je größer das aufrichtige Interesse des Angehörigen ist.
Auch der Chefarzt des Psychosozialen Dienstes in Wien, Dr. Georg Psota, plädiert dafür, dass Angehörige Fragen nach dem Therapieablauf stellen sollen: „Wenn jemand an der Galle operiert wurde, fragt man ja auch, wie es war.“ Psota rät auch, den Betroffenen in der Therapie regelmäßig zu besuchen, weil da die Fragen schrittweise erfolgen können.
Falls Michael signalisiert, dass er nicht über seine Therapie reden möchte, soll Monika sie trotzdem ansprechen?
Dazu Thomas Legl: „Wenn ein Betroffener nach einer Therapie sehr verschlossen ist, dann wird das einen Grund haben, da bringt Drängen nichts. Aber der oder die Angehörige könnte fragen, warum der Partner, die Partnerin so verschlossen ist. Damit wird thematisiert, dass zur Zeit in der Beziehung etwas nicht stimmt.“ Für den Leiter der Suchtklinik „Peterhof“ steht auch fest, dass Verschlossenheit eines der typischen Hintergründe einer Alkoholsucht ist: „Daran muss gearbeitet werden. Prinzipiell gilt, wenn jemand nach einer Therapie noch immer alles mit sich selber ausmacht, dann ist in der Therapie etwas schief gelaufen.“
Wie erklärt man den Freunden, Nachbarn und Bekannten die lange Abwesenheit des Partners?
Eine Alkoholtherapie dauert meist acht Wochen lang. In dieser Zeit ist der Betroffene weg vom Fenster und nicht selten wollen Freund, Nachbarn und Bekannte wissen, wo er/sie denn so lange sei. Georg Psota rät hier zu einem offenen Umgang: „Man kann ruhig den Leuten sagen, dass der Partner, die Partnerin derzeit eine Alkoholtherapie absolviert. Aber vorher muss man den Betroffenen fragen, ob das auch so gewollt wird.“ Doch wer ein guter Freund ist, der wird die Wahrheit verstehen, ist Psota überzeugt. In der Firma kann das mitunter anders aussehen. „Da kommt es ganz auf den Betrieb an“, so Psota, denn oft ist man, wenn die Chefs und die Kollegen von der Alkoholerkrankung eines Mitarbeiters wissen, von Führungspositionen ausgeschlossen.“
Für Thomas Legl ist Offenheit gegenüber den Freunden und Bekannten meist ein Vorteil, obwohl das mitunter ein „sehr heikle Frage sei“. Aber: „Die Wahrheit ist immer das Beste. Die meisten Freunde und Bekannte wussten ja meist schon lange, dass es da ein Alkoholproblem gibt und sie reagieren meist sehr positiv darauf, dass der Betroffene endlich etwas gegen seine Sucht unternimmt.“ Schafft es ein Angehöriger aber nicht, offen über die Alkoholtherapie des Partners zu reden, so könne er sagen, dass der Partner, die Partnerin, wegen Überlastung in Therapie ist. „Eine Burnout-Erkrankung wird heutzutage fast immer akzeptiert“, so Legl, der weiß, dass die Alkoholsucht von vielen Menschen noch immer nicht als Krankheit akzeptiert wird: „Das treibt viele Alkoholkranke und deren Angehörige leider in eine Verheimlichung.“
Soll Monika, wenn ihr Mann wieder zu Hause ist, gänzlich auf den Alkohol verzichten, obwohl sie gerne zum Essen ein Glas Wein trinkt?
Dazu Thomas Legl: „Meist ist es so, dass die Betroffenen sagen, dass sie es aushalten müssen, wenn der Partner, die Partnerin in ihrer Gegenwart Alkohol trinkt. Aber ich bin sehr dafür, dass es zu Hause keinen Alkohol gibt, zumindest im ersten Jahr nach dem Entzug. Man muss ja nicht mit dem Feuer spielen.“ Denn sehr oft ist der Griff zur Flasche die Folge einer spontanen Reaktion. „Der Gang zur Hausbar, zum Kühlschrank oder in den eigenen Weinkeller ist schnell gemacht, da braucht man nicht allzu lange zu überlegen, dass man dabei ist, einen Rückfall zu provozieren“, so Legl.
In einem Restaurant hingegen sieht es etwas anders aus. Hier könne, so Legl, ein Angehöriger ruhig ein Glas Bier oder Wein trinken: „Wenn man dann wieder geht, ist der Alkohol weg.“
Schwierig wird es, so Thomas Legl, dann, wenn ein Angehöriger ebenfalls ein Alkoholproblem hat: „Da ist der Misserfolg schon vorprogrammiert, weil der Angehörige dann gar nicht daran interessiert ist, dass der Partner oder die Partnerin mit dem Trinken aufhört.“
Georg Psota ist der Ansicht, dass man sich als Angehöriger so normal wie möglich verhalten solle und sieht keinen Grund darin, dass man in der Gegenwart eines trocken gewordenen Alkoholikers keinen Tropfen Alkohol mehr trinken dürfe. „Grundsätzlich bin ich nicht dafür, dass ein Angehöriger ganz damit aufhört, denn das ist nicht die Welt, in der wir leben. Mann soll kein allzu großes Aufsehen machen, was die Alkoholkrankheit des Partners oder der Partnerin betrifft, denn viele Betroffene halten eine allzu große Rücksichtnahme nicht aus.“ Aber, so Psota weiter, wenn ein Betroffener sagt, dass es es im Moment schwer aushalte, wenn man in seiner Gegenwart trinkt, dann sollte man sich selbstverständlich daran halten.
