Jugend und Alkohol:
Wir sind (leider) Weltmeister!
von Harald Frohnwieser
Alljährlich untersucht die britische Wissenschaftszeitung „The Lancet“ die Gesundheit junger Menschen weltweit. 2012 sorgte die Veröffentlichung in Österreich für großen Wirbel: Unsere Jugendlichen sind, was das Komasaufen betrifft, Weltmeister. Und haben ihre Altersgenossen in Irland und den USA auf die Plätze zwei und drei verwiesen. Freilich ein trauriger Sieg…
Dass Österreichs Jugend viel zu viel trinkt, wird in den Medien schon seit Jahren immer wieder thematisiert. Aber jetzt müssten die Alarmglocken bei allen Verantwortlichen, egal ob Politiker, Eltern oder Lehrer, auf Hochtouren klingeln. Denn: In ihrer Studie, die in Zusammenarbeit mit dem UN-Kinderhilfswerk UNICEF entstand, verglichen die Autoren der britischen Wissenschaftszeitung „The Lancet“ weltweit die Daten der 10- bis 24-Jährigen. Herausgekommen ist, dass der Genuss von Alkohol besonders in den Industrieländern stark zugenommen hat. Und Österreich liegt hier klar im Spitzenfeld: Ein Drittel der 15-Jährigen greift regelmäßig zur Wodka-, Wein- oder Bierflasche, nicht wenige davon haben ihren Kapitalrausch bereits in einem Krankenhaus auskuriert. Auch in einer Europa-Studie lagen unsere Jugendlichen weit voran: 92 Prozent der 15- bis 16-jährigen Burschen und Mädchen gab an, in den vergangenen Monaten Alkohol getrunken zu haben. Und gaben ebenfalls an, es wieder zu tun. Und beim Komasaufen stehen wir unangefochten an der Spitze, noch vor Irland oder den USA, die aber stark aufholen.
Vorbilder im Elternhaus und im Fernsehen
Die Zahlen jedenfalls sprechen für sich. Waren es im Jahr 2001 „nur“ 959 Jugendliche im Alter von 15 bis 19 Jahren, die mit einer Alkoholvergiftung in ein Spital mussten, so waren es zehn Jahre später bereits 1196 dieser Altersgruppe, die ärztliche Hilfe brauchten. Wie die Eltern darauf reagieren, wenn sie ihren Sohn oder ihre Tochter vom Krankenhaus abholen, ist unterschiedlich. Fakt ist aber auch, dass es manche gar nicht interessiert. So erzählte ein Arzt der Grazer Kinder- und Jugendklinik in einer TV-Sendung, dass es gar nicht so wenigen Eltern ziemlich egal ist, dass sich ihr Kind ins Koma gesoffen hatte. „Ich kann jetzt nicht kommen, weil ich selber gerade am Feiern bin“, hörte er einmal von einem Vater, den er vom ramponierten Zustand seines Sohnes telefonisch unterrichtete.
Aber warum greifen unsere Jugendlichen so massiv zur Flasche. Suchtexperten meinen, dass es an den meist viel zu hohen Anforderungen unserer Leistungsgesellschaft liegt. Der Stress in der Schule nimmt zu, die Sorge, ob man später eine Arbeit, die auch Spaß macht, findet, ebenso. Andere wiederum meinen, dass es an den Vorbilder liegt. Wenn der Vater, die Mutter regelmäßig trinkt, warum sollte sich der Sohn, die Tochter dann zurückhalten? Und auch im Fernsehen wird ausreichend gebechert. Wenn Charlie Sheen, der aufgrund seiner Alkoholeskapaden 2011 monatelang für traurige Schlagzeilen sorgte, sich in der Serie „Two an a half Men“ regelmäßig seinen Rausch am Sofa ausschläft oder wenn die Zeichentrickfigur Homer Simpson ohne sein geliebtes „Duff“-Bier den Alltag nicht übersteht, hat das, glauben Experten, eine große Vorbildwirkung.
Keine Hemmschwelle
Während sich die Experten also noch über den Grund, der unsere Jugendlichen viel zu tief ins Glas schauen lässt, noch uneinig sind, ist eines klar: Die Meldungen über sturzbetrunkene Kinder und Jugendliche sind keine Einzelfälle mehr, sondern gehören zum Alltag eines jeden Chronik-Journalisten. Egal, ob sich bei einem Schulball in Oberösterreich vier 16- bis 20-jährigen Burschen derartig betrinken, dass ihnen nur noch im Spital geholfen werden konnte, oder ob eine Schülergruppe aus Kärnten solange an der Whiskey-Flasche nuckelte, bis der Jüngste, ein erst zehn Jahre alter Bub, bewusstlos zu Boden ging.
Aber auch in den anderen Bundesländern regiert längst der „König Alkohol“ unter den Kids. So landete mit zwei Promille Alkohol im Blut Anfang Mai 2011 ein zehnjähriger Bub aus der steirischen Ortschaft Gratwein in der Grazer Kinderklinik, nachdem er eine Wodkaflasche geleert hatte. Lebensgefahr bestand zum Glück keine. Wilhelm Müller, Chef der Grazer Kinderklinik berichtet, dass pro Jahr bis zu 250 Kinder und Jugendliche mit einer Alkoholvergiftung in seine Klinik eingeliefert werden müssen. Nur zwei Tage später brach in Obertrum in Salzburg ein 13-Jähriger an einem Samstag Nachmittag auf einem Parkplatz bewusstlos zusammen – ebenfalls mit zwei Promille. Er wurde mit einem Rettungshubschrauber in die Salzburger Landesklinik gebracht. „Es bestand akute Lebensgefahr, der Bub hätte ersticken können, wenn er erbrochen hätte“, so eine Ärztin.
In Tirol raste ein Rettungswagen mit Blaulicht ins Krankenhaus, um einem 14-jährigen Buben, der sturzbetrunken von einem Spaziergänger auf dem Boden liegend gefunden wurde, den Magen auszupumpen. Und noch in guter Erinnerung ist jene Mostverkostung der Dorfjugend in Schwanenstadt in Oberösterreich, bei der es Anfang April 2012 zu einem wahren Massenbesäufnis unter den Jugendlichen kam. Hunderte von ihnen betranken sich hemmungslos, mehrere landeten im Spital. „Es gab keine Hemmschwelle“, erzählte später ein geschockter Polizist den Reportern. Nicht nur er war geschockt…
Grafik: Thomas Frohnwieser (1)