Sportidole und Alkohol
Götterdämmerung

von Harald Frohnwieser

Sportler gelten in unserer Gesellschaft als besonders gesund. Ihr durchtrainierter Körper ist makellos, sie stehen morgens früh auf, ernähren sich nicht von Chips und Cola, gehen früh zu Bett – und trinken kaum Alkohol. Aber nicht alle haben diese eiserne Disziplin. Manche Sportler, einst als Götter auf dem Rasen oder im Boxring verehrt, stieg der Erfolg zu Kopf. Wilde Partys und Alkohol in Strömen ließen letztlich ihre Karriere platzen. Andere wiederum konnten nach dem Ende ihrer Karriere mit dem Rest ihres Lebens nichts mehr anfangen – und griffen zur Flasche, um ihrem Alltag wieder einen Sinn zu geben. Und landeten so in einer (Götter)-Dämmerung, aus der sie schwer wieder herausfanden. Wenn überhaupt.

GötterdämmerungEr fuhr betrunken mit dem Auto, randalierte in Restaurants oder prügelte seine Frau. Letztendlich landete er im Februar 2013 als körperliches Wrack in einer Entzugsklinik in den USA. Der 1967 in Gateshead in England zur Welt gekommene einstige Fußballstar Paul Gascoigne sorgte in den vergangenen Jahren immer wieder für traurige Schlagzeilen. Dabei galt der Profi während seiner aktiven Zeit als einer der großartigsten Fußballer in seiner Heimat. Er stammt aus ärmlichen Verhältnissen, lernte kicken mit einem Tennisball weil sich seine Eltern keinen Fußball leisten konnten, wurde bald entdeckt, landete bei Tottenham Hotspur und durfte sich bald darauf den Dress der Nationalmannschaft überziehen.
Bei der Weltmeisterschaft 1990 in Italien führte er seine Mannschaft ins Halbfinale. Seine Schlafprobleme ließen ihn jedoch in den frühen 1990er Jahre immer öfter zu Schlaftabletten und Alkohol greifen. Aber sogar noch im schwer angetrunkenen Zustand – er hatte mehr als drei Flaschen Wein und zwei dreifache Brandys intus – konnte er auf dem Rasen seine Gegner derart verblüffen, dass er sogar zum „Man of the Match“ gewählt wurde. Trotzdem ging es mit der Karriere bergab, Gascoigne tingelte von Club zu Club, machte eine Entziehungskur um freilich gleich nach seiner Entlassung wieder rückfällig zu werden.
Ein körperliches Wrack
2010 landete der 57-malige Nationalspieler erneut in einer Klinik. Er wurde zum wiederholten Male betrunken hinter dem Lenkrad erwischt und musste auf richterliche Anordnung für ein halbes Jahr in eine Reha-Klinik. Aber auch das half nichts. Drei Jahre später war aus Paul Gascoigne ein derartiges Wrack geworden, dass ihn seine Freunde in eine Entzugsklinik nach Phoenix, Arizona brachten, wo er gleich nach seiner Ankunft in die Intensivstation gebracht wurde. „Ich war tot“, sagte er später in einem Fernsehinterview. Und: „Ich war ein totales Wrack. Das muss eine Inspiration sein, dass mir das nie wieder passiert.“ Mal sehen.
Paul Gascoigne ist freilich nicht der einzige gefallene Engel unter den Fußballern. Über seine Alkoholkrankheit hat der deutsche, 1962 im Sauerland geborene Uli Borowka ein Buch geschrieben, in dem er offen seine Alkoholsucht eingesteht. In „Volle Pulle. Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker“ (Verlag Edel Germany) schreibt er wie er es jahrelang schaffte, seine Alkoholkrankheit vor seinem Verein und vor der Öffentlichkeit zu verbergen. „Ich genoss die Aufmerksamkeit, das Schulterklopfen und war in den ersten Jahren immer gut drauf, wenn ich getrunken hatte“, beschreibt er seinen Doppelpass zwischen Karriere und Sucht.
Aber mit den Jahren veränderte sich sein Charakter und es kamen Probleme auf: „Der Alkohol wurde so zu einem Ventil, das ich brauchte, um zur Ruhe zu kommen.“ Doch die Ruhe weilte nur kurzfristig, der Spieler von Werder-Bremen wurde meist aggressiv und und deshalb zu einem Typ, „mit dem man nichts mehr zu tun haben wollte“. Uli Borowka checkte im Jahr 2000 nach der Vermittlung eines Freundes in einer deutschen Suchtklinik ein, ist seither trocken und ist im Sportmanagement tätig.
