Suchtfachambulanz Lindau
Die Tagesklinik am Bodensee
von Harald Frohnwieser
Die Suchtfachambulanz in Lindau bietet Rat und Hilfe für Alkoholiker, Drogenabhängige oder Spieler. Im „Alk-Info“-Gespräch erzählt der Leiter der Beratungsstelle, Klaus Bilgeri, dass man in Bayern als Alkoholiker schnell aus einem Spital entlassen wird, was sich in den vergangenen 20 Jahren verändert hat und was die Tagesklinik Lindau ihren Patienten bietet.
Lindau, die idyllische Insel im Bodensee, bietet neben der prachtvollen Altstadt mit ihren schmucken Gassen viel Ruhe, Erholung sowie den einen oder anderen Kulturgenuss. Die Menschen, die hier leben, sind freundlich und zuvorkommend, der Blick auf den See ist vor allem bei Sonnenuntergang atemberaubend. Fast könnte man glauben, man sei am Meer. Lindau ist wirklich eine Reise wert und als Tourist gibt man sich gerne der Illusion hin, dass hier die Welt noch in Ordnung sei. Aber: Auch in und rund um die Insel gibt es suchtkranke Menschen. Spieler, Computersüchtige, Junkies – und Alkoholiker. Für sie gibt es die Suchtfachambulanz in der Fischergasse 14. Betroffene, aber auch Angehörige, können hier von Montag bis Freitag Hilfe und Rat suchen. Pro Jahr gibt es etwa 280 Neuanmeldungen.
Der Leiter der Beratungsstelle, Klaus Bilgeri, ist seit 20 Jahren im Suchtbereich tätig. Dementsprechend groß ist seine Erfahrung. „Wir sind personell ganz gut aufgestellt“, sagt er und erzählt, dass es in Bayern und im benachbarten Baden-Württemberg viele Suchtkliniken gibt, in denen Alkoholiker aufgenommen werden. Aber: Der Aufenthalt dauert meist nur eine knappe Woche. „In Bayern wird man sehr schnell entlassen“, stellt er fest. Doch er sieht darin kein allzu großes Problem: „Die Patienten haben die Möglichkeit, sich in den Tageskliniken ihrer Umgebung zu stabilisieren.“
Umfassendes Freizeitprogramm
Zur Stabilisation gehören neben einem umfassenden Freizeitprogramm wie Mal-Therapie, Sport oder gemeinsame Ausflüge auch die therapeutischen Einzel- und Gruppengespräche. Die Gruppen sind zwar gemischt, das heißt, dass ein Suchtkranker mit fünf Depressiven zusammensitzt, aber: „Es wird schon differenziert darauf geschaut, wer mit wem zusammen passt“, so Bilgeri. Und man hat darüber hinaus die Möglichkeit, sich Gleichgesinnte zu suchen. „Da entstehen oft Freundschaften“, sagt Klaus Bilgeri, „es ist durchaus so, dass sich außerhalb der Therapiestunden ein Alkoholiker mit einem anderen austauscht.“ Das kann auch ein Ersatz für Selbsthilfegruppen sein, wenn jemand mit denen nichts anfangen kann. Die ambulante Therapie ist vom Kostenträger her zeitlich begrenzt, aber wenn jemand nach dieser Zeit ein Einzelgespräch sucht, wird er nicht abgewiesen. Das Freizeitangebot hingegen ist unbegrenzt. „Trotzdem schauen wir darauf, dass die Leute den Absprung von uns irgendwann einmal schaffen. Klaus Bilgeri: „Deshalb versuchen wir auch, sie an Selbsthilfegruppen oder anderen Organisationen zu vermitteln.“
Altersmäßig sind die Patienten bunt durcheinander gemischt – das Mindestalter beträgt 18 Jahre, nach oben hin gibt es keine Beschränkung. Die meisten Suchtpatienten, die hier Hilfe erhalten, sind zwischen 30 und 50 Jahre alt. „Bei den Alkoholikern ist der Altersdurchschnitt etwas höher als bei den Drogenabhängigen. Das kommt daher, weil man mit dem Alkohol über eine längere Zeit hinweg ganz gut zurecht kommt, während es bei den Drogen schneller bergab geht“, erzählt Bilgeri aus der Praxis. Was in den letzten Jahren stark zugenommen hat, sind Menschen, die spielsüchtig sind, egal ob sie online spielen oder ihr Geld in den Automaten verpulvern. Aber auch Menschen mit einer Essstörung nehmen immer öfter die Tagesklinik in Anspruch. Noch sind die männlichen Patienten dominanter, aber: „Die Frauen holen immer mehr auf“, weiß Klaus Bilgeri.
