Aus dem Buben mit den vielen Pusteln wurde begnadeter Dichter
Charles Bukowski – ein Leben im Rauschzustand

von Werner Schneider

Man hängte und hängt Charles Bukowski viele Attribute an: Genial, versoffen, ordinär, wunderbar. Eines verschwieg er nie, er machte es in vielen seiner Werke sogar zum Inhalt: Sein exzessives Verhältnis zum Alkohol. Es mag seiner gequälten Kindheit geschuldet sein, dass er die Flucht zur Flasche suchte. Möglicherweise auch seiner Frustration über ein zeitweise armseliges Leben. Eines wusste er aber schon zu Lebzeiten: Dass er wohl erst posthum wirklich geschätzt werde, obwohl er in den späteren Schaffensjahren bereits Erfolg hatte. Alle ZitateCharles Bukowski entstammen seinem Roman: Hollywood, dtv. Umschlagtext: „Mit den Frauen hatte ich meistens Pech, und die Folge war, dass ich mich stark aufs Trinken konzentrierte.“

Geboren wurde Charles Bukowski als Heinrich Karl Bukowski am 16. August 1920 in Andernach in Deutschland, sein Vater war US-Besatzungsoffizier aus dem 1. Weltkrieg. 1923 zog die Familie in die Staaten, wo der kleine Charles eine Hölle erlebte. Henry Bukowski betrog nicht nur seine Gattin nach Strich und Faden, er war auch gewalttätig im Suff und prügelte den Kleinen. In der Pubertät bekam er so heftige Pusteln (Akne) am ganzen Körper (eine psychosomatische Reaktion?), dass er ein Jahr lang nicht zur Schule gehen konnte. Bukowski schrieb sich das später in „Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend“ von der Seele. Aber sichtbare Narben blieben im Gesicht und auch solche auf der Seele.
Nach der Schule studierte er Journalistik am Los Angeles City College. Seine Berufung war aber die Schriftstellerei – mit der er anfangs völlig erfolglos blieb. Die Biographen sehen das als Beginn seiner Alkoholikerlaufbahn („Ich warf nur einen Blick auf die Speisekarte und wenn ein Kellner kam, sagte ich: ‚Noch nicht.‘ Und bestellte statt dessen einen Drink nach dem anderen.“).
Es begannen Wanderjahre durch die USA, wobei Bukowski auch wegen Trunkenheit im Gefängnis landete. Jobs wie Fleischergehilfe oder Leichenwäscher hielten ihn über Wasser.
Er erhielt nur schlecht bezahlte Jobs, trieb sich in Bars herum und landete schließlich auch in der Psychiatrie. Der Wehrdienst blieb ihm 1943 erspart, denn er wurde als „physisch und mental untauglich“ erklärt („Ich sah in den Barspiegel. Ich hatte nichts gegen mich, aber was ich im Spiegel sah, gefiel mir nicht. So sah ich nicht aus. Ich trank mein Glas aus.“).
Entweder Alkohol oder der Tod
1947 lernte er in Los Angeles Jane Cooney Baker kennen („Am Ende waren Sarah und ich so voll, dass wir nicht mehr nach Hause fahren konnten.“). Die Liaison dauerte bis Anfang der 50er Jahre. In diese Zeit fiel Bukowskis erster Job bei der Post (übrigens: Henry Miller arbeitete bei einer Telegrafengesellschaft). 1954 schien sein Leben zu Ende: Ein Magengeschwür brach auf und er wäre innerlich beinahe verblutet. Die Ärzte warnten ihn: Entweder Alkohol oder der Tod! („Ich hab 1957 fast mein ganzes Blut verloren. Lag zwei Tage im Keller vom Armenkrankenhaus, bis mich jemand gefunden hat – ein spleeniger Assistenzarzt, der noch ein Gewissen hatte. ‘n Dachschaden halt ich da schon für möglich.“ Hier nennt der Dichter für die wahre Begebenheit nur eine andere Jahreszahl in seinem Roman. Anm.) Bukowski verließ das Krankenhaus und besoff sich aus Freude über seine Genesung – wird berichtet.