Die schlimmsten 20 Minuten
Vor allem älteren Semestern wird George Best noch ein Begriff sein. „Ich habe viel Geld für Alkohol, Frauen und schnelle Autos ausgegeben, den Rest habe ich einfach verprasst“, sagte der Mann, der als Nordirlands bester Spieler eingestuft wurde und 2004 von Fußballgott Pelé sogar in die Liste der 125 besten Kicker aufgenommen wurde. Und:„1969 habe ich das mit den Frauen und dem Alkohol aufgegeben. Das waren die schlimmsten 20 Minuten meines Lebens.“ Der „Beatle des Fußballes“, wie er in den 1960er Jahre aufgrund seiner langen Haare auch gerne genannt wurde, war schon als Teenager Alkoholiker. Seine Sucht versuchte er mit einer Magenoperation so zu präparieren, dass jeder Tropfen Alkohol zu einer Qual werden sollte. Vergebens. 2003 ließ er sich eine neue Leber einpflanzen – und trank dennoch weiter. Als er 2005 mit nur 59 Jahren starb, soll er wie ein Greis ausgesehen haben.
Auch andere Große des Weltfußballs gingen am Suff zugrunde: José Leandro Andrade aus Uruguay war ein Dandy und trat bei den Olympischen Spielen 1924 in Paris sogar als nebenbei als Tänzer mit Josephine Baker auf. Sein Alkoholkonsum brachte ihn ins Armenhaus von Montevideo, wo er im Oktober 1957 verstarb. Ein weiterer Südamerikaner, der am Suff verstarb, war der brasilianische Fußballer Mané Garrincha (Manuel Francisco dos Santos), der als „Mann mit den krummen Beinen“ 1958 und 1962 Weltmeister wurde. Nach seinem Abschiedsspiel im Jahr 1973 geriet er schnell in Vergessenheit und verarmte. Seinen jämmerlichen Zustand versuchte er zunehmend, mit Alkohol auszugleichen. 1983 starb er an den Folgen einer Alkoholvergiftung mit nur 49 Jahren.
Ein weiterer Fußballstar, der dem Alkohol verfiel, war der Wiener Horst Nemec, der 1939 in Wien geboren wurde. Nemec spielte bei der Wiener Austria und traf mit der österreichischen Nationalmannschaft gegen Spanien und gegen England ins Tor. Nach seinem Abschied als aktiver Fußballer kaufte sich der einstige Sportler im 6. Wiener Gemeindebezirk ein Kaffeehaus, wo er nicht nur seinen Gästen, sondern auch sich selber kräftig einschenkte. Gezeichnet vom Alkohol starb der frühere Ausnahmefußballer am 23. Juni 1984.
Höhenflug und tiefer Fall
Aber muss nicht immer Fußball sein, auch andere Sportarten können mit Stars, die dem Alkohol verfallen waren, aufweisen. Der Finne Matti Nykänen gilt heute noch als Skisprung-Legende, war vierfacher Olympiasieger, erhielt sechs WM-Goldmedaillen und gewann vier Mal den Gesamtweltcup. Doch der Sportler ist nach seinem Höhenflug tief gefallen und gezeichnet von seiner Krankheit, die ihn jahrelang beherrschte. Aufgrund seines Alkoholmissbrauchs sieht der Finne mit knapp 50 Jahren aus wie ein alter Mann. Kein Wunder, stehen doch in seiner Biografie nicht nur drei gescheiterte Ehen sondern auch eine Verhaftung wegen versuchten Totschlags im Alkoholrausch und ein Gefängnisaufenthalt wegen Misshandlung seiner Frau und wegen einer späteren Messerattacke auf einen Bekannten. Nykänens Alkoholeskapaden begannen nach dem Ende seiner Karriere, beschrieben hat er sie zum Teil schon 2003 in seinen Memoiren „Grüße aus der Hölle“ (woro press). Der Skispringer ist jetzt sportlich wieder aktiv, springt bei Seniorenspringen und betreut einen jungen finnischen Landsmann.
