Die Psychosozialen Dienste (PSD) sind oft erste Anlaufstellen für Alkoholiker
„Hier sieht mich keiner schief an, nur weil ich trinke…“

von Harald Frohnwieser

1979 in Wien gegründet, bieten die Psychosozialen Dienste (PSD) in der Bundeshauptstadt derzeit acht Ambulatorien, die für Menschen da sind, denen es psychisch akut schlecht geht und die rasch und unbürokratisch Hilfe brauchen. Egal ob jemand an Schizophrenie erkrankt ist, an Depressionen leidet, quälende Angstzustände hat oder unter einer Persönlichkeitsstörung leidet. Oder süchtig ist. Aus diesem Grund suchen immer wieder Alkoholkranke beim PSD rasche Hilfe. Die sie hier auch bekommen. Und nicht nur in Wien – Ambulatorien des PSD gibt es auch in Niederösterreich und im Burgenland.

Chefarzt des PSD-Wien, Dr. Georg PsotaWilli lebt schon lange alleine. Zu lange. Der 45-Jährige hat weder Familie noch wirkliche Freunde. Die paar Kumpels, die er noch hat, sind so wie er alkoholkrank und gehen keiner geregelten Arbeit nach. Auch Willi hat schon seit mehr als einem Jahr keinen richtigen Job mehr, er hält sich mit schlecht bezahlten Gelegenheitsjobs über Wasser. Um Mindestsicherung will er nicht betteln, dazu ist er zu stolz. Deshalb ist Willi auch nicht versichert. Wenn er wirklich einmal ärztliche Hilfe braucht, dann geht er ins Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Wien-Leopoldstadt, wo Menschen auch ohne Krankenversicherung behandelt werden.
Und wenn er sich das Saufen wieder einmal abgewöhnen will und er daher unter extremen Angstzuständen leidet, wenn er so stark zittert, dass er sich kaum eine Zigarette anzünden kann, dann geht Willi in ein Ambulatorium der Psychosozialen Dienste in Wien. Denn auch hier kann sich Willi behandeln lassen, ohne dass er krankenversichert ist.
„Hier sieht mich keiner schief an, nur weil ich trinke und weil ich nichtPsychosoziale Dienste Wien versichert bin“, ist Willi dankbar für die Hilfe, die er beim PSD bekommt. Und: „Zum Notdienst kann ich auch noch um Mitternacht kommen, wenn es mir mal wieder dreckig geht und ich es vor lauter Angst in meiner kleinen Kammer nicht mehr aushalte.“ Nachdem Willi durchgecheckt und mit isotonischer Flüssigkeit aufgepeppelt wird, bekommt er ein paar Tabletten für die nächsten Tage mit.
An der Front
„Das ist nicht nur eine für den Patienten akute Erstversorgung“, erzählt der Wiener PSD-Chefarzt Dr. Georg Psota im „Alk-Info“-Gespräch, „sondern ist auch eine Methode, jemanden zu einem neuerlichen Kontakt mit uns zu bewegen. Außerdem haben wir so das Gefühl, dass damit kein Missbrauch betrieben wird.“ Der PSD-Chefarzt hat selbst in einem Ambulatorium begonnen. Wie sah und sieht die Arbeit aus, so direkt an der Front? „Zuerst versuchen wir, mit dem Patienten eine Beziehung herzustellen“, so Psota“, „und dann klären wir in einem therapeutischen Gespräch ab, was der Patient, die Patientin braucht.“ Da kommt es dann vor, dass ein Rezept ausgestellt wird oder für all jene, die nicht versichert sind, die Tabletten abgezählt für ein paar Tage mitgegeben werden (siehe oben). Bei der Verordnung von Benzodiazepinen (schwere Schlaf- und Beruhigungsmittel) sind die Ärzte vom PSD eher vorsichtig, zu leicht kann man davon süchtig werden. „Es ist schon schwierig,Dr. Georg Psota jemandem vom Alkohol zu therapieren, aber wenn dann auch noch solche Hämmer zusammen mit dem Alkohol eingeworfen werden, dann ist das ein harter Brocken, da wird er Entzug zu einer grauslichen Sache, die ärger ist als bei einem Versuch, vom Heroin wegzukommen“, weiß der Chefarzt aus der Praxis.
Vitamin-B-Mangel
