Suchtspezialist Prim. Kurosch Yazdi im Gespräch:
„Gute Beziehungen sind die beste Suchtprophylaxe“
von Harald Frohnwieser
Benni ist 17 Jahre alt, normalerweise ruhig und in sich gekehrt. Doch jetzt zittert der Jugendliche am ganzen Körper, Schweißperlen stehen auf seiner Stirn. Dann hebt er die Hand und prügelt wie wild auf seine Mutter ein. Der Grund, warum Benni so ausrastet: Nachdem er monatelang jeden Tag 15 Stunden vor dem Bildschirm saß, um sich ganz in einem Spiel zu vertiefen, reicht es jetzt seiner Mutter. Sie nimmt ihrem Sohn den Computer weg. Das ist zu viel für den Burschen, der sich ein Leben ohne seinem Spiel längst nicht mehr vorstellen kann. „Der junge Mann reagierte wie ein Alkoholiker, dem man die Flasche wegnimmt“, erläutert der Leiter der Suchtabteilung des Kepler Universitätsklinikum (ehem. Landes-Nervenklinik Wagner-Jauregg) in Linz, Prim. Kurosch Yazdi. Im „Alk-Info“-Gespräch berichtet der Autor des Buches „Junkies wie wir“ über die neue Onlinesucht, über das neue „Zentrum für Suchtmedizin“, das es ab März 2013 gibt und darüber, wie wichtig gut funktionierende Beziehungen sind.
„Alk-Info“: Herr Primar, warum gibt es dieses neue Zentrum?
Prim. Kurosch Yazdi: Früher gab es bei uns drei verschiedene Suchtbereiche. Einen für Alkoholiker, einen für Drogenkranke und eine für Verhaltenssüchte, zu der die Onlinesucht gehört. Jetzt werden diese drei Bereiche zusammen gelegt, was sehr viel verändert, weil jetzt alle ein Team sind. Dadurch gibt es eine Steigerung der Effektivität, weil die meisten unserer Patienten mehrfach süchtig sind.
Sie behandeln jugendliche Alkoholiker, gibt es da wirklich schon 14-, 15-Jährige, die eine Therapie brauchen?
Die gute Nachricht zuerst. Es gibt keinen Hinweis, dass die Zahl jugendlicher Alkoholiker in den letzten Jahren gestiegen ist. Aber es gibt eine Verschiebung zu den jüngeren. Waren es früher im Schnitt die 17-Jährigen, die süchtig waren und eine Behandlung brauchten, so sind es jetzt schon die 15-Jährigen.
Warum ist das so? Ist es das vielzitierte Komatrinken? Sind es die harten Getränke, die so schnell abhängig machen?
Das betrifft nicht unbedingt die Süchtigen. Ein Komasäufer macht das oft nur ein, zweimal im Jahr. Die härteren Getränke müssen es auch nicht sein. Unserer Erfahrung nach sind es die Alkopops. Die sind extrem beliebt, aber auch extrem gefährlich, weil man den Alkohol da nicht raus schmeckt. Sie schmecken gut, sie schmecken süß. Gefährlich sind sie deshalb, weil der Alkohol wegen dem Zucker und der Kohlensäure sehr schnell aufgenommen wird. Das führt zu einer schnelleren Berauschung und ist daher die perfekte Einstiegsdroge, obwohl die Alkopops nicht einen so hohen Alkoholanteil haben wie die härteren Getränke. Der Wodka wird dann problematisch, wenn jemand bereits süchtig ist und eben Härteres braucht.
Spielt auch die immer früher eintretende Pubertät eine Rolle, warum die Süchtigen immer jünger werden?
Das ist sicher mit ein Grund. Rein biologisch kommen die Kinder heute früher in die Pubertät als noch vor 30 Jahren. Warum das so ist, wissen wir nicht genau. Aber es hängt auch von der Genetik ab. Im Orient, wo ich herkomme, kommen die Menschen generell früher in die Pubertät, in den nördlichen Ländern später. Ein weiterer Grund ist die Marketingstrategie, die immer mehr auf jugendliche Konsumenten abzielt. Vor 30, 40 Jahren ist man davon ausgegangen, dass Kinder und Jugendliche ohnehin kein Geld haben, deshalb wurde für sie keine Werbung gemacht. Heute wirbt man gezielt um diese Altersgruppe. Früher hat sich keine Zwölfjährige selber das Gewand gekauft, heute ist das keine Seltenheit.
Die Kids bekommen ja andauernd gezielte Werbung, wenn sie online sind.
Richtig. 13-Jährige bekommen auf Facebook gezielte Werbung für Sachen, die sie zuvor gegoogelt haben. Das trifft natürlich nicht nur auf die Alkopops zu, deren Bewerbung ich als klaren Anschlag auf Kinder und Jugendliche sehe. Das betrifft auch andere Süchte wie die Onlinesucht. Wenn man gezielt Onlinepoker mit Boris Becker bewirbt gewinnt man damit keinen 70-Jährigen, sondern die Jungen, die sagen, der ist ein Tennisstar, der ist cool. Die Werbung zielt auf immer Jüngere ab, aber man tut den Kindern nichts Gutes damit. Das trifft auch beim Fernsehen zu, die nur auf die Jungen schielen. Wenn die aber den ganzen Tag nur Talkshows über Busenvergrößerungen, Schamlippenkorrekturen und über zerrüttete Familien sehen, ist das nicht in Ordnung. Unsere Gesellschaft behandelt die Jungen immer mehr so, als ob sie schon erwachsen wären, aber das sind sie nicht.
