Homöopathie bei der Suchtbekämpfung
Mit kleinen Kügelchen gegen die Macht des Alkohols
von Werner Schneider
Homöopathie und Alkoholismus – wie passt das zusammen? Alkoholkranken werden in der Regel hoch dosiert wirksame Stoffe gegen Entzugserscheinungen und gegen den Trinkwunsch in Entzugskliniken verabreicht. Können die Globuli der Homöopathie da mithalten? Es gibt verschiedene Mediziner, die darauf schwören. In Deutschland wurde eine Studie mit 72 Patienten im Alter zwischen 21 und 74 Jahren durchgeführt und sie zeigte durchwegs positive Erfolge.
Neben 44 chronischen Behandlungen wurden 28 Akutbehandlungen durchgeführt. Es wurden dabei 34 verschiedene homöopathische Mittel nach den Grundsätzen der klassischen Homöopathie verordnet. Projektleiter war Dr. Otto Ziehaus, als Supervisor engagierte sich Dr. med. Martin Klieme, Facharzt für Allgemeinmedizin, Psychotherapie und klassische Homöopathie, der sowohl im ambulanten als auch im stationären Suchtbereich tätig ist.
Zur Anwendung kamen gängige Mittel. Insbesondere fällt die häufige Verwendung von Arsenicum album und Lycopodium clavatum auf. Ersteres zeigte bei Alkoholentzugssyndromen, ängstlicher Unruhe, Tremor und Schwächeanfällen erfolgreiche Wirkung. Der Lycopodium-Patient äußert wiederum eine narzisstisch-depressive Struktur, die fallweise bei chronisch alkoholkranken Menschen vorhanden ist.
Bei den akuten Behandlungen fand sich ein breites Spektrum an Diagnosen. Dies spiegelt den Stationsalltag einer akuten Entzugsstation wider. Im Alkoholentzug konnte mit Hilfe von Arsenicum bzw. anderer angezeigter Arzneien der Entzug entweder ohne weitere zusätzliche Behandlung erfolgen oder die Entzugsphase deutliche verkürzt werden. Insbesondere die Verabreichung von Arsenicum. Nux vomica und Belladonna war auch in hochakuten, prädeliranten Zustandsbildern oder schweren Unruhezuständen von erstaunlicher Wirksamkeit.
Aufgeteilt waren die Patienten in folgende Gruppen: Der Schwerpunkt lag bei der Behandlung von chronisch suchtkranken Menschen, insbesondere alkoholkranken Patienten. Sieben von ihnen litten unter einer polytoxikomanen Suchterkrankung (also der Abhängigkeit von mindestens zwei Substanzen) und vier Patienten zeigten neben der Abhängigkeitserkrankung eine weitere psychiatrische Diagnose.
Rückgang der psychotischen Störungen
Die Patienten mit polytoxikomanen Erkrankungsbildern gehörten zu den am schwersten zu behandelnden an der Klinik. Bei einem Teil wurde dennoch unter der homöopathischen Begleittherapie unerwartete Stabilisierungen erreicht. Das Beispiel einer Patientin: Die Frau wurde wegen eines polyvalenten und anhaltend deliranten Entzugssyndroms auf der Basis einer Borderline-Persönlichkeitsstörung vier Monate stationär behandelt. Begleitend zur herkömmlichen kombinierten antidepressiven, neuroleptischen und stimmungsstabilisierenden Behandlung wurde eine homöopathische Behandlung mit Lachesis (Q-Potenz) begonnen. Hierauf erfolgte eine psychopathologische Stabilisierung mit Rückgang der psychotischen Symptome (Reizoffenheit, Derealisation, Größenwahn) sowie Stabilisierung der allgemeinen kognitiven Funktionen (Aufmerksamkeit, Konzentration, Gedächtnis). Die Folge waren, dass die Patientin in häusliche Umgebung entlassen werden konnte und auch an einen beruflichen Wiedereinstieg zu denken war.
Rückfälle gehen zurück
Bei Patienten mit der Hauptdiagnose Alkoholkrankheit erreichten 16 von 27 Personen (das sind immerhin 59 Prozent) mit einem Durchschnittsalter von 43 Jahren, einer durchschnittlichen Trinkerkarriere von 13 Jahren und durchschnittlich 11,7 stationären Entzügen eine gute Stabilisierung, das heißt, sie waren maximal einmal rückfällig. Das ergibt eine Abstinenzzeit von 14,5 Monaten bei insgesamt fünf Rückfällen. Das mag auf den ersten Blick bescheiden aussehen, ist verglichen mit der Rückfallsquote bei herkömmlichen (oft ambulantem) Entzug doch einigermaßen respektabel.
