Der Grazer Dichter und der Alkohol
Wolfgang Bauer, die Haring und der Pfefferonischnaps
von Werner Schneider
Es war einmal – so beginnen Märchen. Egal ob sie glücklich enden oder traurig. Dieses endet traurig, weil es den Ort des Geschehens nicht mehr gibt, den Hauptprotagonisten und einige seiner Weggefährten ebenfalls nicht mehr. Es handelt von einem Grazer Traditionslokal, „der Haring“, von dem bedeutenden trinkfesten Dichter Wolfgang Bauer, der nur beim Schreiben auf den Alkohol verzichtete, und vom Pfefferonischnaps.
Warum die Haring „die“ Haring hieß, erschloss sich dem Autor dieser Zeilen bei seinen ersten Besuchen dort nicht, denn bedient hat ein höflicher Herr Namens Werner. Geöffnet hatte die Branntweinstube mit dem markanten Kachelofen schon am Vormittag und das Publikum war bunt gemischt: Studenten, übrig gebliebene Nachtschwärmer, die ziellos durch sonnige Vormittage torkelten und normale „Trankler“ (Trinker), die versuchten den morgendlichen Tremor zu entfliehen.
Gegen Abend wandelte sich das Publikum, dann kamen Dichter, Autoren, Journalisten und verschiedene bildende Künstler. Eine Schank (ein Tresen) trennte das Lokal, sodass ein „Hinterzimmer“ entstand, in dem nachts die Intellektuellen das laute Wort führten. Dort traf man Wolfgang „Wolfi“ Bauer, H. C. Artmann, wenn er in Graz war, und Alfred Kolleritsch. Um nur einige zu nennen. Der Maler Erich Ringel wurde dort ebenso angetroffen.
Man darf sich das jetzt nicht als kreativ saufende Runde vorstellen, wie das manchmal später „verklärt“ wurde. Dort entwickelten die Dichter Ideen und Konzepte, dort wurde philosophiert und das wäre nicht mit voll zugedröhntem Hirn gegangen.
Aber wer war nun dieser Wolfgang Bauer, der mit viel Alkohol lange Nächte (nicht nur in der Haring) durchdiskutierte und vermutlich auch schrieb. Geboren wurde er am 18. März 1941 in Graz. Begonnen hat er als normaler Gymnasiast, der seine Matura (Abitur) ablegte und dann in Wien und Graz Theaterwissenschaften und Romanistik studierte, doch er brach die Studien ab. Er war vom Schreiben infiziert. Literaturkritiker erkennen im Frühwerk des jungen Dramatikers Einflüsse von Eugène Ionescos aber auch existenzialistische Inspirationen von Jean Paul Sartres und Albert Camus.
Drama über Sex, Drogen, Alkohol und Gewalt
Mit 27 Jahren veröffentlichte Wolfgang Bauer sein erstes, reifes Frühwerk „Magic Afternoon“. Dieses Drama voll Sex, Drogen, Alkohol und Gewalt wurde von 40 Bühnen abgelehnt, erst am 12. September 1968 wurde es unter der Regie von Horst Zankl am Landestheater Hannover uraufgeführt. Der Verlag Kiepenheuer & Witsch hatte es 1969 in sein Theaterprogramm aufgenommen, wo es dann mit „Change“ und „Party for Six“ erschien. Das war der Türöffner für Wolfgang Bauer, dessen Werke sich dann auch auf österreichische Bühnen verirrte und von der Boulevard-Presse als „Schweinereien“ angefeindet wurden.
Der Pfefferonischnaps in der Haring war sicher nicht das Stammgetränk von Wolfi Bauer und Genossen, vielmehr wurde er Neuankömmlingen mit dem Zuruf „Ex“ angeboten. Wer nicht an einem Hustenanfall erstickte, hatte zumindest mit dem waagrecht aus den Augen spritzenden Wasser zu kämpfen. Herrn Werner Spezialität war der Grog. An der Wand hingen entsprechend Rumfässer. Wenn man Wolfgang Bauer antraf, war er zumindest schon in „guter Stimmung“.
Erfolge in Europa und in Übersee
In guter Stimmung war Bauer auch, als seine Stücke ab den frühen 70er Jahren zudem in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden. Er feierte mehrere Bühnenerfolge in Österreich: Gustav Manker brachte am Volkstheater „Change“ heraus, Silvester oder das Massaker im Hotel Sacher mit Helmut Qualtinger brillierte ebenfalls am Volkstheater. In Deutschland blieb Bauer ohnehin präsent. „Film und Frau“ („Shakespeare the Sadist“) wurde 1971 am Deutschen Schauspielhaus Hamburg uraufgeführt und „Gespenster“ in den Münchner Kammerspielen. Man erwartete ab nun auf deutschsprachigen Bühnen „seinen“ Bauer. Aber der Dichter verweigerte sich dem Klischee. Ende der 70er Jahre hatte er mehr Erfolge im englischsprachigen Raum als im deutschsprachigen. So wurden einige Erstaufführungen nach Übersetzungen von Martin Esslin am Magic Theatre in San Francisco bzw. am New Yorker Ohio Theatre uraufgeführt. Es handelt sich jeweils um Meisterwerke des absurden Theaters, die man daheim nicht spielen wollte.
