Udo Jürgens und der Alkohol
„Der Teufel hat den Schnaps gemacht“
von Harald Frohnwieser
Er hat mehr als 1.000 Lieder geschrieben, er war der erfolgreichste deutschsprachige Sänger und Komponist und seine Lieder sangen Shirley Bassey, Sammy Davies jr., Bing Crosby oder Lale Andersen. Der im österreichischen Bundesland Kärnten geborene Udo Jürgens stand bis zuletzt auf der Bühne, von der er am 21. Dezember 2014 im Alter von 80 Jahren getreu dem Titel seiner letzten CD „Mitten im Leben“ nach einem Herzanfall während eines Spaziergangs plötzlich und für immer abberufen wurde. Doch der Sänger, der 1966 mit dem Siegerlied „Mercie Chérie“ beim Eurovisions Songcontest seinen großen Durchbruch schaffte, hatte mehr als ein Jahrzehnt lang große Alkoholprobleme. Über die er später sehr offen sprach…
„Ich war auf der Kippe zum Alkoholiker“, gestand Udo Jürgens einem Journalisten, der ihn 2003 interviewte. Doch schon ein Jahr zuvor ließ Jürgens die Leser der „Süddeutschen Zeitung“ an seinen wilden Zeiten teilnehmen: „Vor jedem Auftritt trank ich zwei Flaschen Wodka und rauchte 40 Zigaretten. Ich habe damals gesoffen, ausnahmslos. Wir haben schon zum Frühstück angefangen, aber Frühstück war immer erst um zwei Uhr nachmittags. Ein paar haben Cognac getrunken, aber die meisten Wodka. Wir sind jede Nacht voll ins Bett gefallen. Ich befand mich in einem Strudel des pausenlosen Abenteuers. Aber natürlich hat mich das völlig fertig gemacht.“
Dass Udo Jürgens seine anhaltenden Erfolge so ausgiebig feierte, war die Folge der vielen Jahre, in denen er seinem Durchbruch vergeblich hinterherjagte. Der Sohn eines Bürgermeisters – der Vater entstammte einer deutschen Bankerfamilie - und einer aus Deutschland stammenden Mutter wurde am 30. September 1934 geboren und wuchs als Udo Jürgen Bockelmann behütet auf einem Gut in der Nähe von Kärntens Landeshauptstadt Klagenfurt auf. Schon früh brachte er sich das Klavierspielen bei, später erhielt er professionellen Unterricht. 1950 gewann der 16-Jährige als jüngster Teilnehmer einen Komponistenwettbewerb des Österreichischen Rundfunks, er spielte mit einer Band bei diversen Tanzveranstaltungen und schrieb immer wieder neue Lieder. Mit einem davon, „Jenny“, schaffte er 1959 einen Achtungserfolg.
Karl Spiehs, der in den 1950er Jahren sogenannte Bunte Abende organisierte und bald darauf als erfolgreicher Filmproduzent bekannt wurde, entdeckte Udo Jürgens, wie er sich nun nannte, und verschaffte dem jungen Sänger immer wieder Auftritte. Schlimm wurde es, wenn der Sänger seinen Auftritt im Vorprogramm der damaligen deutschsprachigen Top-Stars wie Peter Kraus oder Ted Herold hatte. „Wenn einer von den beiden da war, war das Publikum außer Rand und Band. Dann schlugen mir Rufe entgegen wie ,Aufhören, aufhören', ,Hau ab, du Pfeife' oder ,Weg mit dem Hungerturm'. Manchmal bin ich für meine achtzig Mark Abendgage fast gestorben. Ich konnte es nur mit Alkohol ertragen. Oft war mir übel und ich habe heimlich geheult.“
Klamauk im Fummel
Doch Karl Spiehs glaubte an den jungen, dürren Sänger und verpflichtete ihn immer wieder: „Er sicherte mir so mein Überleben“, schrieb Jürgens in seinem 1994 erschienen Erinnerungen „…unterm Smoking Gänsehaut“ (Verlag C. Bertelsmann).
Immerhin wurden Filmproduzenten auf ihn aufmerksam und Udo Jürgens wurde für Nebenrollen in Lustspielen wie „Das machen nur die Beine von Dolores“ (1957), „Lilli, ein Mädchen aus der Vorstadt“ (1958) und „…und du mein Schatz bleibst hier“ (1961) engagiert. In der Klamotte „Unsere tollen Tanten“ durfte er neben den damaligen Stars wie Gunther Philipp, Gus Backus, Bill Ramsey, Trude Herr oder Vivi Bach schon eine größere Rolle spielen, und im 1963 gedrehten Nachfolgefilm „Unsere tollen Nichten“ trat er sogar im Frauenfummel auf.