Abnahme von Aggression und innerer Unruhe
Es sei auch noch der Fall eines 46-jährigen Patienten vorgestellt, der mehr als 20 Jahre alkoholkrank war. Der Mann zeigte, speziell nach der Einlieferung in den stationären Bereich, alle Anzeichen fortgeschrittenen Alkoholismus: Massive unterschwellige Aggression, die psychopharmakologisch kaum in den Griff zu bekommen war. Nur Benzodiazepine (hohes Suchtrisiko!) vermochten den Patienten zu beruhigen. Aufgrund der Gesamtkonstellation (Aggressivität, Selbstverletzung, Gesichtsröte, geweitete Pupillen) war Belladonna als Arzneimittel indiziert. Nach einer Gabe von Belladonna C30 war noch am Tag der Einnahme eine deutliche Abnahme der Aggression und der inneren Unruhe zu verzeichnen. Drei Wochen danach war eine Gabe von Belladonna C1000 nötig, da erneut aggressive Impulse auftraten, die noch am selben Tag sistierten. Im weiteren Verlauf der stationären Behandlung wurden die Psychopharmaka ausgeschlichen und es war eine zunehmende Teilnahme am Stationsalltag möglich. Dem folgte die Übersiedlung in eine sozialtherapeutische Langzeiteinrichtung, die der Patient nach einem Jahr wieder verlassen konnte. Er lebt nun wieder in seiner Wohnung und hält mit den Therapeuten Kontakt, die ihm weiterhin Belladonna nach Bedarf verordnen. Der Patient ist seit mehr als zwei Jahren trocken.
Homöopathie hat sich bewährt
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass sich der Einsatz von homöopathischen Mitteln im psychiatrischen Bereich, insbesondere bei Abhängigkeitserkrankungen, als Ergänzung zur konventionellen Behandlung bewährt hat. Es besteht bei der Behandlung mit homöopathischen Mitteln einerseits eine große Offenheit der Patienten, andererseits auch eine hohe Patientenzufriedenheit.
Diese positiven Beispiele werden die Diskussion um die Wirksamkeit der Homöopathie („Glaubensfrage“) nicht stoppen können. Unbestritten ist, dass dort, wo eine „Offenheit“ der Patienten da ist, auch beachtliche Erfolge erzielt werden.
(Gefördert wurde die oben beschriebene klinische Studie von der Karl und Veronica-Carstens-Stiftung, Fördergemeinschaft Natur und Medizin. Mit deren freundlicher Genehmigung haben wir auch Textbausteine übernommen.)
Homöopathie – eine immer noch umstrittene Therapie
Was krank macht kann auch heilen. Oder anders gesagt: Ähnliches hilft. Schon im Alten Testament finden sich erste Hinweise auf die Heilkraft der Homöopathie, ebenso bei Aristoteles und Hippokrates im alten Griechenland. Doch die Geburtsstunde der Homöopathie, wie wir sie kennen, liegt im Jahr 1796, als der 41-jährige deutsche Arzt und Chemiker Samuel Hahnemann einen spektakulären Selbstversuch wagte: Obwohl völlig gesund, schluckte er für ein Experiment das Malariamittel Chinarinde und litt zu seiner Überraschung bald an malariaähnlichen Symptomen. Einige Jahre und viele Selbstversuche später begann Hahnemann, die Dosen zu verdünnen, gewann berühmte Persönlichkeiten, die sich mit der von ihm entdeckten Homöopathie behandeln ließen und wurde zu einem der berühmtesten Ärzte Deutschlands seiner Zeit. Hahnemann starb 1843 im Alter von 88 Jahren.
Tropfen für Alkoholiker meist ungeeignet
Mehr als 170 Jahre nach Hahnemanns Tod ist seine Lehre immer noch umstritten. Wie aber funktioniert die Homöopathie? Die Anhänger sind davon überzeugt, dass ein homöopathisches Mittel den Körper dazu animiert, einen Gegenangriff auf die Krankheit zu starten, weil er (der Körper) denkt, dass die Krankheit nun noch stärker wird. Auch die Potenzierung des Mittels spielt eine große Rolle. Die Basis dazu bilden pflanzliche, tierische und mineralische Substanzen, die entweder mit Alkohol oder Milchzucker und in beiden Fällen auch mit Wasser verdünnt werden. Alkoholiker sollten demnach statt den Tropfen, in denen, wenn auch kaum spürbar, Alkohol enthalten ist, lieber die Pillen (Globuli) zu sich nehmen.
Wassermoleküle erinnern sich an Wirkstoff
Homöopathen sind überzeugt, dass das Verdünnen und Schütteln die energetische Essenz des Wirkstoffs auf die Wassermoleküle überträgt, auch dann, wenn der eigentliche Wirkstoff gar nicht mehr vorhanden ist. Die Wassermoleküle, so ihre Überzeugung, erinnern sich trotzdem an den Wirkstoff. Mit der Homöopathie kann man, so die Anhänger, nicht nur körperliche, sondern auch psychische Krankheiten wie Depressionen, Angstzustände, Schlaflosigkeit oder Suchterkrankungen behandeln. Neben den Erwachsenen können auch Kinder und sogar Tiere mit Hilfe der Homöopathie therapiert werden, so die Homöopathen.
