Woodstock-Veteran Joe Cocker
„Ich habe gesoffen, bis ich bewusstlos war!“
von Harald Frohnwieser
Er zuckte, zappelte, stöhnte und schrie auf der Bühne. Und Tausende jubelten ihm zu. Und er war ganz oben. Doch wenn Woodstock-Legende Joe Cocker nach einem Gig alleine war, dröhnte er sich zu. Mit Whisky, Wodka oder Rum. Nur um wieder runter zu kommen. Später, um überhaupt schlafen zu können. Der Alkohol hatte ihn im Lauf der Zeit verändert. „Die Leute hatten Angst vor mir“, bekannte er in Interviews. Aber auch: „Ich bin froh, dass es vorbei ist.“ Joe Cocker verstarb am 22. Dezember 2014 im Alter von 70 Jahren an Lungenkrebs.
Dass er nicht mehr saufen durfte, empfand er als Strafe Gottes. Und war trotzdem froh, dass er den Alkohol nicht mehr brauchte. Sehr froh sogar. Und das betonte der 1944 geborene Joe Cocker in vielen seinen Interviews, die er gab, recht gerne. Als Grund für seine früheren Eskapaden gab er seinen Beruf an. „Blues-Sänger haben nun einmal etwas Schwermütiges an sich“, sagte er. Und betonte gleichzeitig, dass er sich freilich nicht darauf ausreden möchte. Er trank, so Cocker, um nach einem Auftritt runter zu kommen. Anfangs jedenfalls, zu Beginn der 1970er Jahre. „Nach jeder Show stand ich unter Strom. Ich ging an die Bar und genehmigte mir ein paar Drinks“, bekannte er im Herbst 2012 in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau.
Später trank er, weil er schlafen und träumen wollte. Denn ohne Whisky oder Wodka lief nichts mehr. Ein Star nach außen, aber ein einsamer Wolf tief in seinem Inneren. Gedanken darüber machte er sich lange nicht. Bei einem Ski-Urlaub war er einmal so betrunken, dass er volle zwei Stunden brauchte, um sich die Bretter anzuschnallen. „Erst als ich Anfang 50 war, machte ich mir langsam Sorgen. Ich trank alleine, musste saufen. Die Leute hatten Angst vor mir.“ Und: „Ich habe oft die ganze Nacht durch gesoffen. So lange, bis ich bewusstlos war.“ Es sollte aber noch weitere fünf, sechs Jahre dauern, bis es der Musiker mit der signifikant rauen Stimme schaffte, vom Alkohol loszukommen…
Mit Woodstock kam der Ruhm
Geboren wurde Joe Cocker am 20. Mai 1944 in Sheffield, England. Mit 15 begann er eine Lehre als Gasinstallateur, brach diese aber ab, weil er immer wieder mit diversen Gruppen durch die Lande tingelte, um die Songs seines großen Vorbilds Ray Charles nachzusingen. Sein Wunsch, Klavier spielen zu lernen, wurde nicht erfüllt. Sein Vater meinte, dass im Haus nicht einmal genug Platz vorhanden wäre, um einen Mantel aufzuhängen, geschweige denn, um ein Klavier rein zustellen.
Der große Durchbruch kam, als er beim legendären Woodstock-Festival 1969 seine eigenwillige Interpretation des Beatles-Hits „With A Little Help From My Friends“ zum Besten gab. Da stand ein zotteliger, zuckender und mit den Händen wild gestikulierender Typ auf der Bühne, der mehr schrie als er sang. Die Massen waren begeistert, ein Weltstar war geboren. Mit dem schnellen Ruhm kam das Geld. Aber es kamen auch die Drogen und der Alkohol. Und als dann auch noch der Discosound die Musikwelt eroberte, wurde es still um ihn. Falsche Berater tauchten auf, die ihn in den finanziellen Ruin trieben, Live-Auftritte mussten abgesagt werden, weil der Star von einst sich nicht mehr auf den wackeligen Beinen halten konnte. Zutaten, die einen Mann, der ohnehin an der Flasche hing, nur noch weiter in die Sucht treiben.
In den 1980er Jahre bekam Cocker wieder Oberwasser mit dem Song „Up Where We Belong“ aus dem US-Film „Ein Offizier und Gentleman“. Dafür gab's sogar einen Oscar. Und Songs wie „When The Night Comes“, „N’oubliez jamais“ oder „Unchain My Heart“ sicherten ihm regelmäßig obere Plätze in den Hitparaden.
Trocken in der Wildnis
Doch der Erfolg hinderte ihn nicht daran, weiter zu trinken. 1987 heiratete Cocker eine Erzieherin. Pam wurde die Stütze in seinem Leben. „Sie gab mir die Stabilität, die ich nie hatte“, bekannte der Sänger mit der rauchigen, von unzähligen Whiskys geölte Stimme. With A Little Help From My Wife, könnte er den Lennon/McCartney-Song, der ihn weltberühmt gemacht hatte, nun umtiteln. Mit Gattin Pam richtete er sich ein Haus mit sechs Schlafzimmern in einem kleinen Nest irgendwo in Colorado, USA, ein. „Das ist am Rand der Wildnis“, erzählte er 2012 in einem Interview mit der österreichischen Tageszeitung KURIER. „Die Bären würden in unseren Garten kommen, wenn wir nicht zwei Hunde hätten. Wir züchten seltene Tomaten und ich liebe dieses Leben.“ Nicht mal sein Handy funktionierte in dieser verlassenen Einöde: „Hier kann ich total abschalten.“
Er las auch viel. Bücher über Politik, Geschichte und Kriege faszinierten den Pazifisten, weil er verstehen wollte, warum die Menschen sich immer wieder gegenseitig bekämpfen. Alle zwei Jahre stand er im Studio, um eine neue Platte aufzunehmen und ging dann auf Tournee, um sie zu bewerben. Aber große Projekte, die er unbedingt noch verwirklichen wollte, gab es keine, sagte er. „Als Musiker bin ich zufrieden mit dem, was ich erreicht habe.“
Strafe Gottes
Über seine Suchterkrankung dachte er oft nach: „Ruhm und Rückschläge können einen Künstler leicht aus der Bahn werfen. Als ich plötzlich Erfolg hatte, flüchtete ich mich in Rauschmittel. Heutzutage würde mich wahrscheinlich jemand zur Seite nehmen und sagen, dass ich einen Entzug machen solle. Aber damals traute sich keiner an mich ran, weil ich ein völlig durchgeknallter Typ war.“ Aber ändern würde er, wenn er könnte, seine Biografie trotzdem nicht. „Man muss im Leben auch Erfahrungen machen“, stand er zu seiner Vergangenheit. Und: „Ich schaue viel lieber nach vorne.“
Den Alkohol nicht mehr anzurühren, fiel Joe Cocker nicht immer leicht. Da kam es schon vor, dass er sich zurückzog, wenn Besucher kamen und dabei das eine oder andere Glas Wein tranken. Dann saß der Musiker in einem seiner Räume und haderte ein wenig mit seinem Schicksal. Die anderen durften trinken, er nicht. Selbstmitleid war dann angesagt: „Dass ich nicht saufen darf, ist die Strafe Gottes“, sinnierte er. Doch Joe Cocker hatte gelernt, mit dieser „Strafe“ zu leben. Weil es sein Überleben sicherte. Bis zu seinem Tod im Dezember 2014. Der Rockmusiker, der stets natürlich blieb, mit seinen Fans oft plauderte und nie durch Allüren auffiel, verstarb zwei Tage vor Weihnachten in seiner amerikanischen Wahlheimat an Lungenkrebs.
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