Harald Juhnke:
Sieben Leben bis zum Tod
von Harald Frohnwieser
Er war ein ebenso erfolgreicher Schauspieler wie Entertainer. Und er war Deutschlands öffentlichster Alkoholiker: Harald Juhnke sorgte viele Jahre lang mit seinen Abstürzen immer wieder für Schlagzeilen, um danach geläutert zu versichern, dass er nie wieder trinken werde. Ein Teufelskreis, der letztlich zum Tod des beliebten Künstlers führte. Eine Erinnerung an einen Menschen, mit dem ich mehrmals sehr berührende Gespräche führen durfte…
1. April 2005. In einem Berliner Pflegeheim hört das Herz eines 75-jährigen Mannes zum Schlagen auf, der zuletzt weder seine Freunde noch seine Ehefrau erkannte. Sein Tod überraschte mich nicht wirklich. Es war ohnehin nur eine Frage der Zeit, bis sich Harald Juhnke für immer verabschiedete. Die letzten Jahre seines Lebens dämmerte der einst so beliebte Film- und Fernsehstar in seinem Zimmer des Pflegeheimes dahin, glaubte in den wenigen lichten Momenten, dass ihn gleich ein Chauffeur abholen werde um ihn in ein Studio zu führen, um sich jedoch anschließend an seinen Teddybären zu kuscheln: Harald Juhnke war wieder zu einem Kind geworden, das aufopfernd gepflegt werden musste.
Sein Leben glich einer Achterbahn. Er war mal oben, dann wieder ganz tief unten. Er schmiss Drehtermine, verkroch sich in Bars, lud im Rauschzustand Reporter in sein Haus, ergoss sich in Selbstmitleid, ging in Therapie, war kurz trocken, und begann das Rad seines Lebens erneut zu drehen. Sein Publikum verzieh ihm Jahrzehnte lang seine öffentlichen Rauschzustände, es liebte seinen „Harry“, Berliner Prüflinge für den Taxiführerschein mussten seine Adresse auswendig kennen. Denn es könnte ja sein, dass es Harald Juhnke, wenn er von einer Bar nach Hause wollte, sie selber nicht mehr kannte.Harald Heinz Herbert Juhnke kam am 10. Juni 1929 als Sohn eines Polizisten in Berlin zur Welt. Nach seinem Abitur nahm er Schauspielunterricht, 1948 hatte er seinen ersten Auftritt am Maxim-Gorki-Theater seiner Heimatstadt. Zwei Jahre später kam das erste fixe Theaterengagement in Neustrelitz und in Berlin, später folgten Stationen als freier Schauspieler in Düsseldorf, Köln, Hamburg und München. Schon in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts folgten erste Filmrollen für das Kino, mehr als 50 Spielfilme der meist seichten Art folgten. Schon damals griff Harald Juhnke regelmäßig zur Flasche. In seinen 1998 erschienenen Memoiren „Meine sieben Leben“ (Rowohlt-Verlag) schrieb er: „Den Alkohol, diesen König und Teufel, habe ich im Kino kennen gelernt. Wenn Humphrey Bogart lässig einen Whisky nach dem anderen kippte, hatte das was. Nun kippten auch wir junge Künstler die Drinks hinter die offenen Hemdkrägen, als turnten wir alle miteinander im selben Film herum.“
Flucht in den Alkohol
War der Griff zur Flasche anfangs noch aufgrund von Feiern mit den Kollegen ein wichtiges Ritual, so sollte in den späten 1950er Jahren ein schwerer Schicksalsschlag Juhnke zum Problemtrinker werden lassen. Seine Tochter, die an einer unheilbaren Schädigung am Rückgrat litt, starb im Alter von 14 Monaten. Juhnke in seinem Buch: „Ich flüchtete mich erst recht in den Suff, ich fühlte mich tief verletzt. Zum ersten Male trank ich ganze Nächte durch.“
Im Februar 1959 machte der Schauspieler, abgefüllt mit zehn Gläsern Bier und 23 Schnäpsen, aufgrund seiner Fahrweise Verkehrspolizisten auf sich aufmerksam, raste ihnen davon und konnte erst einige Kilometer später gestellt werden. Die Folge waren ein paar Monate Haft, was seiner Theater- und Filmkarriere freilich nicht schaden sollte.
