Oft müssen zwei Süchte zugleich behandelt werden
15 bis 40 Prozent trinken und spielen bis zum Ruin
von Werner Schneider
Alkoholismus und Spielsucht – eine Doppelgleisigkeit, die von Suchtexperten immer öfter festgestellt wird. Dr. Monika Lierzer, Leiterin der Spielsuchtabteilung vom Landesnervenkrankenhaus Sigmund Freud in Graz, spricht im „Alk-Info“-Interview darüber, welche Rolle der Alkohol dabei spielt, über Therapieformen auf diesem Gebiet und welche Faktoren einen Rückfall auslösen können.
Irene, Anonyme Alkoholikerin, lebt seit Jahrzehnten in der Ehe mit einem gut situierten Mann. Sie weiß nicht genau, wann welche Sucht begonnen hat und welche zuerst da und welche stärker war. Sie weiß nur wie die Auswirkungen waren: „Ich habe im Kasino Unsummen verspielt und pausenlos harte Getränke gesoffen, ich habe meinen Mann bestohlen, habe mit seiner Bankomatkarte Geld abgehoben und immer alles abgestritten.“ So wie sie auch abgestritten hat, etwas getrunken zu haben, obwohl der Rausch bereits unübersehbar war, weil sie nicht mehr gehen konnte. Bei Kurt waren es die Automaten. Er hat sich systematisch ins Elend gespielt. „Ein Spieler fühlt sich am wohlsten wo es zu saufen gibt und wo man rauchen darf.“ In dieser Umgebung hat er Jahre verbracht. Sein Chef hat seine Spielsucht und Alkoholabhängigkeit lange nicht bemerkt. „Er hat mir Vorschuss gegeben und auch meine Krankenstände akzeptiert, weil ich tatsächlich einen kleinen Herzfehler habe.“
Das Ende war bei beiden der Zusammenbruch. Irene kam zum Alkoholentzug nach Kärnten und wurde schon nach kurzer Zeit wieder rückfällig. Erst der zweite Anlauf klappte. Gegen die Spielsucht musste sie nicht behandelt werden. Ohne Alkohol blieb sie dem Kasino fern. Kurt ging während eines Ausganges bei seinem ersten stationären Alkoholentzug sofort wieder zum Automaten, brach die Behandlung ab und soff und spielte bis er auf der Straße landete. Erst die Behandlung beider Süchte und regelmäßige Besuche der AA-Meetings brachten ihn aus den Automatenlokalen.
„Alk-Info“: Frau Dr. Lierzer, bei den Anonymen Alkoholikern gestehen relativ viele Meeting-TeilnehmerInnen, dass sie auch spielsüchtig sind. Ist die Zahl derer, die unter beiden Süchten leiden, sehr groß?
Dr. Monika Lierzer: Die Zahl liegt etwa bei 15 bis 40 Prozent, natürlich gibt es diese Verschränkungen, aber eindeutige Zahlen gibt es nicht.
15 bis 40 Prozent ist eine relativ große Zahl…
Ja, ja natürlich. Man nicht sagen, dass das keine Bedeutung hat, das hat schon eine Bedeutung. Im Stationären begegne ich immer wieder Spieler, die mir sagen, sie spielen in erster Linie unter Alkoholeinfluss oder wenn sie betrunken sind. Die findet man im stationären eher als im ambulanten Bereich. Das ist klar, denn wenn sie im stationären Bereich sind, dann sind sie grundsätzlich kränker.
Wie ist in solchen Fällen der Therapieansatz, kann man gleichzeitig zwei Suchtformen behandeln?
Ja, das ist kein Problem, weil das ja sehr verschränkt miteinander ist. Wenn jetzt eine definierte Alkoholabhängigkeit vorhanden ist, schaut man, welche Bedingungen führen dazu, was war der Hintergrund – das muss man sich alles genau anschauen und Verhinderungsmaßnahmen setzen, das gilt auch bei der Spielsucht. Auch hier fragt man, unter welchen Bedingungen, ist es nur der Alkohol oder kommen andere Faktoren dazu, die das Spielen auslösen. Letztendlich folgen dann die Rückfallspräventionsmaßnahmen.
Welche Rolle spielt der Alkohol in erster Linie: Dient er zur Enthemmung oder soll er das Elend, das durch die Spielsucht hervorgerufen wird, überdecken?
Sowohl als auch, das kann man gar nicht so eindeutig trennen. Manche sagen: ‚Wenn ich schon alles verloren habe, dann wünsche ich mir einen Rausch.‘ Bei anderen ist der Alkohol ein Startsignal, wenn sie zwei, drei, vier Bier getrunken haben, dann führt das zu der Enthemmung, wie Sie gesagt haben, wo ihnen alles egal wird und sie riskieren wieder etwas.
Ich habe mit Oberarzt Dr. Manfred Maier gesprochen und der hat erwähnt, die größte Rückfallquote bei Spielern sei dann gegeben, wenn sie ihre allerletzten Schulden abbezahlen.
Das ist ein häufiger Rückfallsgrund, das ist schon richtig – aber nicht nur. Es gibt wie bei allen Suchterkrankungen eine Fülle von Rückfalls- oder Risikosituationen. Eine Rückfallsituation kann aber auch sein, dass man sagt: ‚Ich riskier‘ eh nur einen Zehner‘. Man probiert es auf moderate Weise, man will nur schauen, was läuft denn.
Kann es auch sein, dass ein neuerlicher Alkoholrückfall die Spielsucht wieder auslöst?
Wenn es sehr eng aneinander gekoppelt ist, kann es auch dazu führen. Was ich auch schon erlebt habe ist, dass sich das eine aufs andere verschiebt. Dass zuerst die Alkoholabhängigkeit da war und dann die Spielsucht und auch umgekehrt. Man sagt dann Symptomverschiebung.
Foto: Werner Schneider (1)