Ist Alkoholismus ein Kündigungsgrund?
„Alkohol in Betrieben ist leider oft ein Thema“

von Harald Frohnwieser

Das Bier in der Kantine fließt schon in der Mittagspause in Strömen, das eine oder andere Glas Wein darf natürlich zum Essen auch nicht fehlen, und wenn die Mahlzeit etwas zu deftig ausgefallen ist, gönnt man sich danach noch einen Magenbitter. Man will ja ohne lästiges Zwicken im Bauch wieder zurück an die Werkbank oder den Schreibtisch. Wo freilich eine Flasche Wein fein säuberlich in einem Fach darauf wartet, geleert zu werden. Spätestens jetzt stellt sich die Frage, ob das alles sein darf. Und wie schaut es mit einer Kündigung oder gar fristlosen Entlassung aus, wenn der Arbeitnehmer, die Arbeitnehmerin so betrunken ist, dass es nicht nur den Kollegen, sondern auch dem Chef auffällt? Um es gleich vorweg zu sagen, einfach ist die Sache nicht, denn eine klare Regelung, was den Alkohol am Arbeitsplatz betrifft, gibt es weder in Österreich, noch in Deutschland oder in der Schweiz.

Arbeitsrecht und Alkohol„Alkohol in Betrieben ist leider immer wieder ein Thema“, weiß Magistra Martina Chlestil von der Arbeiterkammer Wien. Sie ist für diesen Themenbereich in der Abteilung Sozialpolitik zuständig und wird mit Alkoholismus am Arbeitsplatz oft konfrontiert. Weil es immer wieder vorkommt, dass Arbeitgeber ihre Mitarbeiter kündigen oder gar fristlos entlassen, wenn sie betrunken an ihrem Arbeitsplatz erschienen sind. Deshalb bietet die Arbeiterkammer österreichweit immer wieder Aufklärungsarbeit zu diesem Thema an.
Alkoholkontrollen am Arbeitsplatz?
Eine Frage, die von Arbeitnehmern dabei immer wieder gestellt wird ist, ob eine Alkohol-Kontrolle seitens des Arbeitgebers rechtens ist. „Besonders Bus- und Lkw-Fahrer wollen wissen, ob sie bei Betriebsbeginn überprüft werden dürfen“, so Martina Chlestil. „Prinzipiell sind solche Tests nur mit Einwilligung des Arbeitnehmers möglich, weil generell Testverfahren wie Atem-, Speichel- oder Harntests in das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers eingreifen.“ Und weiter: „Werden solche Kontrollen systematisch durchgeführt, dann berühren sie jedenfalls die Menschenwürde und bedürfen der Zustimmung des Betriebsrates. Ist ein solcher nicht vorhanden, ist die Zustimmung des Arbeitnehmers erforderlich. Die Kontrollen sind aber legitim, wenn z.B. bei der Einstellung mit dem Arbeitnehmer eine diesbezügliche Vereinbarung getroffen wurde oder dies eben in einer Betriebsvereinbarung festgelegt ist“, klärt Chlestil auf. Außerdem: „Verweigert der Arbeitnehmer trotz einer solchen Vereinbarung die Kontrolle, so kann ihn der Vorgesetzte nach Hause schicken - er hat dann einen Tag unbezahlten Urlaub oder im Einzelfall sogar eine Entlassung aussprechen.“
Alkoholverbote im Betrieb?
Dazu Martina Chlestil: „Den gesetzlichen Vorschriften ist kein absolutes generelles Alkoholverbot zu entnehmen: Nach § 15 Abs 4 des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes dürfen sich AN nicht durch Alkohol, Arzneimittel oder Suchtgift in einen Zustand versetzen, indem sie sich oder andere Personen gefährden können.“ Bei einem Verstoß gegen dieses Verbot kann eine Geldstrafe verhängt werden. Während das Gesetz nun kein absolutes generelles Alkoholverbot enthält, kann der Konsum von Alkohol während der Arbeitszeit durch Weisung des Arbeitgebers oder per Betriebsvereinbarung geregelt werden. Bei beharrlichem Verstoß gegen gerechtfertigte Alkoholverbote kann als arbeitsrechtliche Konsequenz sogar eine Entlassung ausgesprochen werden.
Kündigung oder Entlassung?
Kann nun ein Arbeitnehmer im Zusammenhang mit Alkohol am Arbeitsplatz gekündigt oder entlassen werden? Dazu Martina Chlestil: „Besteht kein besonderer Kündigungsschutz, dann kann ein Arbeitgeber einen Arbeitnehmer jederzeit, unter Einhaltung der gesetzlich oder allenfalls kollektivvertraglich vorgeschriebenenDie Flasche in der Schreibtischschublade Fristen und Termine, kündigen. Dies – entgegen der landläufigen Meinung – auch im Krankenstand und ohne Angabe von Gründen.“