Gegner der Homöopathie sind überzeugt davon, dass Tropfen und Globuli aufgrund der hohen Verdünnung nicht helfen können, Heilungserfolge erklären sie mit dem „Placeboeffekt“. Dennoch hat die Homöopathie mittlerweile einen sehr hohen Stellenwert, so gibtzum Beispiel jeder zweite Erwachsene in Deutschland an, dass er sich schon mit homöopathischen Mitteln behandeln ließ.
Alk-Info: Herr Dr. Usar, wie geht man mit Patienten um, die Alkohol entzugswillig sind?
Dr. Kurt Usar: Also das ist nicht so ein häufiges Phänomen in meiner Praxis. Aber das Problem wird so geschätzt zweimal pro Monat an mich herangetragen, das macht man dann gleich. Da gibt es ein Konzept wie bei Nikotin- oder Drogenentzug. Das erste ist, dass man eine homöopathische Anamnese, also ein Arzneimittelbild, aufnimmt. Das dauert etwa eine Stunde. Und dieses Mittel nimmt der Patient dann im 14-Tage-Rhythmus ein. Nach zwei Monaten gibt’s dann eine Kontrolle.
Welche homöopathische Mittel gibt es?
Es gibt verschiedene homöopathische Mittel, ich sage jetzt eines, Sulfur, das sehr oft bei alkoholischen Problemen zum Zug kommt. Das heißt nicht, dass man jedem dieses Mittel geben könnte, das geht nicht. Man muss zuerst die Person kennen lernen und die Gründe, die zu dieses Problem geführt haben.
Und dieses Mittel hilft in erster Linie Entzugsprobleme zu behandeln?
Durchaus. Um Ihnen ein unverfängliches Problem zu schildern: Ich bin auch Arbeitsmediziner, da ist an mich herangetragen worden, dass ein führender Mitarbeiter ein Alkoholproblem gehabt hat, den hat man vor die Alternative gestellt, er begibt sich in einen stationären Entzug oder er macht bei mir eine homöopathische Behandlung. Es war noch kein Delirium tremens, also so ein starker Entzug war es noch nicht. Aber innerhalb von zwei bis drei Monaten hat er ein homöopathisches Mittel bekommen, auf die Person bezogen, und danach waren die Entzugserscheinungen nicht mehr gegeben. Er hat also nichts zusätzlich bekommen. Das kann man aber auch kombinieren mit herkömmlichen Medikamenten.
Gibt es auch Mittel, die für Langzeittherapien eingesetzt werden?
Ja, aber das wäre natürlich sinnvoll, wenn die Betroffenen, da ja eine latente Rückfallgefahr besteht, in bestimmten Abständen weiter kommen, einmal im Jahr und dann kann sich das Mittel auch ändern. Nicht sinnvoll ist es, wenn man über Jahre immer dasselbe nimmt. Aber so mit ein bis zwei Mal im Jahr eine Kontrolle, das ist dann eine Art Rückfallprofilaxe.
Sie haben also mit Homöopathie mit Alkoholkranken gute Erfahrungen gemacht?
Ja, das kann man schon sagen. Leider ist es so, dass nur die kleinen Kassen einen gewissen Zuschuss zahlen, die Gebietskrankenkasse zahlt in der Steiermark gar nichts, und so ist das auch ein finanzielles Problem. Was ich überblicke, wo auch eine Motivation dahinter war, wie drohender Arbeitsverlust, da ist es gut gegangen.
Das heißt, wenn ich zu Ihnen komme, dann als Privatpatient.
Bei der homöopathischen Behandlung ist ein Besuch von zehn, zwanzig Minuten zu wenig. Hier kann man mit dem Honorar, das die Gebietskrankenkasse derzeit ausschüttet, nicht wirtschaftlich eine Praxis betreiben. Und für die einstündige Erst- bzw. die 30-minütige Folgeanamnesen zahlen eben nur die kleinen Kassen bei einem Arzt mit Kassenvertrag einen Zuschuss. Das heißt, der Patient hat meist die Aufwendungen eines Privatpatienten, wobei relativ viele Zusatzkassen mittlerweile – was viel zu wenig bekannt ist – recht günstige Angebote enthalten.
Dr. Kurt Usar ist als praktischer Arzt ein Vertreter der ganzheitlichen Medizin und als Experte für Homöopathie tätig. In „Alk-Info“ schildert er seine Erfahrungen mit alkoholkranken Patienten.
Web-Adresse: www.doktor-usar.at
Fotos: Dr. Kurt Usar (1), commons.wikimedia.org (1) Grafik: Thomas Frohnwieser (1)