1. Selbsthilfegruppe für junge Alkoholiker in Wien:
„Ich will dem Trend gegensteuern…“

von Harald Frohnwieser

Walter Figelmüller, 46, ist gelernter Bodenleger, hat aber auf Sozialbegleiter umgesattelt. Er selbst hatte seinen ersten Vollrausch mit 13 Jahren und war viele Jahre lang vom Alkohol abhängig. Jetzt ist er trocken – und will mit seiner in Wien-Hernals beheimateten Selbsthilfegruppe für junge Alkoholiker andere Kids davor bewahren, in die Alkoholsucht abzugleiten.

Walter FigelmüllerIn Deutschland kommen pro Jahr etwa 750.000 junge Menschen das erste Mal in ihrem Leben mit Alkohol in Berührung, in Österreich werden es demnach 75.000 sein. Ein Zehntel davon, schätzen Experten, werden früher oder später daran erkranken. Die Gründe für den Einstieg sind vielfältig. Da ist Omas Geburtstag, wo schon mal am Weinglas genippt werden darf, da sind – oft ältere – Freunde, die zum ersten Schluck verführen, da ist die Neugierde, wie es wohl schmeckt und da ist der Drang, cool zu sein, dass man schon trinkt und so scheinbar erwachsener wirkt als man ist. Oder da ist die Pubertät, in der man sich vom Elternhaus abnabelt und versucht, seine eigenen Wege zu gehen. Und da ist die Vorbildwirkung – wenn der Vater Ärger hat und jedes Mal sagt, dass er jetzt „was braucht“ um sich zu beruhigen, dann hat das Folgen für die Kinder. Sie sehen, dass Alkohol beruhigt, dass man dann gelassener wird und alles nicht mehr so schwer nimmt. Alkohol wird so mit etwas Positivem gleichgesetzt. Eine Erfahrung, die man oft wieder haben möchte.
Doch ist ein Kind oder ein Jugendlicher erst mal alkoholkrank, wohin damit? Therapieplätze für so junge Menschen sind rar, sofern überhaupt vorhanden. In Österreich ebenso wie in Deutschland. Ein Problem, das der nun trockene Alkoholiker Walter Figelmüller erkannt hat und mit drei ehrenamtlichen Mitarbeitern im April 2012 in Wien-Hernals eine Selbsthilfegruppe für alkoholkranke Jugendliche gegründet hat. „Auf die Idee bin ich gekommen, als ich ein elf Jahre altes Mädchen kennen gelernt habe, das bereits süchtig nach Alkohol war. Die hat im Alter von neun Jahren mit dem Trinken begonnen. Da habe ich mir gedacht, dass das sicher kein Einzelfall ist und dass man etwas dagegen tun muss“, sagt der gelernte Bodenleger, der sich zur Zeit zum diplomierten Sozialbegleiter ausbilden lässt.
Der Jüngste ist erst 15
Figelmüller kann sich in die Kids hineinversetzen, hatte er doch selbst seinen ersten Rausch im zarten Alter von 13 Jahren. Seine Gruppe, die sich in den Räumlichkeiten des Wiener Hilfswerks befindet, besuchen derzeit regelmäßigWalter Figelmüller sechs Jugendliche, die meisten davon sind Burschen. „Der Jüngste ist erst 15, der Älteste ist 26“, erzählt Walter Figelmüller, der sechs Mal aufgrund seines Trinkens in Therapie war und den im Winter 2011 eine Lungenembolie dazu zwang, mit dem Saufen aufzuhören. Und weiter: „Bei mir können sie ehrlich über ihre Trinkgewohnheiten reden. Vormachen können sie mir nichts und das tun sie auch nicht, sie sprechen ganz ehrlich über sich.“