Soll Monika mit ihrem Mann zu einer Familienfeier oder zu einer Party gehen?
Georg Psota sieht darin eine geringe Gefahr für den Betroffenen. „Bei Familienfeiern passieren die wenigsten Rückfälle. Viel gefährlicher sind da die Momente der Einsamkeit. Wenn jemand unbegleitet ist und alles im stillem Kämmerchen mit sich ausmacht, dann hat er es schon schwer.“
Auch Thomas Legl rät seinen Patienten nicht davon ab, eine Familienfeier zu besuchen. „Zu stabilen Personen sage ich, dass sie ohne weiteres dorthin gehen können, aber nur für eine begrenzte Zeit. Man muss ja nicht sieben Stunden dort bleiben. Die Besäufnisse finden meist erst später statt, und da ist es besser, wenn man vorher geht. Denn meiner Erfahrung nach passiert ein Rückfall bei einer Feier erst nach mehreren Stunden der Anwesenheit. Da erzählen mir dann die Patienten, dass sie fünf Stunden lang bei Soda-Zitron gesessen sind, und dann wollten sie plötzlich ein Bier oder einen Wein trinken.“
Soll Monika ihren Mann oft daran erinnern, dass er Alkoholiker ist und daher nichts mehr trinken darf?
Georg Psota kann gut verstehen, dass Sätze wie „Du bekommst keinen Alkohol, weil du nichts mehr trinken darfst“ unerträglich für die Betroffenen sind. „Das sind erwachsenen Menschen, die das ja selber wissen. Die handeln ohnehin so, wie sie handeln können.“
Soll Monika ihren Mann testen, ob er wieder trinken möchte, indem sie ihm Alkohol anbietet?
Laut Georg Psota wäre dies ein schwerer Fehler: „So etwas ist unbedingt zu unterlassen. Mehr ist dazu nicht zu sagen.“
Soll Monika ihren Mann kontrollieren?
Auch davon raten die beiden Experten ab. Sowohl Georg Psota als auch Thomas Legl sind der Ansicht, dass eine ständige Kontrolle nur nervt und den Betroffenen in einer gewissen Art entmündigt. Außerdem bringe es nichts, da Alkoholiker, wenn sie ihren Rückfall vor den Angehörigen verheimlichen wollen, in der Regel sehr kreativ sind. „Ständiges Nachschauen oder sich anhauchen lassen, nervt nur und ist eine Gefahr für die Beziehung“, so Georg Psota. Wenn aber, so Psota weiter, eine offensichtliche Alkoholisierung vorliegt, dann hat hat der Angehörige das Recht, das offen anzusprechen.
Thomas Legl ist in diesem Fall für einen Alk-Test, um Unklarheiten zu beseitigen: „So ein Test kann Klarheit verschaffen.“
Soll Monika eine Selbsthilfegruppe für Angehörige besuchen?
„Ich halte Selbsthilfegruppen wie die Al-Anon (siehe auch „Der lange Weg des Vertrauens“) oder die Angehörigengruppen vom Blauen Kreuz (siehe auch „Die Schwerarbeit beginnt mit der Trockenheit“) für extrem hilfreich“, ist es für Thomas Legl keine Frage, dass sich ein Angehöriger Hilfe von anderen Angehörigen holen soll. Auf alle Fälle sei es ratsam, sich über die Krankheit des Betroffenen zu informieren. „Das kann schon bei der Therapieeinrichtung, in der die Therapie absolviert wird, geschehen“, so Legl.
Soll Monika weiterhin Rum für den Kuchen oder Rotwein für das Wildragout verwenden?
Georg Psota rät davon ab: „Erstens ist ein gewisser Restalkohol in den Speisen vorhanden, und zweitens kann der Geruch von Alkohol unangenehme Erinnerungen auslösen. Das passiert natürlich auch, wenn man eine Rum-Essenz verwendet.“
Michael hat schon oft versprochen, dass er mit dem Alkohol Schluss macht. Warum soll ihm Monika ausgerechnet jetzt vertrauen?
Dass Angehörige skeptisch sind, nachdem ihnen schon so oft versichert wurde, dass ab sofort Schluss mit dem Alkohol sei, ist für beide Sucht-Experten verständlich. Thomas Legl: „Das ist extrem häufig. Deshalb versuche ich, den Angehörigen die positive Seite schmackhaft zu machen. Ich sage ihnen, dass es möglich ist, dass der Betroffene vielleicht wieder rückfällig wird, dass es aber sehr wichtig ist, ihn oder sie schnell wieder aufzufangen. Da kann ich den Angehörigen nur dazu raten, es ganz einfach geschehen zu lassen wie bei jemanden, der oft eine Grippe hat. Aber zu wissen, dass es eine Hilfestellung gibt, die den Betroffenen wieder auffängt, ist enorm wichtig.“
Wichtig ist es nach Ansicht Legls auch, einen Rückfall nicht persönlich zu nehmen. „Damit zu hadern, dass man so viel für den Partner, die Partnerin, getan hat und nun dankt er oder sie damit, wieder zu trinken, bringt nichts. Alkoholismus ist eine chronische Erkrankung, an der niemand schuld ist. Weder der Angehörige noch der Betroffene selbst.“
Al-Anon: www.al-anon.at / www.al-anon.de / www.al-anon.ch
Blaues Kreuz: www.blaueskreuz.at / www.blaueskreuz.de / www.blaueskreuz.ch
Fotos: Thomas Frohnwieser (4)