Kampf der Manager gegen Burnout-Syndrome
Kokain und Appetitzügler als Doping
von Werner Schneider
Man kann sie nicht zählen und in einer Statistik verewigen: Jene Manager und Freiberufler – teils auch Ärzte -, die aus Angst vor einem Burnout oder auch schon mittendrinnen mit Kokain versuchen, auf der Erfolgsstraße zu bleiben. Süchtige bekennen sich bei Befragungen ungern zu ihrem Rauschgiftkonsum. Man weiß aber: Tendenz steigend. Man weiß aber auch, dass der Medikamentenmissbrauch zunimmt. Es klingt fast pervers, aber jenes umstrittene Mittel, das hyperaktive und unkonzentrierte Kinder beruhigen soll, nämlich Ritalin, wirkt bei Erwachsenen in hohen Dosen aufputschend.
Dabei darf man nicht übersehen: Die legale Droge Alkohol ist immer noch unangefochten an der Spitze jener Mittel, mit denen Menschen, die sich längst überfordert fühlen, so etwas wie Normalität herbeiführen wollen. Es beginnt mit dem Glas nach Betriebsschluss, mit dem man „abstressen“ will. Dann kommen die Gläser gegen die Versagensangst. Zuletzt die Drinks am frühen Morgen, ohne die ein Gang zur Arbeit gar nicht mehr möglich wäre.
In der schweizerischen „Handelszeitung“ schildert ein Kokain süchtiger Manager aus der Finanzbranche nach einem dreimonatigen Kokain-Entzug nüchtern: „Ob ich es auf Dauer wirklich schaffe, weiß ich noch nicht. Der Druck im Job ist riesig und ganz aussteigen will und kann ich nicht – schon meiner Familie zuliebe, die zwar von mir kaum etwas hat, aber über das Geld verfügen kann. Und daran hat sie sich gewöhnt.“
Viele, die zuerst dem Whisky am Abend zusprachen erkannten schnell die Nachteile des Alkoholmissbrauchs: Brummschädel am Morgen, verlangsamte Reaktions- und Aufnahmefähigkeit. Absolute Todsünden in Spitzenpositionen.
Wie anders wirkt da Kokain. Markus B. jettete einmal pro Woche für sein Unternehmen nach London, werkte sonst in der Schweiz und lebte mit Familie in Frankfurt. Ein englischer Kollege hatte bei den traditionellen Abendbieren im Pub bemerkt, wie abgespannt und müde Markus B. schon aussah: Er bot eine „Straße“ (jene Menge Kokain, die man einschnupft, Anm.) an. Die Wirkung war frappant. Der gestresste und überforderte, am Rande des Burnouts stehende Deutsche mit dem Schweizer Arbeitsplatz wurde wieder zum Energiebündel und geschäftlich erfolgreicher als zuvor.
Keine Statistik
Er schaffte nebenbei wieder sein Sportprogramm, fuhr in der Freizeit mit der Familie herum und wagte sich über risikoreiche Abschlüsse. Der Kokainkonsum stieg rapide an.
Aber – siehe oben – es lässt sich statistisch nicht erfassen, wie typisch Markus B. für andere erfolgreiche Manager ist. Das Bundesamt für Gesundheit in der Schweiz betont: „Das heißt, sie geben Auskunft über die Menge, die verfügbar ist und wahrscheinlich konsumiert wird, aber nicht über die Verbreitung. Mit anderen Worten: Die eigentliche Zahl der Kokainkonsumenten kann nur eingekreist werden. Wobei vorweg gesagt werden muss, dass in Bezug auf das höhere Management kaum Aussagen belegt werden können, sondern meist nur Annahmen vorliegen“, betont Sprecherin Mona Neidhart.
Das Problem liegt in der Selbsteinschätzung gegenüber der Gefahr des Drogenkonsums. Junge Leute sind sicher, dass sie ihren Haschkonsum im Griff haben. Disziplinierte Manager neigen noch viel eher zu der Annahme, dass sie das Kokain kontrollieren könnten – nicht umgekehrt.