1979 übernahm er nach dem Tod von Peter Frankenfeld dessen TV-Show „Musik ist Trumpf“. Drei Jahre lang hielt er durch, doch seine Ausfälle leistete er sich vor kleinerem Publikum – oft war die Bar verlockender als der Auftritt. Als er jedoch schon bei den Proben für „Musik ist Trumpf“ betrunken war, kam der Blaue Brief vom ZDF. Fristlos gefeuert! Doch aufgegeben hatte er nie. In seinen trockenen Phasen begeisterte der Entertainer sein Publikum, egal ob in seiner ORF-Show „Willkommen im Club“ oder als Schauspieler in Filmen wie „Schtonk“ oder „Der Papagei“.
Viele weiter Abstürze, von Boulevardblättern genüsslich dargeboten, spielte er 1995 in der berührenden Verfilmung von Hans Falladas „Der Trinker“ natürlich die Titelrolle. Und somit sich selbst. Damals habe ich Harald Juhnke zum ersten Mal interviewt. „Ich habe kapiert, dass ich nicht mehr trinken darf. Dass ich, wenn ich auch nur einen einzigen Schluck Alkohol trinke, eine Gratwanderung zwischen Leben und Tod gehe. Ich bin krank, sehr krank. Alkoholismus ist eine Krankheit, die tödlich sein kann. Ich will aber noch ein paar Jährchen leben“, sagte er mir in einem ausführlichen Interview.Während der Dreharbeiten hielt Deutschlands liebstes Stehaufmännchen auch eisern durch, danach folgte was folgen musste – der Absturz. Juhnke in seinem Buch: „Der Preis war, dass ich nach den verführerischen Trockenübungen am Drehort zu Hause wieder zur ,richtigen‘ Flasche griff.“ Und weiter: „Ich spreche nicht vom berühmten Schluck, den man sich nach getaner Arbeit hinter die Binde gießt. Ich spreche von einem unrasierten alten Mann im Bademantel, der Whisky wie Wasser trank.“ Ein Kreislaufkollaps und ein längerer Klinikaufenthalt waren die Folgen.
Eklat in USA
Im Februar 1997 kam es erneut zum Eklat. Juhnke soll in den USA, wo er in Los Angeles eine TV-Show drehen sollte, in seinem Hotel einen Schwarzen als „dreckigen Nigger“, der bei Hitler vergast worden wäre, beschimpft haben. Obwohl Juhnke danach immer wieder beteuerte, dass er das nie gesagt habe, blieb dieser umstrittene Ausspruch an ihm kleben. Sein Saufen hatte spätestens zu diesem Zeitpunkt jegliche Sympathie verloren.
Nur wenige Monate später sorgte er wieder für Negativ-Schlagzeilen: Bei Dreharbeiten zu einer TV-Komödie kippte er in Velden am Wörthersee wieder um. Doch die Filmcrew hielt zu ihm. Regisseur Otto Retzer sagte mir damals: „Es ist bei ihm eine Krankheit, keine Sache des Charakters.“
Juhnke brachte den Film dann doch zustande, doch im August 1997 die nächste Meldung: Er wurde in einer Berliner Bar zusammengeschlagen. Wie das alles geschah, konnte er sich aufgrund sehr vieler Schnäpse nicht mehr erinnern: „Zu dem Vorfall kann ich nichts sagen. Nur soviel: ich sitz an der Bar, trinke etwas, als eine Gruppe von Leuten reinkommt und mich einfach zusammen schlägt. Mehr weiß ich nicht mehr“, erzählte er mir am Telefon.
