Alkoholismus im Alter:
Wenn Opa/Oma zu viel trinken
von Harald Frohnwieser
An die 160.000 Menschen leben in österreichischen Seniorenheimen. Ein geschätztes Drittel davon, so ein Experte, ist alkoholabhängig. Doch während der Alkoholkonsum der Jungen mittlerweile längst zu einem immer wieder kehrenden Thema geworden ist, wird das Saufen im Alter gerne totgeschwiegen. Von den Angehörigen, den Betreuern und der Politik.
Beängstigend hoher Alkoholkonsum von Jugendlichen gepaart mit dem Komasaufen ist in den Medien immer wieder ein Thema, dass aber viele alte Menschen mehr trinken, als ihnen gut tut, wird – zumindest in Österreich – gerne totgeschwiegen. In Deutschland ist die Situation anders. Durchforstet man das Internet nach diesem Thema, stoßt man auf viele Artikel regionaler und überregionaler Zeitungen und Magazinen. So berichtet zum Beispiel die Berliner Tageszeitung von einem Seniorenheim, in dem betreutes Trinken an der Tagesordnung ist. Im Klartext: Der Alkohol wird vom Pflegepersonal kontrolliert an jene Heimbewohner abgegeben, die ihn brauchen. Wobei Probleme mitunter vorprogrammiert sind. „Einige verstehen nicht, warum sie selbst nur ein kleines Schnapsglas bekommen und jemand anderer ein ganzes Bier. Da wird es schon mal laut.“
Der Alkohol als beliebte Ruhigsteller für ein zumeist überfordertes, da unterbesetztes Pflegepersonal. Wer sein gewohntes Quantum getrunken hat, schläft meist und durch.
Alkohol in gefährlichen Mengen
Auch die deutsche Drogenbeauftragte Mechthild Dyckmans (FDP) sieht im Alkoholkonsum älterer Menschen ein Problem. In der „Apotheken Rundschau“ hat sie zu diesem Thema Stellung genommen: „17 Prozent der Frauen und 28 Prozent der Männer über 60 Jahren trinken Alkohol in gefährlichen Mengen.“ Die Expertin fordert daher eine engere Zusammenarbeit von Suchthilfe, Altenheimen und anderen Senioreneinrichtungen.“ Denn auch in Deutschland wird der zunehmende Alkoholkonsum der Senioren zu einem Problem, so Dyckmans.
Freilich ist auch in den österreichischen Seniorenheimen Alkohol ein Thema, auch wenn die wenigsten darüber reden wollen. Doch der Internist Prim. Dr. Peter Peichl vom Evangelischen Krankenhaus in Wien-Währing nimmt sich kein Blatt vor den Mund. „Viele ältere Menschen sind alleine. Deren Betreuung oft sehr intensiv ist, aber uns fehlen einfach die Ressourcen. Daher erfolgt auf der einen Seite oft eine Ruhigstellung durch Medikamente, auf der anderen Seite bietet der Alkohol eine Möglichkeit, dem meist sinnentleerten Alltag zu entfliehen“, sagt Dr. Peichl, der jahrelang Leiter in einem Wiener Geriatriezentrum war, im „Alk-Info“-Interview. Dazu kommt, dass der Alkohol von den Senioren gerne als Schmerzkiller eingesetzt wird. Und wer schon in jüngeren Jahren gerne trank, wird das auch im Alter tun. „Wenn der Alkohol viele Jahre lang ein ständiger Begleiter war, warum sollte das im Alter anders sein?“, so Dr. Peichl.
Enormer Druck
Was sagt das Betreuungspersonal eines Seniorenheimes dazu, wenn sich der Opa, die Oma ebenso gerne wie oft ein Gläschen gönnt und sich so schon längst an den Stoff, der sie in ein besseres Leben versetzt, gewöhnt hat? Dr. Peichl: „Natürlich ist es so, dass die Betreuer froh sind, wenn ein Bewohner seine drei, vier Gläser Wein trinkt und dann eine Ruhe gibt und durchschläft. Das ist bei dem Druck, unter dem sie arbeiten müssen, nur menschlich.“
Aber menschlich sind die Arbeitsbedingungen in den Seniorenheimen wahrlich nicht, es fehlt ganz einfach am Personal. Denn die tägliche Arbeit muss verrichtet werden, und wenn es hinten und vorne an Mitarbeitern fehlt, ist der Druck enorm. Deshalb, so Dr. Peichl, gehen die Betreuer oft an ihre Grenzen und nicht selten wird der Alkohol dann auch für sie zu einem Problem.
