Alkohol zerstörte den begnadeten Saxofonisten
Charlie „Bird“ Parkers Leben dauerte nur 34 Jahre
von Werner Schneider
In der Pathologie schätzte man das Alter der frisch eingetroffenen Leiche auf „50 – 60 Jahre“. Tatsächlich war der Patient mit 34 Jahren gestorben: Todesursache Herzversagen und fortgeschrittene Leberzirrhose. Am 12. März 1955 starb im Nobelappartement der reichen Baronesse Pannonica de Koenigswarter im luxuriösen Stanhope Hotel in New York der wohl bedeutendste Jazz-Saxofonist des 20. Jahrhunderts Charly „Bird“ Parker. Er hatte mit dem Trompeter Dizzy Gillespie den Bebop kreiert.
Der Körper des Genies war von Alkohol, Drogen und Aufputschmittel zerfressen.
Dabei hatte die Mutter, Addie, des 1920 in Kansas City geborenen Musikers die feste Absicht, ihrem Filius nach der Trennung von seinem Vater, jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Als er 13 Jahre alt war, schenkte sie ihm ein Altsaxofon. Es war verrostet und die Klappen funktionierten nur mit Gummibändern. Aber der junge Mann übte wie besessen. Er wollte ins üppige Musik-Nachtleben der Stadt einsteigen. Kansas City bot neben der Musik unter den Augen der Mafia Klubs, in denen der Alkohol auch während der Prohibition in Strömen floss. Ebenso leicht kam man an Drogen heran. In diesen Klubs, die 24 Stunden geöffnet hatten, spielten schwarze Musiker. Bei seiner ersten Jam-Session war Charlie 15 Jahre alt und hatte Probleme, die Einsätze zu finden, bis ihm der Schlagzeuger ein Becken vor die Füße warf. Gedemütigt schlich der junge Mann von der Bühne.
Doch „Bird“, wie er später genannt wurde, spornte der Misserfolg an. Er erzählte in einem Interview: „Ich übte elf bis 15 Stunden pro Tag. Über einen Zeitraum von drei bis vier Jahren. Unsere Nachbarn drohten meiner Mutter, dass wir umziehen müssten.“ Doch die Mühen lohnten sich. Mit 16 Jahren war Charlie Parker bereits ein oft gebuchter Musiker, auch in den umliegenden Städten. Bei einer Tourneefahrt 1936 kam der Bus mit den Musikern auf der schneebedeckten Fahrbahn ins Schleudern und Charlie erlitt Serienrippenbrüche und eine Wirbelsäulenfraktur. Als Schmerzmittel nahm er Heroin…
Schon in der Jugend mehr high als nüchtern
Seine Drogenlaufbahn hatte schon früher begonnen. An Alkohol kam man in den Klubs, wie bereits erwähnt, leicht heran. Dazu kam, dass Marihuana bis 1937 legal war. Bird war bereits in frühester Jugend mehr high als nüchtern. Er schlief auf der Bühne ein, sein Äußeres wurde immer mehr vernachlässigt – das kostete ihn Engagements.
Aber der geniale Saxofonist fand einen Mentor, Jay McShann, der Charlie drei Jahre in seiner Band behielt und mit ihm durch die Staaten tourte. Auf einer der Fahrten wurde ein Huhn überfahren. Parker soll darauf bestanden haben, dass man den „yardbird“ mitnehmen und später kochen solle. So wurde aus yardbird „Bird“ – weiß die Fama.
Sein Körper war zerrüttet
Man schilderte sein Spiel als „vogelfrei“. Und nirgends kam das so gut an wie in New York. Charlie verlor seinen Job bei McShann, weil er sein Alkohol- und Drogenproblem nicht in den Griff bekam. Er tat sich mit dem Trompeter Dizzy Gillespie zusammen und man kreierte den Sound, den Musikkritiker Bebop tauften. Charlie Parker sprach lieber von „Modern Jazz“. Es war eine Musik, die nicht mehr nur als Begleitung fürs Tanzen gedacht war. Schnelle Rhythmen, ein fast schon hektischer Sound und viele Improvisationseinlagen waren charakteristisch für den neuen Sound. Manche sagten: „Es gab den Jazz vor Charlie Parker und den Jazz danach.“ New York war den beiden Musikern bald zu klein, sie zog es an die Westküste nach Los Angeles. Auch dort schlug der neue Stil ein wie eine Bombe. Aber Parkers Körper war schon so zerrüttet, dass er einen Nervenzusammenbruch erlitt. Er nahm erneut Heroin. Der Abstieg war vorprogrammiert. Termine platzten, die Beschaffung von Drogen und Alkohol hatte Vorrang; und das kostete Geld, das Parker nicht hatte.