Angebot ist größer geworden
Was hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten verändert? Klaus Bilgeri braucht nicht lange nachzudenken. „Das Angebot ist größer geworden“, sagt er, „die Möglichkeiten in der Suchthilfe wurden ausgebaut.“ Gerade im Drogenbereich ist diese Veränderung sichtbar: „Niederschwellige Drogenarbeit war für viele ein rotes Tuch, Substitutionsbehandlung war für viele Beratungsstellen lange Zeit nicht denkbar. Das hat sich ziemlich verändert. Die Substitution hat mittlerweile den gleichwertigen Stellenwert wie die stationäre Behandlung bekommen. Und die Zahlen belegen, dass das für viele Menschen eine Chance ist, von den Drogen loszukommen.“
Aber auch beim Alkohol hat sich einiges verändert. Klaus Bilgeri: „Die Patienten werden jünger, das kann man tendenziell feststellen.“ Und weiter: „Wir haben auf diesem Gebiet ein größeres Bewusstsein bekommen und gehen mit dem Thema Alkohol verantwortungsvoller um.“ Die Führerscheinentzüge aufgrund einer Alkoholisierung sind in Deutschland in den letzten Jahren zurückgegangen weil die Auflagen, den Schein wieder zu bekommen, sehr groß sind. Man muss nachweisen, dass man abstinent ist und dass man Hilfe in Anspruch nimmt, und man muss nachweisen, dass man eine Einsicht hat.
Hilfe für Kinder aus suchtkrankem Elternhaus
Bei den Kindern und Jugendlichen ist das Bewusstsein freilich nicht so stark ausgeprägt Denn das berühmt-berüchtigte Komasaufen hat auch vor Bayern nicht Halt gemacht: „Der exzessive Umgang mancher Jugendlichen mit dem Alkohol macht uns große Probleme.“
Ist hier nicht auch das Elternhaus gefordert? „Keine Frage, das spielt natürlich eine große Rolle“, ist sich Klaus Bilgeri sicher. Denn: „Das Konsumverhalten bekommen viele Jugendliche aus dem Elternhaus mit. Dazu kommt, dass viele Eltern selbst unter einem großen Druck stehen, sie müssen oft beide arbeiten gehen und schauen, dass der Alltag irgendwie funktioniert, da fehlt dann natürlich die Zeit für die Kinder, für die Erziehung.“ Auch die Vorbildwirkung der Eltern ist naturgemäß sehr wichtig – 30 Prozent jener Kinder, die einen trinkenden Elternteil haben, werden später selbst vom Alkohol abhängig oder entwickeln vergleichbare psychische Störungen. „Deshalb bieten wir auch Konzepte an, die für diese Kinder passend sind“, erzählt der Leiter der Beratungsstelle, „da versuchen wir sehr stark, präventiv etwas zu verändern. Die Eltern sind oft in Therapie zur Behandlung, aber die Kinder wurden lange Zeit vernachlässigt. Deshalb sollen die Kinder Anlaufstellen finden, die Gruppengespräche bieten, damit sie mit dieser Problematik zurechtkommen. Man kann sich vorstellen, dass die Kinder viele Jahre lang aufgrund der Sucht ihrer Eltern gelitten haben.“
Nicht wenige Patienten, die alkoholkrank sind, kommen zunächst wegen einer anderen Erkrankung in die Tagesklinik. Oft geht es zunächst um Depressionen, bis sich herausstellt, dass es im eigentlichen Sinne um eine Sucht geht. „Es ist zur Zeit hipp zu sagen, dass man zum Psychotherapeuten geht, weil man zum Beispiel Burnout hat. Aber wegen einer Alkoholabhängigkeit schämen sich viele noch. Deshalb ist es sehr wichtig, dieses Thema anzusprechen. Denn solange jemand trinkt, wird es nicht funktionieren, ihn nur wegen eines Burnouts oder einer Depression zu behandeln“, stellt Bilgeri klar.
Abstinenz ist oberstes Ziel
Wie steht der Leiter der Beratungsstelle zu Medikamenten? „Uns ist eine absolute Abstinenz sehr wichtig, und um dieses Ziel zu erreichen, brauchen manche Patienten eine Unterstützung in Form von Tabletten. Man geht jetzt auch etwas großzügiger mit der Medikation für Alkoholkranke um. Vor 20 Jahren hätte kaum ein Arzt einem Alkoholiker ein zusätzliches Medikament gegen Depressionen verschrieben“, berichtet Klaus Bilgeri, der vom vielgepriesenen kontrolliertem Trinken nicht viel hält: „Die Berechnungen, wie viel darf ich heute noch trinken, wenn ich schon ein Bier oder ein Viertel Wein getrunken habe, sind einfach sehr anstrengend.“ Andrerseits: „Wenn es jemand dadurch schafft, von zehn Bier am Tag auf nur zwei zu kommen, dann ist das zweifelsohne ein Erfolg.“ Damit es aber gar nicht so weit kommen muss, gibt es regelmäßige Präventionsmaßnahmen in den Schulen und in den Jugendzentren. Damit Lindau, diese idyllische Insel im Bodensee vielleicht eines Tages – was den Alkohol betrifft – zu einer Insel der Seligen wird. Aber das ist freilich Zukunftsmusik.
Caritas Augsburg – Suchtfachambulanz Lindau
88131 Lindau, Fischergasse 14
Tel.: +49 (0)8382/9486 - 88
e-mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Web-Adressen: www.caritas-augsburg.de/adressen/caritasverband-fuer-die-dioezese-augsburg-e.-v/425867/
Fotos: Thomas Frohnwieser (2)