Die „Volkshilfe“ zeigt sich gewappnet
Burnout in den Pflegeberufen
von Werner Schneider
Nur noch wenige – zumeist ältere Österreicher – werden sich an die grauenvolle Mordserie im Pflegeheim Lainz (damals noch „Altersheim“ genannt) in Wien erinnern. Der Fall beschäftigte beinahe die ganze Welt: Vier Krankenschwestern bzw. Pflegerinnen („Die Todesengel“) hatten zahlreiche bettlägerige PatientInnen ermordet; mit Rohypnol-Überdosierungen oder Morphiumspritzen oder durch Ersticken mit Wasser („Mundhygiene“). Aus Überforderung, wie Experten meinten. Ein Zustand, mit dem Pflegekräfte oft konfrontiert sind. Was manche von ihnen zu Medikamenten oder Alkohol greifen lässt.
Die Boulevardpresse heulte genüsslich auf, abenteuerliche Einzelheiten aus dem Privatleben der Frauen wurden an die Öffentlichkeit gezerrt. Was war ihr Motiv? Aus Mitleid, wie sie sagten, hätten sie die Frauen und Männer „erlöst“. Und hatten während sie ihre Taten verübten, nicht einmal viel Hehl daraus gemacht. Aus Überforderung, wie Experten feststellten. Das Wort Supervision wurde erstmals einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Den Begriff Burnout kannte man noch gar nicht.
Pflegeberufe sind Spezialistenarbeit und hochgradig belastend, psychisch wie physisch. Es bauen sich immer wieder emotionale Bindungen zwischen den zu pflegenden Personen und dem Personal auf. In den Pflegeheimen für ältere MitbürgerInnen ist der Tod fast alltäglich und zerreißt diese Bindungen wieder. Menschen mit Demenz können anstrengend sein, bisweilen aggressiv, bisweilen komplett hilflos. Oft zusätzlich körperlich krank. Dann setzt die physische Herausforderung ein: Selbst an Gewicht leichte Greisinnen und Greise werden zentnerschwer, wenn sie bei den Bewegungen nicht mehr mithelfen können. Auch wenn die soziale Akzeptanz immer größer wird, weil immer mehr Menschen in ihrer Mitte pflegebedürftige Angehörige haben und daher die Herausforderung kennen, die Bezahlung ist – auch trotz Verbesserungen – nicht wirklich aufgabengerecht.
Franz Ferner ist Geschäftsführer der „Volkshilfe“ in der Steiermark. Hier ist man auf das Problem Burnout vorbereitet, wie er im Gespräch mit Alk-Info feststellt. Was die Ausfallsquote in diesem Bereich erstaunlich niedrig hält.
„Alk-Info“: Herr Ferner, zuerst einmal die Frage: Wie viele Pflegekräfte beschäftigen Sie in den von Ihnen geleiteten Heimen?
Franz Ferner: Rund 1.000
In Sozial- und Pflegeberufen werden hohe physische und psychische Anforderungen an das Personal gestellt. Wie lange halten die MitarbeiterInnen diese Belastungen im Schnitt ohne Hilfe, wie etwa Supervision, aus? Anders gefragt: Ist die Ausfallsquote durch Krankenstände hoch?
Im Vergleich zu der von der Statistik Austria für Gesundheitsbetriebe aufgestellten Krankenstandsstatistik 2012 liegen wir erfreulicherweise leicht unter der Norm. Allerdings kommt es in einzelnen Einrichtungen, die Volkshilfe Steiermark betreibt 25 Häuser, immer wieder vor, dass die Norm auch überschritten wird. Supervision und Fallbesprechungen gehören zu unseren Standardkommunikationsvorgaben und Möglichkeiten, die wir unseren MitarbeiterInnen zur Verfügung stellen. Die Teilnahme an Supervisionen ist natürlich freiwillig.
Kommt es vor, dass Erschöpfungszustände und psychische Ausnahmezustände eintreten, die im neueren Sprachgebrauch „Burnout“ genannt werden?
Dass so etwas vorkommt, davon ist in einem Betrieb mit tausenden MitarbeiterInnen grundsätzlich auszugehen. Vieles ergibt sich ja nicht nur aus den betrieblichen Arbeitssituationen heraus, sondern ist oft genug eine Kombination mit der Doppelbelastung von Haushalt, Kindererziehung und Beruf zu sehen. Die Arbeitsfelder in der Pflege sind weiblich, die Gesamtbelastungen daher wesentlich höher als in klassischen von Männern dominierten Berufsfeldern.
Kann man im Vorfeld erkennen, dass das Belastungslimit erreicht worden ist, oder besteht immer noch die Scheu der Betroffenen, sich und anderen das einzugestehen?
Selbstverständlich gibt es Hemmungen der Betroffenen sich derartige Überlastungen einzugestehen oder damit nach außen zu treten, weil sie vor allem - wie schon angeführt - in Kombination mit privaten Belastungen auftreten. In den MitarbeiterInnenbefragungen und MitarbeiterInnengesprächen versucht die Volkshilfe bereits mit ganz konkreten Fragen zu solchen Belastungen eine betriebliche Diskussion darüber zu eröffnen.
Wird, wenn es bereits zu Burnoutsymptomen kommt, von den Personen zu „Hilfsmitteln“ wie Psychopharmaka oder Alkohol gegriffen?
Aus der betrieblichen Praxis sind uns nur einige wenige Fälle in den letzten 15 Jahren bekannt. Diese Arbeitsverhältnisse mussten leider gelöst werden.
Wenn das entdeckt wird, welche Hilfen gibt es von Ihrer Seite?
Missbrauch von Psychopharmaka und/oder Alkohol kann in einem Betrieb in dem Menschen für und mit Menschen arbeiten nicht toleriert werden. Wichtig erscheint uns daher vor allem die Prävention. Beginnend bei strukturierten MitarbeiterInnengesprächen, Fallbesprechungen und Teamsitzungen, Supervisionen, Arbeitsplatzevaluierungen, Einsatz der ArbeitsmedizinerIn bis hin zu lösungsorientierten Hilfeleistungen durch unseren psychosozialen Dienst. Der letztgenannte Dienst ist eine interne Anlaufstelle, die bei derartigen Problemen professionelle Hilfe anbietet und Probleme gemeinsam mit MitarbeiterInnen löst, bevor sie zu Krisen ausarten.
Die Pflegeberufe beginnen in der sozialen Hierarchie zwar an Image zu gewinnen, gemessen an der Ausbildung und den erbrachten Leistungen ist die Entlohnung aber immer noch bescheiden – gibt es hier Licht am Ende des Tunnels oder greifen die Sparmaßnahmen der öffentlichen Hand immer noch so stark?
Die Volkshilfe bezahlt ihren MitarbeiterInnen in der Pflege den BAGS KV. Dieser hat in den letzten Jahren deutlich zugelegt. Die Sparmaßnahmen der öffentlichen Hand treffen vor allem die Rahmenbedingungen der pflegerischen Arbeit. Dementsprechend setzen wir uns unermüdlich seit geraumer Zeit mit allen uns zu Verfügung stehenden Mitteln ein, um eine entsprechende Besserung und Anerkennung der pflegerischen Arbeit von jenen zu erreichen, die auch die Finanzierungsbedingungen gestalten.