Studie über Alkoholschäden
Cellulite und 26 weitere Erkrankungen
von Harald Frohnwieser
Dass Alkoholmissbrauch die Leber schädigt wissen die meisten. Auch dass zu viel Alkohol nicht gut für den Magen oder für die Nerven ist, ebenfalls (siehe auch „Nicht nur die Leber ist betroffen“). Doch eine Studie, die zwei Wissenschaftler mit knapp 300.000 Patienten innerhalb von zwölfeinhalb Jahren durchgeführt haben zeigt, dass Alkohol für weit mehr Erkrankungen verantwortlich ist als bisher bekannt. Die beiden Forscher nennen die 27 häufigsten Folgeerkrankungen wie Cellulite, Asthma oder Speiseröhrenentzündung. Auch die Sterblichkeit von Alkoholikern ist besorgniserregend: Im Schnitt sterben Alkoholabhängige um 7,6 Jahre früher als Menschen, die nicht an dieser Krankheit leiden. Deshalb fordern die beiden Experten nun, dass eine Alkoholerkrankung viel früher erkannt und auch therapiert werden muss.
„Mit der Alkoholsucht sind sowohl psychische Probleme als auch erhebliche körperliche Beeinträchtigungen der Gesundheit verbunden“, stellt Dr. Dieter Schoepf von der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Bonn unmissverständlich fest. Der deutsche Wissenschaftler hat zusammen mit seinem Kollegen Prof. Dr. Reinhard Heun vom Royal Derby Hospital in England die körperlichen Begleiterkrankungen von nahezu 300.000 Patienten über einem Zeitraum von zwölfeinhalb Jahren untersucht und ausgewertet, die Studie ist nun im Journal “European Psychiatry” veröffentlicht.233.710 der Behandelten hatten keine Alkoholerkrankung, 23.371 waren Krankenhauspatienten mit einer Alkoholsucht. Reinhard Heun bringt das Ergebnis auf den Punkt: „Im Beobachtungszeitraum starb etwa jeder fünfte Krankenhauspatient mit Alkoholsucht in einem der Krankenhäuser, während es bei der Kontrollgruppe nur jeder zwölfte war.“
Vielfalt wurde nicht erwartet
Insgesamt traten bei der Studie, die in dieser Form aufgrund des langen Beobachtungszeitraums und der vielen Patienten, die untersucht wurden, einzigartig ist, 27 Krankheiten auf, die direkt mit dem Alkoholmissbrauch im Zusammenhang gebracht wurden. „Die Vielfalt der Krankheiten beim einzelnen Patienten hatten wir nicht erwartet, also die Multimorbidität, die bei Alkoholsucht auftritt und die Mortalität erhöht“, zeigte sich Schoepf gegenüber Focus online erstaunt.
Welche Krankheiten bei den Menschen auftraten listen die beiden Forscher wie folgt auf:
Gehirn
1.) ischämischer Schlaganfall (Hirninfarkt)
2.) Epilepsie
3.) unspezifische Demenz
Haut
4.) Cellulite (Orangenhaut)
Herz
5.) Herzprobleme allgemein
6.) Vorhofflimmern
7.) zerebrovaskuläre Erkrankungen (Arteriosklerose der Hirngefäße, Blutgerinnsel)
8.) periphere arterielle Verschlusskrankheit (Schaufensterkrankheit)
Knochen
9.) Oberschenkelhalsbruch
Lunge
10.) Bronchitis
11.) Asthma
12.) Lungenentzündung
13.) Chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD)
14.) Atemstillstand
Verdauung
15.) Ösophagitis (Speiseröhrenentzündung)
16.) Ösophagus-Ulkus (Speiseröhrengeschwür)
17.) gastroösophageale Refluxkrankheit (Sodbrennen)
18.) Alkoholische Gastritis (Magenschleimhautentzündung)
19.) Dodenitits (Entzündung der Schleimhaut im Zwölffingerdarm)
20.) Zwölffingerdarmgeschwür
21.) alkoholische Leberkrankheit, dazu gehören Fettleber durch Alkohol und Leberzirrhose
22.) alkoholisches Leberversagen
23.) alkoholische akute Pankreatitis (akute Bauchspeicheldrüsenentzündung)
24.) alkoholische chronische Pankreatitis (Bauchspeicheldrüsenentzündung)
25.) chronische Nierenerkrankungen
26.) unspezifisches Nierenversagen
27.) Eisenmangelanämie
Die Untersuchungen wurden zwar ausschließlich mit Patientendaten aus Großbritannien durchgeführt, sind aber, wie Dieter Schoepf feststellt, „repräsentativ und lassen sich deshalb auf andere Allgemeinkrankenhäuser in anderen Ländern verallgemeinern“.
Während diese vielen durch den Alkohol bedingten Erkrankungen doch überrascht, sieht Dieter Schoepf das Ergebnis mittlerweile gelassen: „Bekannt ist, dass rund 60 Krankheiten mit Alkoholsucht einhergehen können. Die aufgeführte Liste nennt nur die 27 häufigsten.“ Und weiter: „Im Schnitt sterben Alkoholiker, die wegen gesundheitlicher Probleme in britischen Allgemeinkrankenhäusern behandelt wurden, aufgrund des Zusammenwirkens mehrerer körperlicher Begleiterkrankungen 7,6 Jahre früher als Patienten ohne Alkoholsucht.“
Nicht alle körperlichen Erkrankungen werden erkannt
Warum aber werden viele der obengenannten Erkrankungen bei Alkoholpatienten so selten diagnostiziert? „Patienten mit Suchtproblemen werden oft als Notfälle in Kliniken eingeliefert. Bei der Diagnose stehen dann die akuten Symptome im Vordergrund - das führt möglicherweise dazu, dass nicht alle körperlichen Erkrankungen erfasst werden“, vermutet Dieter Schoepf. Der Wissenschaftler glaubt auch, dass durch ein geringeres Schmerzempfinden und Wahrnehmungsstörungen der Suchtpatienten dazu führen können, dass bestimmte Krankheitsbilder ganz einfach nicht erkannt werden.
Deshalb fordern beide Experten ein Screening und eine frühzeitige Therapie für Menschen, die an Alkoholismus erkrankt sind. Denn aus der Sicht der beiden Wissenschaftler verdeutlicht die Vielzahl der Erkrankungen sowie die hohe Sterblichkeit von Alkoholikern in Allgemeinkrankenhäuser, dass die Sucht in einem viel deutlicherem Zeitraum therapiert werden muss. „Durch gewissenhaftes Screening und die frühzeitige Behandlung von psychischen und körperlichen Begleiterkrankungen sollte es möglich werden, die Lebenserwartung von Alkoholkranken deutlich zu erhöhen“, ist Reinhard Heun überzeugt.
Fotos: Privat (1), clinical-partners.co.uk (1)