Sehr oft wird auch eine Vitamin-B-Spritze verabreicht. Der Grund dafür ist, dass Alkoholiker einen enormen Mangel dieses Vitamins aufweisen. Die Folgen davon sind extreme Müdigkeit, Schwindel, und eine verwaschene Sprache, auch wenn gar nicht so viel Alkohol intus ist. „Deshalb ist es wichtig, sich während und auch nach dem Trinken den Vitamin-B-Haushalt abzuchecken lassen“, rät Georg Psota. Weiters werden die PatientInnen mit ausreichender Flüssigkeit versorgt, allen voran isotonische Getränke.
Die Ärzte des PSD versuchen natürlich auch, den Patienten, die Patientin zu einer Alkoholtherapie zu bewegen. „Wir rufen dann im Anton Proksch-Institut in Kalksburg an, wo sie, wenn sie sich dazu entschließen, so lange ambulant betreut werden, bis ein stationärer Platz für sie frei ist“, so der Chefarzt. Will jemand aber nur einen reinen ambulanten Entzug, so kann er/sie beim PSD bleiben und kommt im Schnitt einmal pro Woche vorbei. „Das kann aber bei Bedarf auch öfter sein“, weiß Georg Psota.
Selbsthilfe Gruppen
Wenn jemand zu betrunken ist, ist eine Behandlung schwer. „Wir sagen dann freundlich, aber bestimmt, dass er oder sie wiederkommen soll, wenn er/sie nüchtern ist. Denn einen Betrunkenen im ambulanten Bereich zu behandeln macht wenig Sinn“, erzählt der Chefarzt aus der Praxis. Ob das auch funktioniert? Georg Psota schmunzelt:„Erstaunlicherweise funktioniert das sehr oft.“ Nachsatz: „Manchmal aber leider auch nicht.“
Die Anonymen Alkoholiker als bewährte Selbsthilfegruppe sind für die Ärzte des PSD sehr wichtig. „Die empfehlen wir sehr stark. Das hat auch damit zu tun, weil wir ja nicht so breit aufgestellt sind und daher schauen müssen, dass unsere PatientInnen auch anderswo Hilfe bekommen. Und außerdem ist eine Vielseitigkeit auf dem Weg zum Trockenwerden sehr hilfreich. Denn was dem Einen hilft, muss nicht zwangsweise auch für einen Anderen richtig sein. Auch die Anonymen Alkoholiker sind nicht für Jeden das Wahre, aber vielen helfen sie enorm“, ist sich Psota bewusst.
Traurige Realität
Wird heute mehr getrunken als zu jener Zeit, als Georg Psota seine Karriere beim PSD begann? „Es wird in verschiedenen Kreisen mehr konsumiert als einst“, sagt er. Und: „Einen Trend, dass die Alkoholkranken immer jünger werden, bemerken wir etwas weniger. Aber nur deshalb, weil wir abseits dieses Mainstreams sind.“Dr. Georg Psota Kinder, die zur Flasche greifen, habe es immer schon gegeben, so der Mediziner, aber „damals hatten sie nicht das Geld dazu gehabt, um regelmäßig zu trinken“. Und Zahlen für eine Statistik, so Psota weiter, gab es ja auch nicht. Unerträglich findet er Sendungen wie „Saturday Night Fever“ von ATV, in denen gezeigt wird, wie sich Jugendliche regelmäßig besinnungslos besaufen: „Diese Sendungen sind ein Horror, aber leider entsprechen sie in vielen Fällen der Realität.“
Die traurige Realität hat auch Willi wieder eingeholt. Er sich einem längeren Rückzug wieder mit seinen Kumpels getroffen. Ein Wiedersehen, das mit viel Wein und Bier gefeiert wurde. Und er wird es viele Tage lang tun. Bis er nicht mehr weiter kann. Und bis er eines Tages wieder zu dem Schluss kommt, seinem Leben eine neue Richtung zu geben. Ganz ohne Alkohol. Willi weiß, dass er dann wieder zum PSD gehen kann. Ohne dass ihn jemand aufgrund seiner Alkoholkrankheit verachtet. Ein Lichtblick im Leben des oft einsamen Trinkers, der nicht ohne, aber auch nicht mehr mit dem Alkohol leben kann. Vielleicht, glaubt Willi, wird er sich bald zu einer Therapie entschließen. „Die vom PSD werden mir dabei helfen“, blickt ein orientierungsloser und doch vorsichtig optimistischer Willi in die Zukunft…

Infos: www.psychosozialerdienst.at / www.psz.co.at/angebote/psychosozialer-dienst-psd / www.psd-wien.at

Fotos: Thomas Frohnwieser (3)