Auch der ärztliche Leiter des Anton-Proksch-Institutes in Wien, Prim. Dr. Michael Musalek, appellierte in einem Interview mit der Zeitschrift „Medizin Populär“, dass man die Arbeit der Betreuer viel stärker als bisher beachten muss. Doch mehr Personal ist teuer. Und das ist ein Problem, mit dem viele Seniorenheime zu kämpfen haben. „Wir können gutes Personal nicht halten, weil wir zu wenig zahlen. Man kann das aber den Einrichtungen nicht vorwerfen, es gibt einfach viel zu wenig Geld dafür“, so Dr. Peter Peichl, der aber niemandem den Genuss eines gepflegten Glas Weines verbieten will. Aber: „Wenn der Alkohol zum einzigen Freund wird, der einem geblieben wird, dann wird es problematisch.“
Auswirkungen
Wie aber wirkt sich Alkoholmissbrauch auf einen älter gewordenen Körper aus? Zunächst einmal belastet der Alkohol den Organismus, er mindert die geistige und körperliche Leistungsfähigkeit. Dazu kommt, dass ein alternder Organismus den Alkohol langsamer abbaut als früher. Der Körper behält somit das Gift – und Alkohol in großen Mengen ist eines – länger in seinen Zellen, was zu Schäden der Leber, des Herzens, der Nerven, der Nieren, des Magens und des Darms führen kann. Und: Mit zunehmendem Alter sinkt der Wasseranteil im Körper, was zu einem höheren Alkoholpegel führt.
Weiters ist im Alter sehr oft die Blut-Hirn-Schranke – die Schranke ist eine Art Barriere zwischen dem Zentralnervensystem und dem Blutkreislauf - gestört. Sie verhindert, das der Alkohol seine volle Wirkung entfalten kann. Ist diese Schranke aber durchlässig, so können schon kleine Mengen an Alkohol betrunken machen. Was wiederum zu einer schlechten Verfassung und hoher Sturzgefahr führt.
Alkohol und Medikamente
Ältere Menschen müssen mitunter Medikamente nehmen. Durch den Alkohol kann es aber zu Wechselwirkungen kommen, die schwäre gesundheitliche Schäden anrichten können. Was bedeutet, dass ein Medikament entweder seine Wirkung verloren hat oder der Effekt sehr verstärkt wird.
Alkohol hat zwar eine euphorische Wirkung, aber regelmäßiger Alkohol führt unweigerlich zu Depressionen. Und da Senioren nicht selten unter diesen leiden, werden sie durch den Alkohol noch verstärkt. Was wiederum zur verstärkten Einnahme von Antidepressiva führen kann, deren Wirkung durch den Alkohol aber – siehe oben – entweder verstärkt oder aufgehoben werden kann.
Alkohol im Alter kann zudem lebensgefährlich sein, da die Lebenserwartung von alkoholabhängigen Männern um 17 Jahre, bei trinkenden Frauen sogar um 20 Jahre reduziert wird.
Ist eine Therapie bei älteren, alkoholabhängigen Menschen überhaupt zielführend? Dazu Dr. Peter Peichl: „Eine Therapie ist unumgänglich. Aber es müssen auch die Betreuer und die Angehörigen miteinbezogen werden. Aber da sind wir wieder beim Punkt – es gibt zu wenig Personal.“ Und weiter: „Ist jemand dement, so muss er natürlich ganz vom Alkohol weggebracht werden, ist jemand noch sehr klar im Kopf und aktiv, dann reicht oft eine sinnvolle Beschäftigungstherapie, damit er sein Leben wieder in eine suchtfreie Bahn lenken kann.“
Wenig Hoffnung auf Änderung
Wie aber sieht es mit dem Alkoholmissbrauch von älteren Menschen aus, die nicht in einem Heim wohnen? „Am Land“, so Dr. Peichl, „ist die Situation etwas besser. Da werden nicht so viele alte Menschen in den Heimen abgeschoben und sind noch im Familienverband integriert. In den Städten ist die Situation für alte Menschen nicht so ideal, das liegt auch an den Familienstrukturen, wie wir sie heute kennen. Aber eine alleinerziehende Mutter von zwei Kindern ist ganz einfach überfordert damit, auch noch ihre alten Eltern zu pflegen.“ Und wie reagiert die Politik auf den doch sehr weit verbreiteten Alkoholmissbrauch von älteren Menschen? „Absichtserklärungen von Politikern gibt es genug. Aber in Zeiten der Sparpolitik bleibt es leider dabei“, macht sich der Arzt wenig Hoffnung, dass sich diesbezüglich bald etwas ändern wird.
Fotos & Grafik: Thomas Frohnwieser (4)