Alkoholismus und Wissenschaft
DAS Alk-Gen gibt es nicht!
von Harald Frohnwieser
Beim 2. Presseforum der Wiener Niederlassung des dänischen Pharmazierkonzerns Lundbeck wurden erneut ernüchternde Zahlen präsentiert. Dr. Michael Musalek, ärztlicher Leiter des Anton-Proksch-Instituts (API) in Wien-Kalksburg, stellte einmal mehr fest, dass es in Österreich bereits 360.000 Menschen gibt, die als alkoholkrank einzustufen sind, weitere 750.000 gelten als gefährdet. Die Vizepräsidentin der Wiener Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin, Dr. Barbara Degn, meinte dazu, dass die Alkoholkrankheit mittlerweile ein heimliches Volksleiden mit epidemischen Ausmaßen sei. Und Univ.-Prof. Dr. Markus Hengstschläger, Vorstand des Instituts für Medizinische Genetik, ging der Frage nach, ob die Gene daran schuld sind, wenn jemand mehr Alkohol trinkt als ihm gut tut.
Der Mensch verfügt über etwa 22.500 Gene. Aber eines gleich vorweg: Ein ganz spezifisches Alkoholgen (Trinker-Gen) gibt es nicht. „Es gab einmal ein Gen, das im Verdacht stand, für eine Alkoholabhängigkeit verantwortlich zu sein“, so Markus Hengstschläger, „aber das hat sich nicht bestätigt.“ Deshalb, so der Wissenschaftler, sei es jetzt so gut wie sicher, dass es kein spezifisches Alk-Gen gibt und „dass es nie eines geben wird, da es sich bei der Alkoholkrankheit um eine multifunktionale Erkrankung handelt.“ Aber: „Die Genetik spielt trotzdem eine Rolle dabei. Denn es gibt viele Gene, die hier eine gewisse Rolle spielen können. Es ist ein eindeutiger genetischer Einfluss auf die Suchtentstehung im Allgemeinen und auf die Alkoholabhängigkeit im Speziellen anzunehmen.“
So belegen zum Beispiel Daten aus der Zwillingsforschung, dass genetische Faktoren von großer Bedeutung für die Entstehung einer Alkoholabhängigkeit sind. „Diese Studien zeigen aber andererseits auch klar, dass die Manifestation dieser Erkrankung zu etwa 30 bis 50 Prozent auch von nichtgenetischen Faktoren mitbestimmt wird“, so Hengstschläger. Aus diesem Grund rät der Genetiker auch von teuren Gentests, wie sie im Internet angeboten werden, ab: „Die sind nicht sinnvoll, denn sie können nur eine gewisse Wahrscheinlichkeit zu einer Suchterkrankung aufzeigen. Dass der Mensch, dessen Gene zu diesem Zweck untersucht werden. tatsächlich im Laufe seines Lebens zum Alkoholiker wird, kann wissenschaftlich nicht vorhergesagt werden.“
Alkoholabbau spielt eine Rolle
Aber welche Gene spielen bei einer Alkoholerkrankung eine Rolle? Prim. Dr. Kurosch Yazdi, Leiter des Zentrums für Suchtmedizin des Kepler Universitätsklinikums in Linz, schreibt in einem Gastkommentar in der von der Firma Lundbeck herausgegebenen Zeitschrift „innenwelt“, dass zum Beispiel beim Abbau von Alkohol im Blut die Gene verantwortlich sind. „Wer rasch abbaut hat die Phase der Alkoholisierung bald wieder überwunden. Wer langsamer abbaut steht länger unter einem gewissen Alkoholeinfluss. Schon der weitere Konsum von geringen Mengen kann in Richtung Suchtverhalten führen“, so Yazdi und verweist auf die Indianer Nordamerikas, die solch langsame „Alkoholabbauer“ waren.
Deshalb, betonte Michael Musalek in seinem Vortrag, ist eine Alkoholabhängigkeit keine Frage der Menge: „Es kann jemand wenig trinken, und trotzdem süchtig werden wenn er regelmäßig Alkohol konsumiert und ein anderer wiederum kann sehr viel Alkohol trinken, ohne dass er davon abhängig wird.“ Dass aber jede Suchterkrankung mit einem seelischen Desaster beginnt, davon ist Musalek überzeugt.
Mehr Fortbildung für Hausärzte
Die Allgemein Medizinerin Barbara Degn stellte fest, dass das Risiko, in eine Abhängigkeit zu geraten, im Alter von 25 bis 40 Jahren am größten ist. „Rund 30 Prozent der über 50-jährigen Männer in unserem Land sind Problemkonsumenten und trinken mehr als drei Krügel Bier (60mg reiner Alkohol, Anm.) am Tag“, so die Ärztin, die zu mindestens zwei alkoholfreie Tage pro Woche rät. Für die Hausärzte, die oft erste Ansprechpartner der Patienten sind und eine 15 Mal höhere Kontaktdichte zu Alkoholikern haben als die Facheinrichtungen, wünscht sie sich mehr Zeit für die Ärzte, um auf die Probleme der Patienten einzugehen. „Die wenigsten gehen ja zu einem Arzt und sagen, dass sie Alkoholiker sind, sondern sie kommen, weil sie Probleme mit dem Magen, mit der Leber haben oder weil sie sich im Rauschzustand häufig verletzen. Um diese Patienten dann davon zu überzeugen, dass sie ein Alkoholproblem haben, dazu braucht man wohl mehr als ein paar Minuten“, ist Barbara Degn davon überzeugt. Und fordert: „Es muss mehr Fortbildung für die praktischen Ärzte angeboten werden und wir brauchen auch mehr Anlaufstellen für Alkoholkranke.“ Letzteres dürften vor allem die Bewohner des Burgenlandes benötigen – gibt es doch, was den Alkoholismus betrifft – ein deutliches West/Ost-Gefälle: „Am meisten wird im Burgenland getrunken“, stellt Barbara Degn fest.
Gute Chancen
Aber egal, ob im Osten oder im Westen – wichtig sei immer die Früherkennung, betont Degn. „Je früher das Risiko erkannt wird und eine erste Intervention gesetzt wird, umso eher besteht eine Chance, den drohenden problematischen Verlauf zu verhindern, nämlich den Übergang von Gefährdung zum tatsächlichen Alkoholmissbrauch und schließlich zur Abhängigkeit.“ Michael Musalek kann dem nur zustimmen: „Von allen chronischen Erkrankungen hat die Alkoholkrankheit die besten Prognosen. Wer eine Therapie macht und weiterhin in Behandlung ist, hat eine Chance von 70 Prozent, seine Sucht zu überwinden.“ All jene freilich, die keine Therapie in Anspruch nehmen und auch nicht zu Selbsthilfegruppen gehen, haben weniger gute Karten – hier liegt die Erfolgsquote bei lediglich zehn Prozent. Wenn überhaupt…
Fotos: Thomas Frohnwieser (1), Privat (2) Grafik: Thomas Frohnwieser (1)