Drei Mal hintereinander versuchte Jürgens sein Glück beim Eurovisions Songcontest, doch erst 1966 schaffte er mit dem anspruchsvollen Chanson „Mercie Chérie“ den ersten Platz. Und war ab diesem Zeitpunkt nicht mehr aufzuhalten. Egal ob mit seinen Platten, seinen Konzerten oder seinen TV-Auftritten – Udo Jürgens' Erfolg war ungebrochen.
Der Wodka stand immer bereit
Ein Erfolg, mit dem er privat schwer zurecht kam. Zwei gescheiterte Ehen und viele ebensolche Beziehungen waren die Folgen. Und der Alkohol: „Zwischen meinem 20. und 43. Lebensjahr war ich keinen Tag nüchtern.“ Nach den Auftritten konnte er nicht ins Hotel gehen, erzählte er. Und ist „am nächsten Tag mit einer dicken Birne wieder aufgewacht.“ Partys waren jeden Tag angesagt, der Wodka stand immer bereit. In seinem Lied „Der Teufel hat den Schnaps gemacht“ besang er diese Zeit sehr eindrucksvoll: „Wer ist der Typ im Spiegel, warum ist ihm nur so übel?“ Auch in „Zieh den Kopf aus der Schlinge, Bruder John“ kommt die Sprache auf den Alkohol: „Aber ich Sekunden später auf der Flucht. Und ich hab' mein Heil im Alkohol gesucht. Lieber blau wie tausend Veilchen, das vergeht nach einem Weilchen, doch wie lange schmerzt ein Schlag aus Eifersucht.“ Ebenfalls in „Es lebe das Laster“: „Alkohol war tabu, weil das die Leber zerstört. Er ist von innen vertrocknet und von außen verdörrt.“
„Da war Todesangst“
Nun, vertrocknet ist Udo Jürgens in dieser zeit wahrlich nicht. Weder von außen noch von innen. Doch im Alter von 34 Jahren war Schluss mit lustig, der erfolgreiche Sänger und Komponist hatte einen Zusammenbruch, der ihm schwer zu schaffen machte. Auszug aus dem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“: „Ich saß (nach einem Auftritt in Neapel, Anm.) in einem Taxi und wir sind durch einen langen Tunnel gefahren, unter den Hafenanlagen hindurch. Ein ewiger Tunnel. Wir kamen in einen Stau. Tausende Autos standen da und hupten. Mir wurde plötzlich schwindelig. Ich wurde beinahe ohnmächtig. Mein erster Gedanke: Herzinfarkt. Ich sterbe. Da war Todesangst. Irgendjemand rief einen Arzt, man trug mich nach draußen. Der Arzt untersuchte mich: ,Ihnen fehlt gar nichts. Außer Kalium. Durch das viele Saufen, das Rauchen, den Stress, den Schlafmangel war mein Kaliumspiegel total abgestürzt.“
Herzrasen und kalter Schweiß
Der Entertainer musste eine Woche lang in Neapel bleiben, weil er sich in kein Flugzeug traute. „Ich hatte plötzlich schreckliche Klaustrophobie, konnte in kein Kino mehr, im Aufzug bekam ich Herzrasen, kalten Schweiß“, erinnerte er sich an diese Zeit. Die Angstzustände blieben über Jahre, die Albträume auch. Udo Jürgens erzählte oft, dass er über Jahrzehnte hinweg schlecht geträumt hatte. Schuld daran waren wohl, wie er meinte, seine Erlebnisse in seiner Kindheit, als er sah, wie ein Mann von Nazis erschossen oder Menschen geschlagen wurden.
Alkohol rührte er nach seinem Zusammenbruch zwei Jahre lang keinen mehr an. Wie sein Leben ohne Wodka und Co. war? „Furchtbar langweilig. Aber es ging ja nicht anders. Ich hatte ja schon wegen Kleinigkeiten Panikattacken.“
Udo Jürgens war zwar an der Schwelle zum chronischen Alkoholiker, aber überschritten hatte er sie noch nicht. Deshalb schaffte er es, dass er nach seiner zweijährigen Abstinenz wieder hin und wieder ein Glas Wein oder Bier trinken konnte, ohne rückfällig zu werden.
Er war eben ein Ausnahmetalent, auch in dieser Hinsicht.
Foto: Ariola (1)