Das Management frisst seine Kinder
Aber es ist nicht nur Koks, das zu Abhängigkeiten führt. Der Österreicher Thomas K., seit seinem 19. Lebensjahr in der Finanzbranche tätig, braucht inzwischen drei Gramm pro Tag, nicht gerechnet die Amphetamine, wie er dem Wirtschaftsmagazin „Format“ gestand. Aus dem erfolgreichen Manager wurde innerhalb von 20 Jahren ein enorm verschuldeter.
Trotzdem schafft er es immer noch „wahnwitzige Projekte“ erfolgreich zu verkaufen. Michael Musalek, Leiter des Anton-Proksch-Entzugsinstituts sagt: „Immer mehr Büroarbeiter, vor allem Spitzenkräfte, die organisch gesund sind, greifen zu Psycho- und Neuropharmaka und Kokain mit dem Ziel, den Berufsalltag besser bewältigen zu können.“ „Format“ zitiert die Arbeiterkammer, wonach 1,5 Millionen Österreicher Burnout gefährdet sind. Während die Krankenstände sinken (zum Teil aus Angst vor dem Jobverlust), stiegen die Ausfallstage wegen psychischer Erkrankungen um 125 Prozent. Wiens Drogenbeauftragter Alexander David analysiert das so: „Das Suchtverhalten hängt stark mit dem Zeitaufwand für das Arbeitsleben zusammen: Die Arbeitsstunden steigen, abends geht man zu einem After-Work-Clubbing mit Kollegen, am Wochenende wird aufgearbeitet. Die Freizeit kann nicht mehr genossen werden, auch im Bett geht nichts mehr. Das Management frisst seine Kinder.“
Auf der Drogenambulanz im Wiener AKH hat man festgestellt, dass Männer eher zu leistungssteigernden Mitteln greifen, Frauen eher zu beruhigenden.
Ritalin als Aufputscher
Was da alles eingeworfen wird, ist erstaunlich: Ritalin, wie erwähnt ein Beruhigungsmittel für Kinder mit Aufmerksamkeitsdefiziten. Langzeitwirkungen bei Erwachsenen kennt man nicht. Aber angeblich erhöht es enorm die Konzentration „und man kann dennoch gut schlafen“, wie ein Unternehmer erzählt. Appetitzügler stehen auf der Dopingliste und Amphetamine wie Modafinil, das unter anderem den Piloten der US-Air Force verabreicht wird, wenn es Daueralarmzustand gibt.
Rezepte besorgt man sich recht einfach: Besuche bei mehreren Ärzten, Schilderung immer desselben Symptoms, schon hat man ein paar Schachteln beisammen. Manchmal hilft die Familie: „Während der Krise, als das Burnout-Syndrom in den Medien stark thematisiert wurde, kauften viele Frauen für ihre Männer Beruhigungsmittel“, stellte der Züricher Apotheker Metin San fest.
Preisverfall bei Kokain
Dazu kommt, wie die Drogenexperten der Polizei konstatieren, dass Mittel wie Kokain einen Preisverfall erlebten. Zwar werden die Fahndungsmethoden immer mehr verfeinert, doch Manager reisen viel und haben viele Quellen – und über einen relativ langen Zeitraum auch die entsprechenden finanziellen Mittel.
In der Schweiz ist man gegenüber dem Problem etwas sensibler geworden. Die Kontrollmechanismen in manchen Unternehmen werden genauer. Bis zu einem gewissen Grad sei es gelungen den Spitzenkräften zu vermitteln, „dass Alkohol und Drogen mit überdurchschnittlicher Leistungserbringung nicht kompatibel sind“, so Philipp Hertig, Chef von Egon Zehnder International Schweiz.
Markus B. hofft, in Zukunft mit seinen Ressourcen „haushälterisch“ umgehen zu können. Denn eines weiß er aus eigener Erfahrung: „Das ist ganz wichtig, denn wer einmal im Teufelskreis von Leistung und Drogen steckt, kommt allein kaum mehr heraus.“
Foto: Werner Schneider (1)