Philipp Ikrath vom Institut für Jugendforschung:
„Heute betrinkt man sich gezielt!“
von Harald Frohnwieser
Darüber, dass die Jugend den Luxus liebt, schlechte Manieren hat, Autoritäten verachtet und ihre Lehrer tyrannisiert, hat bekanntlich schon der griechische Philosoph Sokrates in der Antike geklagt. Aber wie sieht es heute aus? Wie tickt unsere Jugend? Philipp Ikrath, Leiter des Instituts für Jugendforschung in Wien, beschäftigt sich schon seit Jahren damit, was die Jugendlichen beschäftigt, welche Werte und welche Ängste sie haben. Und setzt sich auch mit deren Trinkverhalten auseinander.
„Alk-Info“: Herr Ikrath, bis vor 15, 20 Jahren war man bis 15 noch ein Kind und ab 19 erwachsen. Sieht das heute anders aus?
Mag. Philipp Ikrath: Das hat sich ziemlich geändert. Heute führt man auch mit Mitte 20 noch einen sehr jugendlichen Lebenswandel. Man wohnt viel länger bei den Eltern, beginnt später zu arbeiten und gründet viel später als früher eine Familie.
Was sind die Gründe dafür?
Jugend gilt als erstrebenswert. Und zu Hause zu wohnen ist viel bequemer, als es früher war. Heute versteht man sich mit seinen Eltern meistens viel besser, man bekommt die Wäsche gewaschen und man darf sowieso alles machen, schon von klein auf. Zudem ist das Wohnen sehr teuer geworden.
Heißt das, dass die Jugendlichen heutzutage sehr bequem geworden sind?
Zu einen gewissen Teil schon, aber andererseits sind sie, was ihre Ausbildung betrifft, auch sehr zielstrebig und sehr ehrgeizig. Man identifiziert sich heute sehr stark über seine Arbeit. Hier sind die Jugendlichen, was Arbeitslosigkeit betrifft, sehr herzlos. Wenn jemand keinen Job hat, dann ist er selber schuld.
Spielen da auch eigene Ängste eine Rolle?
Ich glaube schon. Dadurch, dass alles so schnell geht, ist es sehr schwer geworden, das eigene Leben zu planen. Wenn man die Jugendlichen fragt, wo sie sich in fünf Jahren sehen, dann antworten fast alle, dass sie es nicht wissen. Deshalb sind sie sehr auf die Gegenwart bezogen. Die Vergangenheit ist wenig wert, aus den Traditionen kann man keine Lehren mehr für die Zukunft ziehen.
Hat das Auswirkungen auf das Trinkverhalten?
Kann sein. Fakt aber ist, dass die Jugendlichen sehr experimentierfreudig sind. Sie gehen gerne an ihre Grenzen und denken sich: „Ich mache das jetzt und dann höre ich wieder auf.“ Andererseits ist der Alkohol auch ein Ausweis fürs Erwachsensein.
Haben unsere Jugendlichen einen besorgniserregenden Umgang mit dem Alkohol?
Eine Studie in Deutschland, die man aber auch auf Österreich umlegen kann, besagt, dass etwa drei Prozent ein problematisches Trinkverhalten haben. Und bis zu zehn Prozent gelten als gefährdet. Aber es gibt auch viele Jugendliche, die gar keinen Alkohol trinken, das sind etwa 30 bis 40 Prozent.
Warum trinken die, die zum Alkohol greifen, so exzessiv?
Es ist sicher nicht ganz so schlimm, wie es von den Medien gerne dargestellt wird. Unter der Woche ist man eher abstinent und am Wochenende gibt man es sich dann halt. Dann kommen aber gleich die harten Getränke zum Einsatz, nicht wie früher einmal, wo man eher zu Bier oder Wein gegriffen hat.
Will man sich bewusst betrinken?
Ja. Ein Rausch passiert nicht mehr zufällig, wenn man gemeinsam mit Freunden in einer angenehmen Atmosphäre ein bisschen zu viel erwischt hat. Heute betrinkt man sich gezielt, das hat sich sicher verändert. Das hat auch mit dem Effizienzgedanken zu tun. Wodka ist relativ billig und fährt schnell ein, man hat also schnell die gewünschte Wirkung.
Hat das auch mit einer Autoaggression zu tun?
Das glaube ich eher nicht.
Aber vom Hochprozentigem wird man schneller abhängig?
Sicher, aber das bedenken die Jungen nicht. Sie gehen mit dem Alkohol eher sorglos um, wobei das Problembewusstsein auf diesem Gebiet auch bei den Erwachsenen nicht sehr groß ist. Außerdem kommen sich Jugendliche in einem gewissen Grad unverwundbar vor. Und auch Vorbilder in Film, Fernsehen oder in der Musik spielen dabei eine Rolle.
