Der Schriftsteller Joseph Roth starb schreiend nach Alkohol
Das tragische Leben eines genialen Trinkers
von Harald Frohnwieser
„Gebe Gott uns allen, uns Trinkern, einen so leichten und so schönen Tod!“, schrieb er am Ende seiner Erzählung „Die Legende vom heiligen Trinker“. Sein eigener Tod am 27. Mai 1939 war freilich alles andere als schön: Joseph Roth, einer der bedeutendsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, starb in einem Armenspital in Paris an einer doppelseitigen Lungenentzündung. Noch in Angesicht seines Todes schrie der Journalist und Autor von Büchern wie „Radetzkymarsch“, „Flucht ohne Ende“ oder „Hiob“ ans Bett gefesselt noch nach Alkohol, der ihn lange Zeit beflügelte, ihn aber letztendlich in die Knie zwang. Joseph Roth wurde nur 45 Jahre alt.
Er kommt noch unter dem Doppeladler der Habsburger zur Welt. Moses Joseph Roth wird am 2. September 1894 in der Ukraine, die zu dieser Zeit noch Galizien heißt und zum Kaiserreich Österreich gehört, zur Welt. Noch vor seiner Geburt schlägt das Schicksal unbarmherzig zu – Joseph Roths Vater wird wahnsinnig, die Mutter muss den kleinen Buben alleine durchbringen und ist bis zu ihrem Tod von ihrem Vater und ihren Geschwistern abhängig.
Der junge Roth entwickelt sich als begabter Schüler, der sich sehr früh für Literatur interessierte. Noch als Kind bringt er seine ersten Erzählungen und Märchen zu Papier, doch er ist ein Einzelgänger, der sich von der kleinbürgerlichen Welt seiner Mutter so schnell es geht lösen will. Als junger Mann kommt Roth nach einem kurzen Aufenthalt in Lemberg in der Hauptstadt Wien an, wo er, der Ostjude, mit dem wieder erwachten Antisemitismus konfrontiert wird. Ein Grund mehr für ihn, ein Außenseiter zu bleiben. Roth studiert Literaturwissenschaften, gibt Nachhilfestunden und veröffentlicht seine ersten Werke. Seine Einsamkeit, seine Unsicherheit bekämpft er schon sehr früh mit Alkohol.
Nach Ausbruch des 1. Weltkrieges wird Joseph Roth zum begeisterten Monarchisten, für den der Kaiser eine Art Vaterersatz ist. Er bricht sein Studium ab und schreibt als Journalist für mehrere österreichische Zeitungen. 1916 meldet er sich freiwillig als Soldat und kommt in seiner Heimat Galizien zum Einsatz. Das Ende des Krieges erlebt er in russischer Gefangenschaft, von wo er 1918 nach seiner Entlassung wieder nach Wien zurückkehrte. Wieder schreibt er für verschiedene österreichischen Zeitungen Feuilletons, bis er 1920 nach Berlin übersiedelt, zwei Jahre später zurückkehrt und seine Frau Frederike Reichler heiratet. Roth bleibt ein Ruheloser, er geht nach Prag, um für das legendäre „Prager Tagblatt“ zu schreiben, übersiedelt nach Paris, um dort für eine deutsche Zeitung als Korrespondent zu arbeiten.
„Ich kann nicht mehr so leben…“
Schon in dieser Zeit hilft ihm, den stets Eifersüchtigen, der Alkohol über schwierige Zeiten hinweg. Doch als der Schriftsteller, der inzwischen mehrere Romane veröffentlicht hatte, fünf Jahre nach seiner Hochzeit erfährt, dass seine Frau an einer unheilbaren Nervenkrankheit leidet und an Schizophrenie erkrankt, trinkt er immer mehr. Er gibt sich die Schuld am Zustand seiner Frau und schreibt an seinen Freund und Schriftstellerkollegen Stefan Zweig (1881 - 1942): „Ich habe Sorgen, Sorgen, und es geht mir schlecht. Bitte, bitte, verschaffen Sie mir Freiheit. Ich kann nicht mehr so leben, ich werde umkommen.“
Roth lebt in Hotels und in Bars. Er ist ein Ruheloser, den der Alkohol, wenn auch nur für kurze Zeit, einen Hauch von Heimat gibt. Er geht mehrere Beziehungen ein, ist getrieben von seiner Eifersucht, mit der er das Leben seiner Freundinnen zur Qual macht. Obwohl sich seine Romane gut verkaufen, hat er nie Geld, weil er es oft leichtsinnig herschenkt. Und das meiste vertrinkt. Von seinen eigenen Werken hält er nicht viel, macht sie runter. Das Selbstwertgefühl ist im Keller, sein Gesundheitszustand dank der vielen Alkoholexzesse ebenfalls. Zweig schickt ihm Geld, damit der Freund leben – und trinken – kann. Zweig will auch, dass Roth, den er wie einen Bruder liebt, endlich mit dem Trinken aufhört, freilich vergebens.