Gesprochen wird in der Gruppe freilich nicht nur über den Alkohol, auch Schule, Lehre, Freunde und Freundinnen sind ein Thema. Mitunter wird auch gemalt, gezeichnet oder gebastelt. „Die Burschen haben alle eine große Angst davor, stigmatisiert zu werden. Deshalb wollen sie nicht, dass ihre Freunde erfahren, dass sie in die Gruppe gehen“, so Figelmüller, „sie sagen, dass ihre Freunde sie nie wieder anschauen würden, wenn sie wüssten, dass man in eine Selbsthilfegruppe für Alkoholiker geht.“ Da erzählt man lieber, dass man nun jeden Montag Abend in ein Fitnessstudio geht.
Begleitung zu Ämter oder ins Krankenhaus
Die Gründe, warum bereits so junge Menschen vom Alkohol derart abhängig sind, glaubt Walter Figelmüller zu kennen: „Viele Eltern wissen meist nicht, was ihre Kinder den ganzen Tag oder oft auch die ganze Nacht über so machen, da gibt es ein großes Desinteresse, weil sie mit ihrem eigenen Leben überfordert sind Wenn man um drei Uhr in der Früh in der Innenstadt unterwegs ist, sieht man mitunter 14-Jährige, die sturzbetrunken sind. Da fragt man sich schon, was ein Kind in diesem Alter um diese Zeit da noch zu suchen hat.“ Nachsatz: „Man sollte schon wissen, was das eigene Kind in seiner Freizeit macht.“ Viele Eltern, berichtet Figelmüller weiter, sehen nicht ein, dass ihr Kind bereits abhängig vom Alkohol ist. „Die wollen das gar nicht wissen und stecken lieber ihren Kopf in den Sand.“
Walter Figelmüller spricht aber nicht nur mit den Jugendlichen, der begleitet sie auch zu Ämter wie das AMS, geht mit ihnen zur Krankenkasse, zum Sozialamt oder er vermittelt beim Lehrherrn, wenn der Lehrling wieder mal aufgrund des Alkohols krank gefeiert hat und kurz vor dem Rauswurf steht. Was Figelmüller auffällt, ist die enorme Gewaltbereitschaft, die bei den Jugendlichen vorherrscht, wenn sie betrunken sind. In eine seiner Beratungsstunde, die er ebenfalls abhält, erzählte ihm die Mutter eines erst 13-jährigen Buben, dass sie von ihrem Sohn im Suff geschlagen wurde. „Drei von meinen Burschen sind bereits straffällig geworden“, so der Sozialbegleiter, der an seiner Diplomarbeit zum Thema „Jugendalkoholismus“ schreibt und der in seinen Beratungsstunden u. a. mit Fragen wie „ist es okay, wenn mein Sohn bis spät in die Nacht mit seinen Freunden im Park rumhängt?“ konfrontiert wird. Auf eines legt er dabei großen Wert: „Ich mache keine medizinische Beratung, das sollen die Ärzte machen. Aber ich kann die Kids oder deren Eltern zu einem Krankenhaustermin begleiten.“
Respekt
Der Respekt unter den jungen Gruppenteilnehmern ist gegeben, sollte jemand ein wenig auffällig werden, greift Walter Figelmüller ein. „Dann sage ich schon, dass wir nicht so miteinander reden, und das wird dann auchHilfe-für-alkoholkranke akzeptiert.“ Stellen die Jugendlichen ihm auch Fragen nach seiner Vergangenheit? Walter Figelmüller: „Natürlich. Die wollen ganz genau wissen, wie es bei mir mit dem Alkohol war, das saugen sie dann richtig auf.“
Ist Jugendalkoholismus ein Trend, der bald wieder aufhört? „Leider glaube ich das nicht“, gibt sich Walter Figelmüller wenig optimistisch, „das Einstiegsalter wird immer jünger und liegt jetzt zum Teil schon bei neun Jahren. Deshalb werde ich auch Vorträge in den Schulen zum Thema Alkohol abhalten und eine große Umfrage im Herbst 2012 starten. Denn ich will diesem beängstigenden Trend gegensteuern…“

Verein Hilfe für Alkoholkranke – Für Männer, Frauen und Jugendliche
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Fotos: Harald Frohnwieser (2) Logo: Verein Hilfe für Alkoholkranke (1)