Die Anforderungen, die manche Eltern an ihre Kinder stellen, sind enorm
Termine wie ein Manager
von Harald Frohnwieser
Stress in der Schule, Stress in der Freizeit: Der Terminkalender von manchen Kindern ist oft randvoll. Nachhilfestunden, Ballett, Fußball, Musikunterricht und organisierte Jugendgruppen gehören zum Alltag vieler Kinder und gönnen ihnen oft keine Zeit zum Verschnaufen. Dabei wäre ein wenig „faul-sein-dürfen“ zwischendurch enorm wichtig für eine gesunde Entwicklung, weiß eine Psychologin, die schon seit Jahren mit Kindern und Erwachsenen, die völlig ausgebrannt sind, arbeitet.
Wenn Simon von der Schule nach Hause kommt, muss er sich beeilen. Nach dem Essen werden die Hausaufgaben erledigt, dann muss er zum Flötenunterricht, von dort holt ihn seine Mutter ab und bringt ihn mit dem Auto zur Nachmittagsstunde der Pfadfinder, nur um zwei Stunden später – wieder von der Mutter – zum Fußballtraining chauffiert zu werden. Und am Dienstag und Donnerstag ist Schwimmen im Hallenbad angesagt. Simon hat einen Terminkalender, der fast dem eines Managers gleicht. Aber: Simon ist ganze sieben (!) Jahre alt.
„Viele Kinder haben schon ab der ersten Volkschulklasse einen enormen Leistungsstress“, weiß die Psychologin Eva Pokorny, die in ihrer Praxis („Geist & Seele“) im niederösterreichischen Gumpoldskirchen nicht wenige Kinder behandelt, die sich ausgebrannt und erschöpft fühlen. Der Grund dafür: „Die Eltern wollen, dass ihr Kind von Anfang an gute Noten bekommt, damit es später aufs Gymnasium kann. Ab der 4. Volksschulklasse werden meist nur noch Einser erwartet.“
Stress in Schule und Freizeit
Wird ein Kind diesen hohen Anforderungen nicht gerecht, reagieren die Eltern frustriert: „Aus dir wird nie etwas Richtiges werden, due wirst es nie schaffen“, lautet dann oft die Botschaft an ihren Nachwuchs, der auf eine Schularbeit nur einen Dreier oder gar einen Vierer bekommen hat. Aussagen, die gefährlich sein können. Denn: „Kinder bis zum Alter von neun oder zehn Jahren können zwischen ,Ich mache etwas schlecht‘ und ,Ich bin schlecht‘ nicht unterscheiden. Wenn man zu einem Kind in diesem Alter sagt, dass es schlecht liest, dann glaubt das Kind, dass es schlecht ist“, erzählt Eva Pokorny aus ihrem Erfahrungsbereich. Die Folgen sind Angstzustände, Depressionen, Resignation.
