Pfarrer Puchers VinziDorf für Alkoholiker
Eine Heimat für Heimatlose
von Harald Frohnwieser
Ursprünglich als Notunterkunft für obdachlose Flüchtlinge des damaligen Jugoslawienkrieges im Jahr 1992 von Pfarrer Wolfgang Pucher in Graz gegründet, steht heute in der Nähe eines Friedhofs ein Dorf, in dem ausschließlich alkoholabhängige Männer leben. „Alk-Info“ sprach mit dem ebenso engagierten wie bereits mehrfach mit Preisen und Ehrungen ausgezeichneten katholischen Pfarrer über dessen Lebenswerk, mit dem Leiter des VinziDorfs, Mag. Manfred Rupp, und mit Luis, ein obdachloser Alkoholiker, der nach einer längeren Odyssee hier ein Dach über dem Kopf gefunden hat.
Zwei Männer, beide eine Weinflasche fest im Griff, stehen nachts angelehnt an einer Kirche. Zwar lallend, aber dennoch angeregt unterhalten sie sich darüber, was sie am Tage so alles erlebten. Als alles gesagt war, was gesagt werden musste, sagt der eine zum anderen: „Komm, gehen wir heim.“
Eine alltägliche Szene, könnte man meinen und nicht weiter erwähnenswert. Aber: Das „Daheim“ der beiden Männer ist ein ganz und gar nicht alltägliches Dorf in der steirischen Hauptstadt Graz. Denn um es gleich vorweg zu nehmen: Wer im VinziDorf strandet, muss ein Alkoholiker sein, sonst wird er gar nicht aufgenommen. Darf keine Chance haben, den Wiedereinstieg in ein normales Leben zu schaffen, muss verloren sein. Muss von anderen Sozialeinrichtungen aufgegeben und schon lange obdachlos sein. Und er darf hier weiter trinken, muss auf seinen Schnaps, auf sein Bier oder den Doppelliter Wein nicht verzichten. „Wir wollen niemanden resozialisieren, weil das bei diesen Menschen einfach nicht geht. Stellt man sie vor die Entscheidung, Bett oder Flasche, so werden sie sich immer die Flasche wählen“, sagt der 1939 in Hausmannstätten bei Graz geborene Pfarrer Wolfgang Pucher, der Vater des VinziDorfs, der den ärmsten der Ärmsten das gibt, was sie schon lange nicht mehr hatten – Würde, Achtung, Geborgenheit. „Wir bieten eine Heimat für Heimatlose“, sagt Wolfganag Pucher.
Im Alter von zehn Jahren entschloss sich Pucher, der seinen Vater 1943 im Krieg verlor, Priester zu werden. „Im bischöflichen Seminar war ich einer der ganz wenigen der 300 Buben, die von zu Hause kein Jausenbrot mit hatten“, blickt der Sohn eines Schuhmachers und einer Schneiderin zurück, „und so habe ich aus purem Hunger manchmal ein Stück Brot aus dem Speisesaal gestohlen.“ Später musste Pucher die Schule wegen sieben Nichtgenügend verlassen, er kam zur Ordensgemeinschaft der Lazaristen, die „Er hat mich gesandt, den Armen eine frohe Botschaft zu bringen“ als Leitspruch hatten. Ein Spruch, der für seine Ausbildung prägend war. „Als junger Kaplan habe ich in einer Pfarrgemeinde begonnen, die sehr arm war. Da ist mir aufgefallen, dass gerade die Kinder, die wirklich nichts hatten, sehr auf mich zugegangen sind, mich umarmt haben. So habe ich einen lebendigen Zugang zu arme Menschen bekommen.“
Armut in Istanbul und in Graz
Bald darauf wurde Wolfgang Pucher in die Türkei versetzt: „Da habe ich das Elend auf den Straßen von Istanbul kennen gelernt. Es gab an die 10.000 Kinder, die Zeitungen verkauften, bettelten, stahlen, nur um zu überleben. Das Elend dieser Kinder ist mir tief unter die Haut gegangen.“ Einmal, so der Pfarrer weiter, sah er zwei Buben in zerrissenen Hosen, die sich an der warmen Fensterscheibe einer Grillstube wärmten. „Ich habe ihnen spontan zwei halbe Hähnchen gekauft, die sie aber draußen essen mussten, ins Lokal wurden sie nicht reingelassen. Die verschlangen das Fleisch samt den Knochen, solchen Hunger hatten sie!“