Nur beim Schreiben war er nüchtern
Bauer hat zu diesem Zeitraum schon viel, sehr viel getrunken. Nicht zu vergleichen etwa mit William Faulkner, der angeblich ohne Whiskey keinen geraden Satz zu Papier brachte – aber zehn Romane, davon vier Meisterwerke hinterließ. Viele der großen Schriftsteller hatten grandiose Anfangserfolge und dann Schaffenskrisen im Alter von etwa 40 bis 50 Jahren. Scott F. Fitzgerald sagt man so ein Schicksal nach. Seinen Welterfolg „Der große Gatsby“ soll er aber in trockenem Zustand geschrieben haben. Bauer selbst sagte in einem Interview mit der Zeitschrift „Du – die Zeitschrift der Kultur“, dass er beim Schreiben fast immer nüchtern war: „Ich könnte wahrscheinlich nichts schreiben, wenn ich immer wieder was trinke. Ich habe einmal einen Versuch gemacht, eine Geschichte zu schreiben unter Alkoholeinfluss. Das ist total misslungen… Es sind ja auch diese Notizen, die man sich macht, wenn man betrunken ist, diese ,genialen' Notizen zum Schmeißen.“
Nervös ohne Alkohol
Auf den Alkohol verzichtet hatte er aber nur, wenn er schrieb, sonst nicht. Oder fast nicht, denn einmal versuchte er, trocken durchs Leben zu gehen, was aber nur für eine kurze Zeit gelang. Bauer auf die Frage, ob er auf den Alkohol verzichten könne: „Ich bin zum Beispiel einmal lange, also lange – zwei, drei Monate – wie man unter Freunden sagt, auf Null gegangen. Aber man ist dann nervös, man sitzt irgendwo, alle trinken. Das Geplapper der Leute geht einem auf die Nerven, man sieht alles grausig klar… Wenn man aufhört zu trinken, hat es denselben Effekt, wie wenn man einen LSD-Trip nimmt. Alles ist Blödsinn plötzlich.“ Später meint er in dem Interview, dass durch den Alkohol die Kommunikation besser funktioniere. „Ich spreche jetzt von einem gewöhnlichen Alkoholiker. Ich würde mich ja nicht als klinischen Alkoholiker bezeichnen. Aber so ein Interview würde ich dir ja nüchtern nicht geben“, sagte Bauer zu Walter Famler, der die Fragen stellte. Im selben Gespräch erinnerte sich der Dichter auch an seinen ersten Rausch, der er auf einer Silvesterparty als 14-Jähriger hatte, er sagte aber auch, dass er weder in der Mittelschule noch während seines Studiums viel getrunken hatte. „Erst als ich als Literat in diese ganzen Kreise eingedrungen bin und selbst Geld gehabt habe, da habe ich mich dann öfter volllaufen lassen“, blickte er zurück.
In späteren Jahren geriet Wolfgang Bauer mehr mit seinen privaten Eskapaden in die Klatschspalten als mit seinen Werken in die Feuilletons. Er definierte seinen Lebensstil als „exzessiv aktionistisches Gesamtkunstwerk“.
Häme von den Kollegen
Und das kostete Geld. Der Dichter schrieb Kolumnen für das „Airport Journal“ (schließlich hatte er etwas von der Welt gesehen) und für die Frauenzeitschrift „Wienerin“. Was ihm zum Teil Häme jener einbrachte, die nie seine Qualitäten erreichten. Eines seiner letzten größeren Werke war der Katalog zur steirischen Landesausstellung „Sport – Sinn und Wahn 1991“. Von 1992 bis 2001 lehrte Bauer an der Schule für Dichtung in Wien, 1994 wurde er mit dem Großen Österreichischen Staatspreis ausgezeichnet. Am 26. August 2005 verstarb er an den Folgen eines Herzleidens in Graz.
Die Haring und Wolfgang Bauer überlebten einander nicht lange. Eine Ironie des Schicksals, dass das Literatenbeisel mit freiem Zugang für die gewöhnlichen Leut‘ sich mitten im Bermuda-Dreieck zu einem nichtssagenden Touristenlokal wandelte, das sich den großspurigen Namen „Il Centro“ verpasste.
Wolfgang Bauer, H. C. Artmann, der Pfefferonischnaps und der Punsch sind nicht mehr. Auch Kalmus und Schwedenbitter (hilft gegen das Zittern) werden nicht mehr ausgeschenkt. Geblieben ist Bauers umfangreiches dramatisches Werk, das aber schön langsam wieder den Weg auf die Bühne findet.
Foto: verein schule für dichtung in wien (1)