„Die Hölle regiert!“
Roth trinkt weiter, und als Hitler 1933 in Deutschland die Macht ergreift, sehnt er sich nach der Monarchie zurück. An Zweig schreibt er: „Machen Sie sich keine Illusionen. Die Hölle regiert!“ Immer wieder unterhalten sich die beiden Freunde brieflich über den Nationalsozialismus. Roth fordert den in Salzburg lebenden Zweig auf, mit dem Deutschen Reich zu brechen so wie er es längst getan hat.
Roth bleibt in Paris. Zusehends macht sich Stefan Zweig, zu dessen bekanntesten Werk der Roman „Schachnovelle“ zählt, Sorgen um ihn, da er den Eindruck hat, dass sein Freund die Briefe an ihn im betrunkenen Zustand schreibt. „Um Gottes Willen Freund, sammeln Sie sich“, schreibt er besorgt, „ich habe zum ersten Mal wirkliche Angst um Sie. Machen Sie mit dem Saufen Schluss!“ Obwohl Roth dies nicht kann, schickt ihm Zweig weiterhin Geld. „Er hat zum Geld das Verhältnis eines Irrsinnigen und versteht es nicht, den Wirklichkeiten des Lebens sich anzupassen“, schreibt Zweig an eine befreundete Autorin.
Alkohol auch Thema in den Romanen
Roth trinkt weiter. Und weiß längst, dass er dem Alkohol verfallen ist. „Noch nie hat einem Alkoholiker der Genuss des Alkohols so wenig gefallen wie mir“, sagt er einmal. Der Stoff, aus dem sein Überleben ist, hält immer öfter Einzug in seine literarischen Werken. In seinem Roman „Radetzkymarsch“ verfällt Leutnant Trotta dem Alkohol, nachdem er wegen eines Duells in eine kleine Grenzstadt versetzt wird. „Der Schnaps hat ihn halt erwischt“, schreibt Roth über den Leutnant. In „Die Geschichte der 1002. Nacht“ kommt der Rittmeister Taittiner vor, der mehr und Wichtigeres weiß als ein ihm bekannter Professor. „Das kam davon, wenn man nichts trinkt“, dachte sich der Rittmeister, schreibt Roth. Und in „Die Legende vom heiligen Trinker“ geht es um einen Alkoholiker, der mehrere wundersame Dinge erfährt, letztendlich aber vom Suff gezeichnet stirbt.
1938, als Österreich ans Deutsche Reich angeschlossen wird, verfällt der glühende Monarchist Roth endgültig. „Im Café bestellte er sofort einen Stanislauer (Schnaps, Anm.), hernach einen doppelten Stanislauer. Diesen hochgradigen Brand trank er nicht in Schlückchen, sondern wie man ihn in seiner Heimat trinkt, in Galizien, in einem guten Zug. Sehr bald war der Trinker in seiner höchsten Laune. Sein schallendes Gelächter machte unsern Tisch zum Zentrum des nicht zu geräumigen Lokals“, schreibt der Autor Soma Morgenstern über Roths Trinkgelage.
Das Ende des Autors zeichnet sich ab, als Roth vom Tod des Schriftstellers Ernst Toller hört, mit dem er befreundet war und der sich 1939 im New Yorker Exil das Leben nimmt. In seinem Pariser Stammcafé Tournon bricht er zusammen und wird ins Armenspital Necker gebracht, wo er vier Tage ans Bett gefesselt und ohne medizinischer Betreuung bleibt und eine doppelte Lungenentzündung bekommt.
Noch im Anblick des Todes am 27. Mai 1939 schreit er nach Alkohol.