Ein Jahr später heiratete er seine Frau Barbara Frye. Zu dieser Zeit schrieb er bereits Gedichte und Barbara war auch Schriftstellerin, sie stammte zudem aus wohlhabendem Haus. Sie gab das Alternativ-Magazin „Harlequin“ heraus. Und Bukowski war wieder bei der Post gelandet, diesmal im Innendienst, elf Jahre lang als Briefsortierer. Diese Erlebnisse verarbeitete er in dem Roman „Post Office“ (deutsch: „Der Mann mit der Ledertasche“).
1962 starb seine erste Beziehung Jane Cooney Baker, an „übermäßigem Alkoholkonsum“, wie Bukowski berichtete („An der Bar saßen sieben oder acht Leute. Ich kannte keinen von ihnen. Ich verlegte mich auf Wodka und Seven-up, und Sarah trank etwas, das violett oder grün aussah, oder grün-violett.“).
Outsider des Jahres
Im selben Jahr adelte ihn die Literaturzeitschrift „The Outsider“ mit dem Titel „Outsider des Jahres“ und veröffentlichte eine Sonderausgabe über Charles Bukowski.
1958 hatte sich der Schriftsteller und Postmann bereits von Barbara Frye scheiden lassen. Er lebte mit Frances Smith zusammen, die ihm 1964 die gemeinsame Tochter Marina Louise gebar. Später sollte diese Charles als sehr liebevollen Vater schildern.
1970 gab Bukowski die Arbeit bei der Post auf und versuchte, von der Schriftstellerei zu leben („Jon ging die nächste Flasche holen. ‚Vielleicht solltest du doch ein Drehbuch schreiben‘, meinte Sarah. ‚Sieh dir an, was es aus F. Scott Fitzgerald gemacht hat.‘ ‚Du bist nicht Fitzgerald.‘ ‚Nein. Der hat das Trinken aufgesteckt, das war sein Tod‘“). Der Verleger John Martin von „Black Sparrow Press“ sorgte für den regelmäßigen finanziellen Background.
So unattraktiv für Frauen, wie Bukowski das in seinem Roman „Hollywood“ beschreibt dürfte er nicht gewesen sein. Denn er brachte es auf eine hübsche Zahl an Beziehungen. Anfang der 70er Jahre begann eine stürmische Liebschaft mit der Bildhauerin Linda King. Über Jahre lebte das Paar zusammen, trennte sich wieder – und so weiter. In dem Werk „Women“ (mit dem etwas reißerischen deutschen Titel: „Das Liebesleben der Hyäne“) versucht Bukowski diese wechselvolle, oft schmerzliche Zeit zu verarbeiten.
Wein floss in Strömen
Bukowski berichtet selbst, dass eine seiner Frauen ihn von Wodka und Whisky zu Wein gebracht habe. In seinen Werken findet sich daher sehr oft der Weinrausch („Der Wein floss in Strömen, Modard redete drauflos, und ich erreichte den Punkt, wo bei mir alles aussetzt. Ob in guter oder schlechter Gesellschaft – oft schlaffen meine fünf Sinne einfach ab, machen dicht, und ich gebe auf.“).
Die Besitzerin eines Bioladens, Linda Lee Beighle begleitete den Dichter schließlich von 1977 bis zu seinem Tod an Leukämie am 9. März 1994, 73-jährig. Er hatte seine letzte Liebe 1985 geheiratet.
Bukowski bezeichnet sich selbst nicht als „Alkoholiker“ im Sinne der Krankheit. Er war „Säufer“, wie er nicht müde wurde zu beschreiben. Angeblich hatte er seine Sucht in den letzten Jahren in den Griff bekommen. Er fühlte sich mit seiner offenen, oft am Rand des Gewöhnlichen (gewöhnlich wie das Leben derer ganz unten und derer ganz oben) und Ordinären zu schreiben, als „Stachel im Arsch der Menschheit“. Mit seiner Person lebt der gefährliche Mythos, dass Rausch kreativ mache („‚Sagen Sie – trinken sie beim Schreiben?‘ ‚Ja, eine ganze Menge.‘ ‚Das brauchen Sie für die Inspiration. Ich sorge dafür, dass Sie es von der Steuer absetzen können.‘“). Niemand weiß, ob und wie oft Bukowski an seiner Schreibmaschine einfachzusammengebrochen ist oder keinen Buchstaben mehr an den anderen reihen konnte. Erhalten blieben jene Werke, in denen seine Beobachtungsgabe geradezu brillant ist, in Lyrik und Prosa. Bukowski hinterlässt etwa 40 Bücher und wird mit den ganz Großen der Literaturgeschichte verglichen.

Foto: bukowski-gesellschaft.de (1)

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