Er versetzte sein Rückflugticket und besorgte sich Rauschgift.
In diesem Zustand nahm ihn die Plattenfirma „Dial“ unter Vertrag. The Bird erschien zum Aufnahmetermin im Vollrausch und konnte vor lauter Zittern kaum die Tasten auf seinem Saxofon finden. Manche Einsätze verpasste er völlig. Die Nummern erschienen trotzdem unter dem Titel „Lover Man“.
Entgiftung in Nervenklinik
Zu dieser Zeit zeigte Parker bereits deutliche Anzeichen einer Zerrüttung. Er erschien nackt an der Hotelrezeption, er schloss sich in sein Zimmer ein und bald quoll Rauch aus dem Türspalt. Man rief die Polizei und der betrunkene Musiker wurde wegen „anstößigen Verhaltens, Widerstand gegen die Staatsgewalt und Brandstiftung“ angeklagt. Ein guter Anwalt rettete ihn vor dem Gefängnis indem er eine Entgiftung in der Nervenklinik „Camarillo“ anbot.
Sechs Monate dauerte der Entzug. In dieser Zeit wurde der Patient wieder kreativ und es entstand „Relaxin‘ at Camarillo“. Charlie glaubte fest an einen Neuanfang ohne Alkohol und Drogen. Dieser Vorsatz hielt nur, bis er wieder in New York war. Ab da, bis zu seinem Tod, war sein Leben geprägt von einer unaufhörlichen Abfolge von Räuschen. Volle sechs Jahre lang. Chaotisch wie sein Leben war auch sein Liebesleben. Bird lebte mit zwei Frauen zusammen. Er heiratete Doris Sydnor und zeugte Kinder mit Chan Richardson.
Bester Saxofonist des Landes
Seiner Karriere taten die Eskapaden keinen Abbruch. Am Broadway wurde ein Jazz-Club nach ihm benannt, das legendäre Birdland. Diese Ehre war zuvor noch keinem schwarzen Musiker zuteil geworden. Obwohl Louis Armstrong monierte, nach Charlies Musik könne man weder tanzen, noch sich die Melodie merken. Das „Metronome Magazine“ kürte ihn fünfmal in Folge zum besten Saxofonisten des Landes. Es folgten Tourneen in Europa, bei denen Charlie Parker es dank seiner Prominenz es immer wieder schaffte, an Drogen heranzukommen.
Wieder zurück in New York musste sich Bird 1951 wegen Drogenbesitzes vor Gericht verantworten. Er kam zwar gegen Zahlung einer Kaution frei, verlor aber seine Berechtigung, um in Klubs auftreten zu können, die sogenannte „cabaret card“.
Einlieferung in Psychiatrie
So musste er auf USA-Tournee gehen, um Geld für seinen Alkohol- und Drogenkonsum zu verdienen. Zugleich musste er für seine herzkranke Tochter Pree aufkommen, die teure Medikamente benötigte. Vor einem Konzert in Los Angeles erreichte ihn die Nachricht vom Tod seiner Tochter. Bird telegrafierte an seine Lebensgefährtin Chan nur ein Wort: „Help“. Nach der Beerdigung des Mädchens steigerten sich die Alkoholexzesse. Charlie Parker litt an Depressionen und trank einmal in einem Anfall von Entzugserscheinungen eine halbe Flasche Jod aus. Er wurde umgehend in die Psychiatrie eingeliefert.
Am 9. März 1955 kam er wieder heraus und sollte ein Konzert in Chicago geben. Vorher stattete er seiner Förderin der Baronesse Pannonica de Koenigswarter einen Besuch ab. Am 12. März begann er, vor dem Fernseher sitzend, plötzlich Blut zu spucken. Die Baronesse rief sofort ihren Leibarzt Dr. Robert Freymann an. Doch The Bird weigerte sich, in ein Spital zu gehen. Er wolle das im Hotel auskurieren, sagte er. Er fing an zu würgen und brach zusammen. Sein Herz hatte aufgehört zu schlagen.
Foto: William P. Gottlieb Collection (1)