Volkswirtschaftliche Kosten in Österreich erstmals berechnet:
Alkoholismus kommt dem Staat sehr teuer
von Harald Frohnwieser
Wenn im Lande der Wein in Strömen fließt und das Bier fröhlich zischt, dann freut sich vor allem das Finanzamt. Denn über die Alkoholabgaben fließt viel Geld in den Staat, der ja bekanntlich jeden Euro zwecks Sanierung der Staatsschulden gut gebrauchen kann. Das jedenfalls ist die vorherrschende Meinung in der Bevölkerung. Ein Irrtum, wie sich jetzt belegen lässt. Das Institut für Höhere Studien (IHS) hat im Jahr 2013 erstmals die Kosten, die die Alkoholkrankheit jährlich verursacht, errechnet und den Steuereinnahmen gegenübergestellt. Das Ergebnis ist freilich sehr ernüchternd: Nach Abzug der Alkoholsteuereinnahmen und den Ausfall an Pensionszahlungen, die sich der Staat durch das vorzeitige Ableben unbehandelter Alkoholabhängiger erspart, blieb im Jahr 2011 ein sattes Minus von 737,9 Millionen Euro übrig.
„Bisher hatten wir keine Daten, was für einen volkswirtschaftlichen Schaden die Alkoholkrankheit verursacht“, sagt Dr. Thomas Czypionka, Senior Researcher vom IHS. Jetzt liegen diese Daten auf dem Tisch. Inklusive der direkten medizinischen Kosten (373,8 Mio.), der nicht-medizinischen Kosten wie Krankengeld (6,6 Mio.), Pflegegeld (8,0 Mio.), Invaliditätspensionen (23,5 Mio.) und Witwen-pensionen (7,1 Mio.) sowie der ökonomischen Kosten (441,7 Mio.) ergibt dies einen Betrag von 860,7 Millionen Euro.
Wenn man jetzt die Einnahmen durch die Alkoholsteuer (119,2 Mio.) und den Ausfall an Pensionszahlungen (3,7 Mio.) aufgrund der Tatsache, dass Alkoholiker früher sterben, abzieht, so bleibt ein Saldo von 737,9 Millionen Euro übrig. Ein extrem hoher Betrag. Der freilich noch viel höher sein dürfte. Denn alkoholbedingte Unfallkosten, egal ob im Verkehr oder am Arbeitsplatz, sind in dieser Studie gar nicht erfasst, weil keine genauen Daten zur Verfügung standen. Thomas Czypionka: „Die volkswirtschaftlichen Kosten, die dem Staat jährlich durch die Alkoholkrankheit erwachsen, wurden bisher kräftig unterschätzt. Der Grund darin liegt darin, dass das Thema Alkoholismus viel zu lange tabuisiert wurde.“
Tatsächliche Kosten sind noch höher
Auch der ärztliche Leiter des Anton-Proksch-Instituts in Wien-Kalksburg, Prof. Michael Musalek, stoßt in dieses Horn: „Wir haben jetzt Daten zur Verfügung, die absolut sicher sind. Die tatsächlichen Kosten dürften aber noch weit höher liegen.“ Deshalb fordert Musalek einmal mehr die österreichische Regierung auf, endlich mehr in Richtung Prävention zu unternehmen. „Noch vor 20 Jahren waren es Jugendliche, die erstmals Alkohol konsumierten, jetzt sind es bereits die Kinder, die zum Teil regelmäßig trinken. Das Einstiegsalter liegt bei elf bis 13 Jahren. Deshalb soll die Aufklärung über die Alkoholsucht bereits im Kindesalter beginnen.“ Konkret meint der Suchtexperte, dass man die Kids von der vorherrschenden Meinung, dass Alkohol lustig macht, abbringen soll. „Alkohol bewirkt das Gegenteil, man wird ab einer gewissen Menge depressiv.“
Aber: So weit ist man in Österreich, anders als in der Schweiz oder in Deutschland, noch lange nicht. Von einigen wenigen singulären Projekten passiert diesbezüglich herzlich wenig. „Es gibt die Überlegung, dass Schulärzte präventiv wirken sollen“, so Musalek, „aber das wird nicht funktionieren, weil sie erstens viel zu kurz in den jeweiligen Schulen tätig sind und zweitens sind sie dafür gar nicht ausgebildet.“
Viel zu lockerer Umgang
Dabei wäre eine flächendeckende Prävention dringend notwendig – Österreich liegt, was den Alkoholkonsum betrifft, an dritter Stelle unter den OECD-Ländern. Den Grund dafür sehen sowohl Musalek als auch Czypionka darin, dass wir einen viel zu lockeren Umgang mit dem Alkohol haben. „Die Verfügbarkeit von Alkohol ist bei uns gegenwärtig, man bekommt ihn, anders als in vielen anderen Ländern, rund um die Uhr“, sagt Musalek. Und Czypionka stellt die Überlegung in den Raum, den Verkauf von Alkohol bei öffentlichen Veranstaltungen einzuschränken: „Wir haben einen viel zu lockeren, viel zu laxen Umgang mit diesem Thema.“ Und gehandelt wird erst dann, wenn's brennt. Michael Musalek: „Bei uns wird, was den Alkoholismus angeht, erst diagnostiziert, wenn die Krankheit bereits ausgebrochen ist. Das muss sich ändern.“
Auch was die Behandlung der Alkoholsucht, die laut Musalek sehr gut therapierbar ist, betrifft, klappt noch vieles nicht – anders als in Deutschland oder in der Schweiz, wo die Wartezeit auf einen stationären Therapieplatz in der Regel nur zwei bis drei Wochen dauert - muss man in Österreich mit drei bis vier Monaten (!) rechnen, bis man aufgenommen wird. „Was wäre, wenn wir mit Tumorkranke so umgehen würden?“, stellt Musalek die Frage, die den verantwortlichen Politikern die Schamröte ins Gesicht treiben müsste. Und fordert: „Wir brauchen einen echten politischen, therapeutischen und wissenschaftlichen Dialog.“
Eines aber freut den ärztliche Leiter von Kalksburg: „Noch im Jahr 2006 war die Alkoholabhängigkeit ein totales Tabu. Jetzt ist sie mittlerweile zu einem öffentlichen Thema geworden.“
Foto: Thomas Frohnwieser (1)