Und viele Erwachsene wollen Jugendlich wirken.
Ja, da gibt es so eine Verdrehung. Die Kinder wollen immer erwachsener wirken und die Erwachsenen immer jünger. So manche 60-Jährige kleiden sich, als ob sie 15 wären.
Ist die Gesellschaft daran schuld, dass so viele Jungen schon süchtig sind?
Die Verantwortung dafür, dass immer jüngere Kinder komasaufen, kann die Gesellschaft nicht von sich weisen. Und die Eltern auch nicht.
Kann man diese Entwicklung noch aufhalten?
Es gibt technische Entwicklungen, die passieren und die kann man nicht stoppen. Wie es etwa beim Buchdruck war. Jetzt ist es das Internet. Das kann man auch nicht aufhalten. Aber ob man damit Schindluder betreibt oder nicht, das kann die Gesellschaft schon beeinflussen. Man soll ja nicht das Internet oder Facebook verbieten, aber man kann es regulieren. Da sind die Politiker gefordert. Aber da steckt eine große Lobby dahinter. Außerdem befürchten die Politiker sicher einen Aufschrei aus der Bevölkerung wegen der befürchteten Einschränkung der persönlichen Freiheit. Und ich glaube auch, dass sich die Politiker gar nicht damit beschäftigen. Denn zum ersten Mal in der Geschichte haben wir eine Situation, wo es eine neue Sucht gibt, nämlich die Onlinesucht.
Sind nicht auch die Eltern damit überfordert?
Natürlich. Die heutige Elterngeneration ist zum Großteil gar nicht damit aufgewachsen, die kennt das gar nicht. Die Kinder und Jugendlichen haben da einen sehr großen Wissensvorsprung. Zudem ist das Internet immer verfügbar. Heroin um drei Uhr morgens zu bekommen ist nicht leicht, aber um diese Zeit online einzukaufen ist kein Problem.
Ist eine Onlinesucht vergleichbar mit herkömmlichen Süchten?
Sucht ist Sucht. Wir unterscheiden ja zwischen körperlichen und psychischen Entzugserscheinungen. Wobei die körperlichen das geringere Übel sind. Beim Alkohol sind sie nach zwei Wochen weg, bei Heroin nach vier bis sechs Wochen. Viel schwieriger ist es bei den psychischen Entzugserscheinungen. Mir berichten Frauen, dass ihre sonst so friedlichen Männer ausrasten und sie schlagen, wenn sie ihnen den Alkohol weg nehmen. Jetzt rufen mich viele Mütter an die mir sagen, dass sie von ihren online süchtigen Kindern geschlagen werden, wenn sie ihnen den Computer weg nehmen. Von Kindern, die es gewohnt waren, 15 Stunden am Tag zu spielen.
Wenn die Tochter oder der Sohn so lange vor dem Bildschirm sitzt, fällt das den Eltern lange Zeit gar nicht auf?
Auch die Eltern können sich nicht aus der Verantwortung heraus nehmen. Ich habe zum Beispiel ein 17-jähriges Mädchen in Behandlung, die hat am Tag 17 Stunden lang getwittert. Die hat getwittert wenn sie am Klo war und Durchfall hat, die hat getwittert, dass sie sich jetzt die Hände waschen wird und gleich darauf, dass sie sich die Hände gewaschen hat. Da können mir die Eltern nicht erzählen, dass sie davon nichts mitbekommen haben.
Warum macht das jemand?
Das ist eine Beziehungssuche. Wir Menschen sind wie Hunde, nicht wie Katzen. Wir brauchen ein Rudel, um psychisch normal zu funktionieren. Die Beziehungssuche kann mannigfaltig sein. Das kann die Peergroup sein, vor allem in der Pubertät, aber die sucht man sich heutzutage lieber online. Und da passiert eine große Verwechslung. Nur weil ich 700 Facebook-Freunde habe, habe ich noch lange kein Rudel. Das sind nicht einmal virtuelle Beziehungen, das ist gar nichts. Man kann aber nicht immer den Eltern die Schuld geben, da sind ja auch die Freunde, die sagen, wenn du nicht auf Facebook bist, bist du nicht in. Wir alle brauchen ein Rudel, wo wir interessant rüber kommen. Aber dafür muss man sich anstrengen. Im Internet geht das ganz leicht, weil ich mich darstellen kann, wie ich will. Da habe ich sofort meine friends, und das wird dann schnell zur Sucht. Ich brauche nicht mehr gescheiter, lustiger oder gebildeter wirken, damit ich Leute an mich binden kann. Ich brauche mich nicht einmal mehr waschen. Die meisten Onlinsüchtigen, die zu uns kommen, stinken, weil sie sich nicht mehr duschen.