In der Schweiz gehen diesbezüglich die Uhren etwas anders, da darf im Krankenstand nicht gekündigt werden. Dazu der Neuenburger Rechtsprofessor Jean-Philippe Dunand: „Obwohl die Alkoholabhängigkeit als Krankheit anerkannt ist, kann sich ein betroffener Arbeitnehmer nicht einfach auf den Kündigungsschutz berufen, der bei Krankheiten gilt. Es braucht dazu eine vom Arzt attestierte Arbeitsunfähigkeit. Ist der Arbeitnehmer wieder arbeitsfähig, fällt der Kündigungsschutz weg, auch wenn der Betroffene von seiner Alkoholsucht noch nicht geheilt ist.“
Und in Deutschland gilt: Eine verhaltensbedingte Kündigung kommt nur selten in Frage. Etwa dann, wenn ein Nicht-Alkoholiker wiederholt gegen ein geltendes Alkoholverbot verstößt, betrunken zur Arbeit erscheint und deshalb seine Pflichten nicht erfüllen kann, andere gefährdet etc. Einem Alkoholiker kann auch bei solchen konkreten „alkoholbedingten Ausfällen“ nur personenbedingt gekündigt werden, da sie ihm als Folge seiner Krankheit nicht im Sinne eines schuldhaften Verstoßes vorgeworfen werden können. Die Suchterkrankung allein genügt als Kündigungsgrund nicht. Es muss zusätzlich zu einer „erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen“ kommen. Dies ist in aller Regel der Fall, wenn der Arbeitnehmer alkoholisiert zur Arbeit erscheint und deshalb seine Arbeit nicht erledigen kann oder infolge seiner Sucht häufig arbeitsunfähig krank ist.
Sozialwidrigkeit
Nach österreichischem Recht besteht für den Arbeitnehmer die Möglichkeit, die Kündigung wegen Sozialwidrigkeit bei Gericht anzufechten. Wenn der Arbeitnehmer das Gerichtsverfahren gewinnt, besteht sein Arbeitsverhältnis weiter. Voraussetzung ist, dass er bereits seit sechs Monaten beim Arbeitgeber beschäftigt ist und er durch die Kündigung wesentlich in seinen Interessen beeinträchtigt wird. Das wäre z.B. der Fall, wenn der Arbeitnehmer insbesondere aufgrund seines Lebensalters nicht damit rechnen kann, dass er in absehbarer Zeit einen neuen Arbeitsplatz erlangt, wenn er mit fühlbaren Verdiensteinbußen zu rechnen hat, wenn er beispielsweise Unterhaltsverpflichtungen, Kreditrückzahlungsverpflichtungen zu erfüllen hat.
Der Arbeitgeber hat aber auch seinerseits die Möglichkeit, im Verfahren Gründe einzuwenden, die die Kündigung rechtfertigen. Das können betriebliche Gründe sein, wie Umstrukturierungsmaßnahmen, die Personalreduktionen erforderlich machen. Es können jedoch auch Umstände sein, die in der Person des Arbeitnehmers gelegen sind. „Vom Gericht wurde in einem Fall entschieden, dass die auf Alkoholkrankheit des Arbeitnehmers zurückführenden ‚Entgleisungen‘, insbesondere die häufigere Alkoholisierung am Arbeitsplatz in ihrer Gesamtheit die betrieblichen Interessen des Arbeitgebers in erheblichen Maß berühren, und die Kündigung daher gerechtfertigt war. Das Gericht nimmt eine Interessenabwägung vor und entscheidet, wessen Interessen höher wiegen“, so Martina Chlestil.
Eine Entlassung kann gegenüber Arbeitern ausgesprochen werden, wenn sie der Trunksucht verfallen und wiederholt fruchtlos verwarnt wurden. Bei Angestellten gibt es den Tatbestand der Trunksucht nicht, hier wird auf die Vertrauensunwürdigkeit zurückgegriffen. Alkoholbedingte Verfehlungen könnten aber auch – beim Arbeiter wie beim Angestellten – eine Entlassung wegen beharrlicher Pflichtverletzung rechtfertigen. Auch hier ist Voraussetzung, dass vom Arbeitgeber wiederholt fruchtlos verwarnt wurde. „Wenn der pathologische Alkoholmissbrauch eines Arbeitnehmers bereits einen solchen Grad einer unbeherrschbaren Krankheit erreicht hat, dass ihm Arbeitsversäumnisse oder Pflichtenvernachlässigungen nicht als Verschulden zugerechnet werden können, dann ist eine Entlassung jedoch meist unzulässig“, meint Chlestil.
Leider ist die Alkoholkrankheit bei uns immer noch ein großes Tabu, sowohl vonseiten des Arbeitnehmers als auch vonseiten der Unternehmen.
Warnzeichen
Daher rät Martina Chlestil zur verstärkten Aufklärungsarbeit der Führungskräfte, des Betriebsrats und der Präventivkräfte im Betrieb (zB Sicherheitsvertrauenspersonen, Arbeitsmediziner). Auch die Kollegen seien gefordert: „Alkoholprobleme müssen ernst genommen werden, das „In-Schutz-nehmen“ alkoholabhängiger Kollegen bewirkt eine indirekte Förderung des Alkoholismus.“