Könnte eine gezielte Aufklärung über die Gefahren des Alkohols etwas nützen?
Ich zweifle daran, dass das bei den jungen Leuten ankommt. Die meisten wissen ja, dass man vom Alkohol abhängig werden kann, aber es interessiert sie nicht besonders. Man hat ja schon einiges probiert, zum Beispiel an das Gesundheitsbewusstsein appelliert, aber das hat auch nichts geholfen. Es ist wie beim Rauchen, man weiß, dass es ungesund ist und tut es trotzdem. Je höher der Zeigefinger, desto wirkungsloser ist er.
Wie sieht der Umgang mit anderen Drogen aus?
Partydrogen stagnieren oder nehmen sogar leicht ab, der Konsum von Marihuana hat ebenfalls leicht abgenommen, ist aber nach wie vor sehr verbreitet, dafür gibt es mehr Kokain-Konsumenten. Und harte Drogen wie Heroin betreffen zum Glück nur eine Minderheit. Hier hat sich das Wissen, dass es sehr gefährlich ist, offenbar durchgesetzt.
Wir haben vorhin auch über die Ängste gesprochen. Haben Jugendliche heute mehr zu kämpfen als früher?
Was den Bereich des Arbeitsmarktes betrifft, auf alle Fälle, einen Zukunftsoptimismus haben sie nicht. Zwei Drittel sagen, dass es mit der Gesellschaft bergab geht. Das sehen auch schon 16-, 17-Jährige so. Die Jugendlichen glauben, dass man ohnehin nichts verändern kann.
Das sieht aber schon sehr nach einem negativen Stress aus.
Stimmt, es gibt sehr viele Jugendliche die hart am Burnout sind, nicht nur weil sie nicht an eine Zukunft glauben, sondern auch, weil sie sich mit einem enormen Leistungsdruck konfrontiert sehen. Sie fühlen sich von allen Seiten unter Druck gesetzt, von den Eltern, die sagen, wenn du in der Schule nicht zu den Besten zählst, dann schaffst du es nicht, dann von den Lehrern und von den eigenen Anforderungen. Dazu kommen die Meldungen in den Medien über Finanzkrisen, Arbeitslosigkeit oder Rezessionen. Und eine Selbstverwirklichung hängt sehr stark mit zusätzlichen Qualifikationen zusammen.
Inwiefern?
Wenn man eine große Reise macht dann meist nur deswegen, damit man einem späteren Arbeitgeber beweisen kann, wie aufgeschlossen man ist.
Welchen Druck machen die Eltern?
Sie sagen, dass eine normale Schulausbildung nicht mehr reicht, viele müssen schon in frühester Kindheit eine Zusatzausbildung machen. Und dazu noch die Flötenstunde, der Schwimmunterricht und vieles andere mehr. Man hat keine Zeit mehr, um seine Freizeit selbst zu gestalten.
Gibt es auch einen gesellschaftlichen Druck?
Ja, vor allem in der Ausbildung. Nur einen Hauptschulabschluss zu haben, gilt als schlecht, die Matura hingegen ist sehr wichtig. Auch die Lehre hat ein schlechtes Image. Man glaubt, dass die, die in der Schule versagt haben, jetzt eine Lehre machen müssen. Mehr haben sie nicht geschafft.
Gibt es auch Werte?
Die Gründung einer eigenen Familie hat stark an Bedeutung gewonnen, doch das heißt nicht, dass jetzt alle heiraten wollen. Aber man träumt davon. Dazu kommt, dass die Jugendlichen ein Problem mit festen Bindungen haben, sowohl im Privatleben als auch in der Arbeitswelt. Eine Loyalität zum Arbeitgeber gibt es fast nicht mehr. Wenn der bessere Job kommt, dann nimmt man ihn. Unsere Jugend ist heute so, wie es die Kriegs- und Nachkriegsgeneration war, die auch sehr materialistisch war. Sie hat ein sehr ausgeprägtes Sicherheitsdenken. Die 1968er Generation war eine große Ausnahme überhaupt, daher wäre es unfair, den Jugendlichen vorzuwerfen, dass sie nicht solche Ideale haben, wie sie die Hippies früher hatten.
Gibt es Vorbilder?
Schon, und zwar im eigenen Nahbereich. Das kann ein Familienmitglied sein, ein Freund, eine Lehrerin. Man hat auch meistens nicht mehr nur ein Vorbild, sondern mehrere, sogenannte Patchworkvorbilder. Man nimmt ein Puzzlestück von dem, ein anderes von einem anderen und so weiter.
Wie sieht es mit den Politikern aus?
Die sind bei den Jugendlichen völlig unten durch.
Fotos: Thomas Frohnwieser (6)