Boxer können kräftig zuschlagen, keine Frage. Doch es gibt auch Boxer, die kräftig zugreifen können, vor allem, wenn es um Alkohol geht. Zu ihnen zählt der deutsche Gustav „Bubi“ Scholz, der sich in den Wirtschaftswunderjahren der 1950er Jahre als Arbeiterjunge von Sieg zu Sieg boxte. 1962 wollte er Weltmeister im Halbschwergewicht werden, scheiterte aber. Drei Jahre später gab er den Boxsport auf. Für Schlagzeilen sorgte er erst 1984 wieder, als er nach 29 Ehejahren seine Frau Helga in der gemeinsamen Berliner Wohnung im betrunkenen Zustand und unter Tabletteneinfluss erschoss. Zwischen dem Ehepaar gab es schon längere Zeit Spannungen. Wohl auch, weil Scholz immer öfter zur Flasche griff. 1985 wurde er zu nur drei Jahren Haft verurteilt, der Richter billigte dem einstigen Idol eine erhebliche Bewusstseinsstörung und eine verminderte Schuldfähigkeit zu. Bubi Scholz starb am 21. August 2000.
Glanz und Gefängnis
So wie Bubi Scholz wurde auch der argentinische Boxer Carlos Monzon – er war von 1970 bis 1977 Weltmeister im Mittelgewicht - verhaftet, nachdem er ein Fotomodell betrunken vom Balkon seiner Wohnung stieß. Seine Verteidigung „Ich schlug alle meine Frauen, und noch nie ist etwas passiert“ halt ihm recht wenig – der Alkoholiker wurde zu elf Jahren Haft verurteilt.
Auch Hans Orsolics weiß, wie eng Glanz und Gefängnis beieinander liegen. Er schaffte es als Boxer und vom Leben gezeichneter Alkoholiker mehrmals in die Schlagzeilen. 1967 wurde der gebürtige Burgenländer Europameister im Halbschwergewicht, in 53 Kämpfen ging er 42-mal als Sieger hervor. Doch der damalige Liebling der Nation merkte nicht, wie ihn sogenannte Freunde ausnutzten und auf seine Kosten lebten. Dazu gehörten auch Frauen, die nur beim „Hanseee“ blieben, weil er für ihren teuren Lebensunterhalt großzügig aufkam.
Als er nach seiner Karriere das elterliche Wirtshaus übernahm, griff Orsolics schon regelmäßig zur Flasche. Ein Griff mit Folgen. Immer wieder kamen Stänkerer in sein Gasthaus, die sich mit dem einstigen Boxer anlegen wollten. Und gingen prompt zu Boden. Hans aber wanderte dafür immer wieder ins Gefängnis. Völlig heruntergekommen lebte Orsolics eine Zeit lang bei seinem Vater im Burgenland, besang seinen Zustand Mitte der 1980er Jahre in dem Lied „Mei potschertes Leb'n“, wurde dafür zeitweilig wieder zum Liebling der Nation, verschwand wieder in der Versenkung und wurde schließlich vom früheren ORF-Sport-Reporter Sigi Bergmann aufgestöbert. Der Reporter kümmerte sich rührend um den Mann, dessen Kämpfe er früher im ORF oft kommentiert hatte und schaffte es schließlich, dass sich Hans Orsolics einer Therapie unterzog. Bergmann verschaffte seinem Schützling auch noch einen Job in der ORF-Druckerei. Heute lebt Orsolics trocken und zurückgezogen mit seiner zweiten Ehefrau, die eisern zu ihm hält. Seinen wohl härtesten Kampf führt er jetzt gegen den Krebs.
Ebenfalls vor Gericht musste der US-Basketballstar Dennis Rodman, der in den 1990er Jahren als der beste Basketballer der Welt galt. Im angetrunkenen Zustand erschien er bei seiner Frau, um seine Kinder zu einem Frühstück mitzunehmen. Als ihm seine Ex dies verwehrte rastete der ehemalige Sportler total aus und griff sie tätlich an. Doch nicht nur das brachte ihn vor dem Richter, die Mutter seiner Kinder fordert auch mehrere hunderttausend Euro Unterhalt ein. Geld, das er längst nicht mehr hat, der gefallene Star ist pleite. Aufgrund seiner Alkoholkrankheit stellte seine Finanzberaterin fest: „Dennis ist nicht in der Lage zu arbeiten.“ Begründung: „Er ist schwer krank.“ Welch wahrer Satz. Denn wenn er Rodman es nicht schafft, seine Krankheit zu stoppen, gilt für ihn das, was für viele einstige Sportidole gilt, wenn sie nichts für ihre Genesung tun: Götterdämmerung…

Grafik: Thomas Frohnwieser (1)

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