Ein halbes Jahr später ein weiteres Interview. Juhnke war inzwischen trocken und sollte es bis zum Jahr 2000 bleiben. „Die wenigsten Menschen haben gewusst, wie sehr ich unter meiner Krankheit gelitten habe. Die dachten immer, dem Juhnke macht das Saufen Spaß“, verriet er mir. Er sprach auch über die Leere in seinem Leben. „Nach den großen Erfolgen kamen immer die großen Tiefen. Mein Psychiater hat mir deshalb geraten, mich selbst zu belohnen, mit einem guten Essen oder so.“ Als ich ihm sagte, dass ich regelmäßig die Meetings der Anonymen Alkoholiker besuchte, meinte er spontan: „Das wäre nichts für mich.“ Und nach einer kleinen Nachdenkpause: „Also, anonym bin ick nun mal wirklich nich.“
An seinem 70. Geburtstag ging es ihm bestens. „Seit meinem Alkoholentzug vor zwei Jahren geht es mir prächtig“, sagte er mir nicht ohne Stolz. Und weiter: „Die Fehler, die ich gemacht habe, habe ich letztendlich in den Griff bekommen und daraus gelernt.“ Er dachte auch über den Grund seines Trinkens nach: „Angst war es wohl weniger. Ich wollte anfangs meine Karriere ganz einfach schneller voran treiben und habe den Alkohol als Sprit benutzt. Die Ironie aber ist, dass mein Vorwärtskommen irgendwann einmal abrupt gestoppt wurde, bis ich schließlich dem Tod ganz nahe war.“ Und über seinen Glauben verriet er mir: „Ich stehe zwar keiner Religion sehr nahe, doch ich bin überzeugt, dass da oben jemand sitzt und uns lenkt.“
Absturz und Demenz
Bis zum Juli 2000 war also Harald Juhnkes Welt und die seiner zweiten Frau Susanne noch in Ordnung. Dann kamen Dreharbeiten, die ihn nach Baden bei Wien führten. Juhnke war nervös. Im Theater in Berlin, wo er brillant den „Hauptmann von Köpenick“ gab, kam es schon mal vor, dass er einen Text vergaß. Und hier in Österreich sollte er als Partner den genialen Otto Schenk haben. „Er hatte großen Respekt vor ihm“, erzählte mir Regisseur Peter Weck Jahre später. Noch vor Beginn der Dreharbeiten gab es in einem Heurigenlokal einen Pressetermin. Juhnke gab im kleinen Kreis zu, dass er Angst habe, den Text zu vergessen. „Dann schreiben wir ihn halt auf eine Tafel, die Sie ablesen können“, sagte jemand. Und weiter: „Satz für Satz, und wenn es sein muss, Wort für Wort.“
Diese Demütigung war für Juhnke zu viel. Wieder im Hotel, setzte er sich an die Bar und bestellte einen Whisky nach dem anderen. Sein Sohn aus erster Ehe, ein Arzt, bringt ihm in eine Schweizer Klinik, Monate später wurde er in einem Berliner Krankenhaus wegen Herzrhythmusstörungen behandelt. Bis Dezember 2001 war er zu Hause, doch seine Demenz zwang Juhnkes Ehefrau dazu, ihren Mann von zu hause fort zu bringen. Und zwar in ein Pflegeheim, das zu seiner Endstation werden sollte.
„Dr. Jekyll und Mr. Hyde sind Waisenknaben gegen mich“, schrieb Harald Juhnke am ende seines Buches. Denn: „Ich bin nicht zwei, ich bin sieben Personen. Ich so habe ich auch sieben Leben.“
Sein achtes Leben – eines in einer dauerhaften, zufriedenen und ausgefüllten Trockenheit, war dem großen Schauspieler und Entertainer leider nicht mehr vergönnt.
Foto: Rowohlt Verlag (1)