Doch wie erkennt man, ob ein Mitarbeiter ein Alkoholproblem hat? Hier gibt es verschiedene Warnzeichen, die beachtet werden sollten:

- Häufige Unpünktlichkeit

- Häufige Fehlzeiten

- Konzentrationsschwäche

- Heimliches und/oder hastiges Trinken

- Leugnen des Trinkens und Bagatellisieren der Trinkmenge

- Eine „Alkoholfahne“

- Trinken bereits vor oder kurz nach Arbeitsbeginn

- Entzugserscheinungen wie Zittern, Schwitzen und/oder Unruhe

- Erfinden von Alibis für den Alkoholkonsums

- Heftige Stimmungsschwankungen

- Leistungsschwankungen und Leistungsabnahme

Treffen einige dieser Warnzeichen auf einen Arbeitnehmer zu, so ist dessen Vorgesetzter gefordert, mit ihm ein ebenso ehrliches wie ausführliches Gespräch zu führen, wobei ein allenfalls aggressives Verhalten des Arbeitnehmers einkalkuliert werden sollte. Der Chef sollte vor dem Gespräch bereits Fakten über das Verhalten des Mitarbeiters gesammelt haben, um ihn damit zu konfrontieren, falls der Betroffene sein Alkoholproblem leugnet. Und er sollte dem Mitarbeiter klarmachen, dass Alkoholismus eine Krankheit ist und er/sie sich dafür nicht zu schämen braucht. Moralisierende Belehrungen und Hinweise wie „reiß dich doch zusammen“ bringen wenig. Es sollten vielmehr ganz konkrete Hilfsangebote (z.B. Suche nach einer geeigneten Therapie) unterbreitet werden. Und es sollte ein genauer Plan mit dem alkoholkranken Arbeitnehmer erarbeitet werden, nach dem man konsequent vorgeht. Dass der Vorgesetzte selbst mit gutem Beispiel vorangehen sollte und keinen Alkohol während der Arbeitszeit konsumiert, sollte ob seiner Vorbildwirkung selbstverständlich sein.
„Das Verständnis in den Betrieben, den Alkoholkonsum einzuschränken und gegen Alkoholismus vorzugehen, ist vorhanden“, ist Martina Chlestil überzeugt. Und: „Wenn alle an einem Strang ziehen – betroffene Arbeitnehmer, Vorgesetzte, Betriebsrat und Präventivkräfte – dann bestehen gute Aussichten, dass sich alkoholkranke Arbeitnehmer einer Therapie unterziehen und wieder zu voll einsatzfähigen und verlässlichen Mitarbeitern werden.“Ist der alkoholkranke Mitarbeiter jedoch uneinsichtig und weigert sich, ein Therapie zu machen, dann wird dem Unternehmen letztlich leider nur noch eines bleiben – die Kündigung.

Foto & Grafik: Thomas Frohnwieser (2)