Studie aus Deutschland belegt:
Alkohol ist die risikobehaftetste Droge
von Harald Frohnwieser
Etwa 74.000 Menschen sterben pro Jahr in Deutschland an den Folgen ihres Alkoholkonsums, wie die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) bei der Vorstellung ihres „Jahrbuchs 2014“ bekannt gab. Deutschland befindet sich zwar im Spitzenfeld beim Alkohol, aber in Luxemburg, Frankreich, Österreich und Estland wird noch mehr Alkohol konsumiert. Nun haben zwei deutsche Forscher in einer Studie belegt, dass Alkohol noch vor Heroin das größte Risiko besitzt (erschienen in „Scientific Reports“). „Alk-Info“ hat als einziges deutschsprachiges Medium mit einem der beiden Wissenschaftler, Dr. Dirk Lachenmeier von der TU-Dresden, über diese Studie, die weltweit Aufsehen erregt hat, gesprochen.
Für ihre Studie haben die beiden Wissenschaftler, Dr. Dirk W. Lachenmeier und Prof. Dr. habil. Jürgen Rehm, beide von der TU in Dresden, gängige Rauschmittel wie Alkohol, Heroin, Kokain, Cannabis und Psychopharmaka miteinander verglichen. Die beiden Forscher kamen im Rahmen des europaweiten Forschungsprojektes „Alice-Rap“ zu dem Ergebnis, dass Alkohol sogar ein höheres Risiko für die Gesellschaft besitze als Heroin, Cannabis hingegen wird als vergleichsweise risikoarm eingestuft. „Wir haben mit unseren Untersuchungen im April 2011 begonnen“, blickt Dr. Dirk Lachenmeier im „Alk-Info“-Gespräch zurück. Doch entgegen manchen Meldungen, sie hätten ihre Forschungen anhand eigener Tierversuche durchgeführt, stellt der Wissenschaftler klar, dass nur einschlägige Literatur ausgewertet wurde.
Das Ergebnis, zu dem Lachenmeier und Rehm kamen, ließ aufhorchen. Und wurde von so manchen Zeitungen etwas falsch interpretiert. „Es ist doch klar, dass mehr Menschen an Alkohol sterben als an Heroin oder Kokain. Alkohol ist ja immer verfügbar und wird von mehr als 80 Prozent der Menschen in Deutschland konsumiert, harte Drogen, wie eben Heroin, haben vergleichsweise wenig Abnehmer“, will Lachenmeier davor warnen, den Alkohol jetzt generell zu verteufeln. „Wer hin und wieder ein Glas Wein trinkt, fällt nicht gleich tot vom Sessel“, sagt er. Nachsatz: „Die Dosis macht die Wirkung.“
Gefahr von Alkohol oft unterschätzt
Die Studie verwendete den sogenannte „Margin of Exposure“ (MOE), der das Verhältnis zwischen der tödlichen Dosis eines Stoffes und der geschätzten menschlichen Aufnahme des Stoffes misst. Je niedriger ein MOE-Wert ist, desto höher ist das Risiko. „Wir haben natürlich nicht nur die Mortalität von Alkohol und anderen Drogen untersucht, sondern auch mögliche Folgeerkrankungen. Und auch da rangiert Alkohol ganz weit oben. Man denke da nur an die Leberzirrhose oder daran, dass Alkohol auch Krebs verursachen kann. Diese Kriterien haben wir selbstverständlich bei der Interpretation unserer Forschungsergebnisse berücksichtigt“, entgegnet Lachenmeier so mancher Pressemitteilung, die dies in Abrede stellte. Aber: Es ist immer noch gefährlicher, regelmäßig Heroin zu spritzen oder jeden Tag Kokain zu schnupfen als moderat Alkohol zu trinken, auch wenn die Gefahr von Alkohol von der breiten Bevölkerung unterschätzt wird. Dazu stellt Lachenmeier für „Alk-Info“ fest: „Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung empfiehlt ein Standardglas pro Tag für Frauen und zwei Standardgläser für Männer für einen risikoarmen Alkoholkonsum. Aber es gibt so manchen Alkoholforscher, der auch das eine Glas schon für gefährlich hält.“
Lachenmeier und Rehm weisen auch darauf hin, dass viele Konsumenten ihre harten Drogen auf verschmutzten Toiletten konsumieren und sie sich die Droge auch noch mit verdreckten Spritzen injizieren. Alkohol hingegen wird weitaus hygienischer konsumiert und ist weder gestreckt noch verunreinigt.
Auch Cannabis ist gefährlich
Während also Alkohol hinsichtlich des „Margin of Exposure“ mit 1,2 Punkten vor Heroin (2,1) liegt und andere Stoffe wie Ecstasy (6,3), Nikotin (6,8), Methamphetamin (7,7), Amphetamine (19) und Methadon (23) weit hinter sich lässt, ist Cannabis mit 119 Punkten am risikoärmsten. Doch Lachenmeier macht darauf aufmerksam, dass auch das Kiffen ein Risiko für die Gesundheit darstellt: „Cannabis , insbesondere wenn geraucht, wurde mit chronischen Risiken wie psychotische Störungen oder Lungenkrebs in Verbindung gebracht, die wir aufgrund fehlender Dosis-Wirkungsdaten nicht berücksichtigen konnten“ (siehe auch „So heftig war der Schub noch nie…“). Doch die Werte sind mit etwas Vorsicht zu genießen, da die toxikologischen Erkenntnisse von den meisten Drogen nur unzureichend sind. Der menschliche Körper reagiert eben unterschiedlich auf diverse Substanzen.
Alkohol seit Jahrhunderten etabliert
Warum aber ist seiner Ansicht nach Cannabis illegal, der weit gefährlichere Alkohol aber legal und jederzeit verfügbar. „Eine gute Frage“, schmunzelt der Wissenschaftler, „vielleicht liegt es daran, dass der Konsum von Alkohol in unseren Breiten schon seit Jahrhunderten etabliert ist und zur Kultur gehört, Cannabis hingegen für uns eine relativ neue Droge ist.“ Lachenmeier tritt dafür ein, dass die diversen Regierungen mehr in die Bekämpfung der Probleme, die der Alkohol verursacht, investieren sollten: „Ein Großteil der Probleme, die Drogen wie der Alkohol verursachen, wird oft stark von den Begleitumständen des Konsums beeinflusst.“ Dr. Dirk Lachenmeier wird sich in seiner Arbeit auch weiterhin dem Thema Alkohol widmen, verspricht er im „Alk-Info“-Gespräch.
Das Ergebnis der Studie mag viele überrascht haben, so manch trockener Alkoholiker, der sein Saufen stoppen konnte, weiß freilich längst, dass es für ihn beim Alkohol um Leben oder Tod geht.
Fotos: Dr. Dirk W. Lachenmeier (1), Prof. Dr. habil. Jürgen Rehm / CAMH (1) Grafik: Thomas Frohnwieser (1) Logo: Alice-Rap (1)