Warum reichen Social Networks für eine gesunde Beziehung nicht aus?
Es gibt ja die verschiedensten Beziehungen: die familiäre, die freundschaftliche auf Augenhöhe und die professionelle, z.B. zu einem Lehrer, zu einem Arzt oder Therapeuten. Aber egal, welche Beziehung man eingeht, es gibt hier immer Berührungen, auch wenn es nur das Händeschütteln ist, es gibt die Mimik oder akustische Eindrücke. Das alles fehlt bei den Social Networks. Eine gute Beziehung zu haben ist außerdem die beste Suchtprophylaxe.
Wo führt diese Entwicklung hin?
Wenn die Kinder, die ohnehin immer weniger werden, sich für nichts anderes mehr interessieren außer für ihre virtuelle Welt, dann frage ich mich das auch. Wer wird später einmal meine Pension bezahlen. In Deutschland gibt es ein Buch zu diesem Thema, das heißt „Generation doof“. Darin wird die These aufgestellt, dass wir eine Generation erziehen, die nicht in der Lage ist, eine Ausbildung zu machen. Die Jungen sind zu wenig bildungsfreudig und arbeitsfreudig. Wir können jetzt noch gar nicht abschätzen, wohin dieser Trend uns führt.
Wie kann man da gegensteuern?
Damit, in dem man sich wieder mehr um die Kinder kümmert. Man muss ihnen wieder etwas anbieten: sich selbst und ein interessantes Freizeitprogramm, das die Kinder interessiert.
Die meisten Eltern arbeiten, da bleibt oft wenig Zeit dafür.
Stimmt. Es müssen beide Elternteile arbeiten, weil das Leben ziemlich teuer geworden ist.In den USA gibt es dafür den Begriff „Quality time“. Das heißt, wenn wir schon den ganzen Tag über arbeiten, dann verbringen wir wenigstens die Abende gemeinsam. Aber nicht vor dem Fernseher, sondern wir reden, spielen oder machen gemeinsam die Hausaufgaben. Es sind aber auch die Lehrer gefordert, die ruhig mit den Schülern mehr diskutieren sollten als sie nur frontal zu unterrichten.
Gibt es einen Unterschied bei der Therapie einer Onlinesucht zur Therapie einer Alkoholabhängigkeit?
Nicht wirklich. Nur ein Beispiel: Die Suchtklinik De la tour in Kärnten hat schon vor uns Onlinesüchtige therapiert. Und die haben das 12-Schritte-Programm der Anonymen Alkoholiker übernommen. Und anstatt dem Begriff „Höhere Macht“, also Gott, verwenden wir das Über-ich. Aber die Stationen sind dieselben: 1.) Ich bekenne mich zu meiner Sucht, 2.) Ich erkenne an, dass es durch meine Sucht einen Leidensdruck auf andere gibt, 3.) Ich erkenne an, dass ich Hilfe brauche, und 4.) Ich erkenne an, dass ich, wenn ich abstinent bin, immer noch ein Problem habe.
Kann eine Abstinenz bei einem Onlinesüchtigen überhaupt funktionieren?
Das ist ein Problem, dafür gibt es noch keine klare Lösung. Bei einem Alkoholiker führt ja kein Weg daran vorbei, aber heutzutage kommt kaum jemand ohne Internet, ohne Mail aus. Deshalb raten hier wir auch nur zur Abstinenz jener Tätigkeiten, die sie süchtig gemacht haben: spielen, shoppen, twittern, wetten.
Kommen die jungen Patienten, egal ob onlinesüchtig oder alkoholabhängig, freiwillig zu ihnen?
Bei den Onlinesüchtigen sind schon die Eltern dahinter. Deshalb ist eine Behandlung auch sehr schwierig. Die jugendlichen Alkoholiker werden meist mit der Rettung zu uns gebracht. Nachdem sie ihren Rausch ausgeschlafen haben schauen wir, wie wir sie zu einer Therapie motivieren können. Aber je jünger sie sind, desto weniger freiwillig würden sie für eine längere Zeit hierbleiben. Das macht auch keinen Sinn. Da machen wir lieber ein Beziehungsangebot.
Wie sieht das aus?
Wir sagen, schön, dass du da warst. Wenn du wieder kommen möchtest, gerne. Du erzählst uns dann nur, wie es dir geht und dann kannst du wieder gehen. Wir sagen ihm natürlich nicht, dass er nie wieder trinken darf, weil junge Menschen kaum einen Begriff vom Älterwerden haben. Da geht es wirklich nur um das Heute. Was brauche ich jetzt? Wenn unser Angebot attraktiv genug ist, dann kommt er wieder. Und wenn er regelmäßig kommt, dann wird er ohne einer Behandlung weniger trinken. Das ist doch schon was.
Kepler Universitätsklinikum – Klinik für Psychiatrie mit Schwerpunkt Suchtmedizin - Ambulanzen und Stationen H103, H102 & Tagesklinik
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Fotos: Thomas Frohnwieser (5), Kepler Universitätsklinikum GmbH (1) Logo: Kepler Universitätsklinikum GmbH (1)