„Ich hatte einmal einen Buben in Behandlung, der hat sich im Alter von zwölf Jahren völlig aufgegeben“, berichtet die Psychologin. Mit ihm zu arbeiten war schwierig, denn die Eltern sahen keine Schuld bei sich. „Die haben ihn bei mir in der Ordination abgeliefert und gesagt: ,Machen Sie, dass mein Kind wieder in Ordnung kommt.‘ Aber sie haben sich geweigert, bei der Therapie mitzuarbeiten. Diese Eltern glauben, dass nur das Kind ein Problem hat, sie selber aber nicht.“
Zu all dem Stress in der Schule kommt oft ein enormer Freizeitstress auf die Kinder zu: Ballettunterricht für die Mädchen, Fußballtraining für die Buben, Klavier- oder Flötenstunden, Heimabende bei den Pfadfindern oder der Katholischen Jungschar und Nachhilfestunden für die Schule sind keine Seltenheit. Eva Pokorny: „Diese Eltern meinen es mit ihren Kindern zwar gut, sie gönnen ihnen aber null Freizeit. Da wird jede freie Minute eingeteilt. Die Kinder haben heutzutage oft einen viel zu großen Freizeitstress. Sie verbringen ihre freien Stunden dann ausschließlich in Gruppen, bei den Pfadfindern, beim Sport oder in einer Ganztagsbetreuung. Immer sagt ihnen jemand, was sie gerade tun müssen. Aber wer will schon gerne immer in einer Gruppe sein?“ Die Psychologin wüsste einen Ausweg aus diesem Dilemma: „Es ist enorm wichtig, dass einem Kind auch einmal fad ist. Es sucht sich dann ohnehin eine Beschäftigung, aber eine, die ihm Spaß macht, bei der es sich entspannen kann. Mit dem Lego spielen zum Beispiel. Die Eltern sollten dabei lediglich aufpassen, dass ihr Kind dann nicht stundenlang vor dem Fernseher sitzt oder mit irgendeiner Konsole spielt. Denn die Kinder miteinander zu reden, wenn sie nur Fernsehen oder mit dem Computer spielen.“
Sind Kinder mit einem vollen Terminkalender also typische Burnout-Kandidaten? „Ein klassisches Burnout wird bei Kindern nicht diagnostiziert, sondern Panikattacken, Angstzustände oder zu viel Stress. Aber die Symptome sind ähnlich wie bei den Erwachsenen, die an Burnout erkrankt sind: Schwindelgefühle, Kopfweh, Bauchschmerzen, morgendliches Erbrechen – und der Doktor findet keine organischen Anzeichen“, so Eva Pokorny.
Wichtiges Gleichgewicht
Die Erfolgsaussichten, wenn die Kinder rechtzeitig von einer guten Psychologin oder einem Psychologen behandelt werden, sind in den meisten Fällen gar nicht schlecht. Eva Pokorny: „Die Kinder warten ja nur darauf, dass man ihnen einen Ausweg zeigt. Dann geht es meist sehr schnell, das Kind kann ausgleichen, wenn es lernt, mit seiner Diagnose richtig umzugehen. Manchmal braucht es dazu keine zehn Sitzungen.“ Und weiter: „Bei den Erwachsenen dauert es viel länger, denn die haben viel mehr Angst davor, was passieren könnte, wenn sie ihre gewohnten, wenn auch unerträglichen, Muster verlassen.“
Apropos Erwachsene: Die Burnout-Erkrankungen sind in den letzten Jahren sprunghaft gestiegen. Dazu Eva Pokorny: „Vor zehn, 15 Jahren war der Druck in der Arbeitswelt noch nicht so groß. Wenn man seinen Job einigermaßen gut machte, brauchte man in der Regel keine angst vor einer Kündigung zu haben.“ Warum es diese Sicherheit meist nicht mehr gibt? Die Antwort ist eindeutig: Arbeitsplätze werden von heute auf morgen eingespart, Produktionsstätten in Billigländern ausgelagert, Mitarbeiter ab 50 werden gerne – da zu teuer – aus der Firma gemobbt. Und die Anforderungen steigen. „Unsere Zeit wird immer schnelllebiger, da ist es schwer, in der Freizeit wieder zur Ruhe zu kommen“, so Eva Pokorny. Wenn diese Erwachsenen erst einmal in diesem Hamsterrad gefangen sind, geben sie ihre Situation nicht selten an ihre Kinder weiter. Und wenn der Vater, die Mutter, seinen/ihren Burnout mit zu viel Alkohol bekämpft – was leider oft der Fall ist – dann sieht das Kind gefährliche Muster, die es sich später einmal selbst aneignet.
„Wir alle müssen ein Gleichgewicht finden, und wir müssen es den Kindern vorleben“, sagt Eva Pokorny. Nachsatz: „Solange es zu all den negativen Einflüssen auch schützende positive gibt, passt es. Wenn nicht, sind die Menschen gefährdet, in ein Burnout zu geraten. Erwachsene ebenso wie Kinder!“
Fotos: Thomas Frohnwieser (3)