Harte Getränke gelten als Hauptauslöser
Wenn sich die Bauchspeicheldrüse selbst verdaut
von Werner Schneider
Beim Meeting der Anonymen Alkoholiker erzählt es Frau G. ganz ohne Pathos: „Ich weiß nicht, wie oft ich an Bauchspeicheldrüsen Entzündung fast gestorben wäre.“ Diese Erkrankung (auch Pankreatitis) wird landläufig gerne als „Alkoholikerleiden“ abgetan. Dabei – so Statistiken – sind an 45 Prozent der Erkrankungen Gallensteine schuld, die den Eingang zur Bauchspeicheldrüse verlegen. Dicht gefolgt vom Alkoholmissbrauch mit 35 Prozent. In jedem Fall beginnt sich der Pankreas (so die medizinische Bezeichnung) selbst zu „verdauen“. Chronische Bauchspeichelentzündung kann zum Pankreaskarzinom führen.
Normalerweise unbemerkt und versteckt zwischen Leber, Magen und linker Niere liegt die Bauchspeicheldrüse. Sie ist etwa 15 – 20 Zentimeter groß und erfüllt wichtige Funktionen: Da wäre einmal ihr Anteil bei der Produktion von Enzymen, die in den Darm gelangen und dort Fette, Eiweiße und Kohlehydrate aus dem Essen zur Verdauung spalten. Zweitens: Sie bildet die Hormone wie Insulin und Glukagon, die den Blutzuckerspiegel regulieren. Entzündet sich der Pankreas, kann das Essen nicht mehr richtig verdaut werden.
Es beginnt mit Übelkeit und Völlegefühl. Der Schmerz zieht „rundum“, man hat also das Gefühl, dass er auch aus der Rückengegend kommt. Schließlich werden die Beschwerden so arg, dass man nicht mehr arbeiten kann.
Internist und Psychoanalytiker Dr. Wolfgang Wesiack, verstorben 2013, war der Meinung, dass nicht allein die Menge des genossenen Alkohols ausschlaggebend ist. Viele Alkoholiker schütten Unmengen Bier und Wein in sich hinein und zeigen keinerlei Beschwerden. Ganz anders, so Wesiack, wenn der Patient langkettigen Alkohol – also Hochprozentiges – über einen längeren Zeitraum zu sich nimmt. So erzählte AA-Mitglied G. ganz offen, dass sie in der Spätphase ihres Alkoholismus fast ausschließlich zu Wodka gegriffen habe. Wobei G. eher die Ausnahme bildet, denn Frauen sind, wohl auch wegen der anderen Trinkgewohnheiten, wesentlich weniger gefährdet als Männer, das Verhältnis ist etwa 9 : 1 Männer zu Frauen.
Gefahr der Zellschädigung steigt enorm
Auch wenn Bauchspeicheldrüsenentzündungen zu den eher seltener auftretenden Leiden zählen (verglichen mit schweren Leberschäden), ist deren Gefährlichkeit nicht zu unterschätzen. Laut Dr. Wesiack lautete eine einprägsame Formel so: „Wer zum Beispiel fünf Doppelte aus 40-prozentigem Branntwein täglich zu sich nimmt, erhöht sein Risiko um 50 Prozent.“ Die Gefahr der Zellschädigung steigt also enorm.
Neben den bereits beschriebenen Symptomen wie ringartiger Schmerz kommen Übelkeit, Verdauungsprobleme, Gelbsucht und Fieber, bis hin zu Kreislaufschock, Blutvergiftung und Nierenversagen.
Dabei ist die Untersuchung gar nicht so einfach, weil es bei Pankreatitis bisweilen zu großen Flüssigkeitsansammlungen in der Umgebung der Bauchspeicheldrüse kommt (Bauchwassersucht), ebenso zu Gasen im Darm, die via Ultraschall den Blick „verstellen“.
Im Zweifel operieren
Die Behandlung erfolgt im Spital mit schmerzstillenden Medikamenten und Infusionen. In vielen Fällen kann die Entzündung ausgeheilt werden, wenn der Patient sich an Alkoholabstinenz und sich (wenn möglich) auch das Rauchen abgewöhnt. Komplizierter wird der Fall mit der chronischen Bauchspeichelentzündung, die zum Karzinom führen kann. Sie beginnt schleichend. Hier kommt man meist um eine Operation nicht mehr herum. So meint Professor Thilo Hackert, Bauchchirurg: „Symptome und Befunde beider Erkrankungen ähneln sich. Wenn Zweifel bestehen, sollte man operieren.“ Wobei gesagt werden muss, dass das Pankreaskarzinom zu den am schwersten in den Griff zu bekommenden Krebsarten zählt. Meist sind bei dessen Erkennen schon andere Organe mit befallen, die Heilungschancen sinken deutlich (siehe auch „Um ganze 17 Jahre weniger!“).
Doch auch wenn es noch nicht so weit ist, bleiben oft nur operative Eingriffe, um das durch „Selbstverdauung“ zerstörte Gewebe zu entfernen. Man kann nach Verschlüssen durch Gallensteine auch sogenannten Stents einsetzen, die einen Durchfluss der lebensnotwendigen Stoffe ermöglichen. „Diese Stents setzt man in den Gallengang, so dass dieser offen gehalten wird“, erklärt der Gastroenterologe Professor Sauer. Es gibt aber keine Garantie, dass diese auch offen bleiben, dann muss die Operation wiederholt werden, eventuell auch mehrmals.
Männer am meisten gefährdet
Ist die Zellzerstörung schon zu weit fortgeschritten, dann wird der Pankreas ganz entfernt. Die lebensnotwendigen Enzyme und Hormone müssen dann medikamentös zugeführt werden.
Wie oft tritt nun die Pankreatitis auf? In den westlichen Ländern kommt es auf 50 bis 100 Erkrankungen pro 100.000 Menschen. Die chronische, also lebensbedrohliche Form, findet man bei zwei bis zehn Personen auf 100.000. Die größte Gefährdungsgruppe stellen Männer zwischen 35 und 50 Jahren dar. Wobei bei exzessivem Alkoholmissbrauch es natürlich keine Grenze nach unten oder oben gibt.
Erfreulich: Die akute Bauchspeichelentzündung heilt bei intensivmedizinischer Behandlung bei 90 Prozent der Behandelten wieder vollständig ab, wenn diese sich an die Abstinenzregeln halten. Dann ist bisweilen nicht einmal eine strenge Diät notwendig.
Grafik: Thomas Frohnwieser (1)