Demenz als Spätfolge für Koma-Kids?
Saufen bis zur Hirnerweichung
von Harald Frohnwieser
Immer mehr Kinder und Jugendliche greifen regelmäßig zur Wodkaflasche. Und haben am nächsten Tag einen gehörigen Brummschädel. Doch der Kater ist höchstwahrscheinlich nicht die einzige Folgeerscheinung…
Der 14-jährige Robert taumelt an einem herrlichen Sommertag über einen Parkplatz in Innsbruck. Fällt hin, steht mit wackligen Beinen wieder auf, um gleich danach wieder am Boden zu liegen. Nochmals aufzustehen schafft er jetzt nicht mehr, der Bub ist fast ohne Bewusstsein. Passanten helfen ihm auf – und alarmieren besorgt die Rettung. Die den jungen Tiroler prompt mit Blaulicht in die Innsbrucker bringt. Dort stellen die Ärzte fest, dass Robert mehr als zwei Promille Alkohol im Blut hat…
Leider kein Einzelfall. Das Rote Kreuz in Tirol schlug schon vor einigen Jahren Alarm: Die Einsätze, bei denen Kinder und Jugendliche mit einer Alkoholvergiftung mit dem Rettungswagen in eine Klinik eingeliefert werden mussten, haben extrem zugenommen – bereits im Jahr 2008 mussten die Rettungssanitäter bis zu 20 Mal im Monat ausrücken, weil sich ein Koma-Kid bis zur Bewusstlosigkeit betrunken hatte. Aber nicht nur in Tirol, auch in anderen Bundesländern kommt es immer wieder zu Exzesse mit Alkohol bei den Jugendlichen. Allein in Graz werden pro Jahr im Schnitt 170 Kids in die Kinderklinik eingeliefert. Saufen bis zum Umfallen, saufen, bis der Notarzt kommt.
Zwar ist das Trinkverhalten der Elf- bis 15-Jährigen im Jahr 2011 leicht zurückgegangen, doch im internationalen Vergleich liegt Österreich, was den Alkoholkonsum unter den Schülern betrifft, immer noch auf dem traurigen 5. Platz. Etwa 90 Prozent der Unter-Sechzehnjährigen haben bereits Erfahrungen mit Alkohol gemacht, und bei den 13-Jährigen konsumieren rund acht Prozent der Burschen und knapp vier Prozent der Mädchen ein Mal pro Woche Alkohol.
Auch was Deutschland betrifft, sind die Zahlen alarmierend. So ergab eine Studie, die vor Kurzem in Wiesbaden veröffentlicht wurde, dass die Zahl der behandelten Kinder zwar leicht zurück ging, bei den Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter zwischen 15 und 20 Jahren allerdings um fast drei Prozent angestiegen ist.
Verheerende Spätfolgen
Doch mit welchen Folgen müssen Jugendliche rechnen, wenn sie bereits im zarten Alter von zwölf Jahren regelmäßig zur Wodka-Flasche greifen? Ist es wirklich nur der Brummschädel alleine, der sich nach einem Saufgelage am nächsten Tag bemerkbar macht? Oder gibt es verheerende Spätfolgen wie etwa eine frühzeitige Demenz-Erkrankung? Der Leiter des Suchtklinik des Anton-Proksch-Instituts in Wien, Prof. Michael Musalek, betont zwar, dass es derzeit diesbezüglich noch keine gesicherten Daten gibt, weiß aber, dass jeder schwere Rausch ein Absterben der Nervenzellen mit sich zieht. „Ein vorgeschädigtes Gehirn kann natürlich später einmal anfälliger für eine Demenzerkrankung sein“, ist er überzeugt.
Wichtig für einen Schutz der Nervenzellen und somit eine gute Vorbeugung für eine Demenz ist genügend Vitamin B. Ein Mangel dieses Vitamins kann fatale Folgen haben. Dieser entsteht vor allem dann, wenn die Ernährung sehr einseitig ist (Stichwort Fast Food), wenn der Betreffende raucht und sich in seiner Freizeit nur dann bewegt, wenn er zur Fernbedienung für den Fernseher oder zur Spielkonsole greift. Und wenn dazu auch noch häufig Alkohol getrunken wird, ergibt das eine gefährliche Kombination, das Vitamin B stirbt ab, die Nervenzellen im Gehirn haben wenig Schutz.
Eine Untersuchung in Polen ergab, dass starker Alkoholkonsum bereits bei Menschen, die jünger als 50 Jahre alt sind, Symptome von Altersdemenz hervorrufen. Ein Neurologe aus Polen, Mariusz Sieminski, hatte 27 Patienten mit einem Durchschnittsalter von 47,5 Jahren untersucht, die bereits seit mehr als 20 Jahren Alkoholabhängig waren. „Unsere Studie lieferte einen starken Hinweis darauf, dass Alkohol nicht, wie oft gesagt wird, beim Denken hilft, sondern dass genau das Gegenteil der Fall ist“, so der Mediziner. Getestet wurde mittels MMSE (Mini Mental State Examination) – ein 1975 entwickeltes Schnelltestverfahren, das mittlerweile weltweit zur Erstbeurteilung von dementiellen Erkrankungen eingesetzt wird.
Angst, Depression, Demenz
Das Ergebnis ließ aufhorchen: 14,8 Prozent der untersuchten Alkoholikern befanden sich unter jener Grenze, ab der man eine Denkstörung ausschließen kann. Sprachgebrauch, Orientierung und Erinnerungsvermögen waren bei diesen Patienten bereits so weit in Mitleidenschaft gezogen, dass man bereits von einer beginnenden Demenzerkrankung sprechen konnte. Darüber hinaus litten 25,9 Prozent an massiven Angststörungen, weitere 18,5 Prozent kamen in die Nähe davon. Und 7,4 Prozent der Untersuchten waren in einem hohen Maße depressiv. „Die Tragweite dieses Tests ist enorm“, so Dr. Sieminski, „wir müssen noch viel mehr auf die Gefahren des Alkohols hinweisen.“ Michael Musalek sieht dies ebenso. „Wir müssen, was den Alkoholkonsum betrifft, ein Bewusstsein schaffen.“ Nachsatz: „Und eine Vorbildwirkung.“
Fotos: Harald Frohnwieser (1), Thomas Frohnwieser (1), ÖRK / Anna Stöcher (1)