Im Jahr 1973 wurde Pucher, längst wieder zurück in Österreich, Pfarrer der Grazer Gemeinde St. Vinzenz. Und wieder wurde die Armut sein Begleiter. „Da gab es eine kleine Siedlung, in der 800 Menschen unter den ärgsten Bedingungen lebten, weil sie alle delogiert waren“, erinnert er sich, „in der Siedlung, die überall verhasst war, gab es alles, was man sich nur vorstellen kann. Gewalt, Prostitution, Schlägereien, Kindesmisshandlung und vor allem sehr viel Alkohol. Im Umgang mit diesen Menschen ist mir bewusst geworden, wie wenig man verändern kann und dass auch eine kleine, bescheidene Hilfe Hoffnungen hervorruft.“ Trotzdem ist es dem engagierten Priester gelungen, dass die Siedlung, in der es bis dahin weder Badezimmer, noch Waschmaschinen oder Telefonapparate gab, von der Stadt Graz saniert wurde. Resultat: „Da habe ich erfahren, dass etwas weitergeht, wenn man sich sehr darum bemüht.“
Im Jahr 1990 wurde eine Jugend-Vinzi-Gemeinschaft gegründet. Junge Leute im Alter von 18 bis 22 Jahren brachten zu den Obdachlosen der Stadt Tee und belegte Brote. 1992 dann die Zeltstadt für obdachlose Kriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien. „Es gab eine breite Ablehnung dagegen, die aber viele Menschen dazu animierten, mich dabei zu unterstützen“, so Wolfgang Pucher. Parallel dazu erbettelten der Pfarrer und seine Mitstreiter Wohncontainer für obdachlose, alkoholabhängige Männer. Wolfgang Pucher: „Es war sehr schwierig, einen Aufstellungsort dafür zu finden. Wo immer wir waren, wurden wir von den Nachbarn vertrieben.“ Bürgerinitiativen wurde gegründet, 200 Menschen, die keine Alkoholiker als Nachbarn wollten, schrien den Pfarrer nieder. „Ein Journalist hat mir gesagt, dass er beruflich schon bei vielen Bürgerversammlungen war, aber einen derart großen Hass hat er noch nie erlebt“, erzählt Pucher. Fündig wurde man auf einem Erweiterungsgelände für einen Friedhof: „Das ist schon sehr symbolträchtig: Da, wo noch keine Gräber sind, kann man diese Menschen wohnen lassen.“
Alkoholverbot wurde diskutiert
Noch heute steht das VinziDorf hier, in dem bis zu 40 obdachlose, alkoholkranke Männer leben. In der Anfangszeit durften die Männer im Dorf nur übernachten, aber als der Winter kam war klar, dass man sie bei eisiger Kälte nicht auf die Straße schicken konnte. Von Anfang an war auch klar, dass die Männer im Dorf Alkohol trinken dürfen. „Der Alkohol war ja der Grund, warum sie nirgends unterkamen. Es gab damals in ganz Österreich keine Einrichtung für Obdachlose, in der Alkohol getrunken werden durfte“, sagt Pucher, der nachsetzt: „Das hat sich durch uns in der Zwischenzeit geändert, auch in Wien, in Salzburg und in Innsbruck gibt es Notschlafstellen mit Alkoholerlaubnis.“
Wurde im Grazer VinziDorf nie über ein eventuelles Alkoholverbot nachgedacht? „Am Anfang“, so Pfarrer Pucher, „gab es eine Phase, in der sich die Bewohner noch nicht so gut kannten, da war viel Aggression. Die Obdachlosen sind ja auch keine besseren Menschen. Das ist eines Tages sehr eskaliert und es kam zu einer Schlägerei und zu Zerstörungen des Mobiliars. Da wurde ein Alkoholverbot von unseren Mitarbeitern diskutiert, aber ich habe mich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt.“ Die Folge der Debatte war, dass man den Bewohnern das Mittagessen strich, damit sie aus dem Dorf raus mussten, um sich etwas zum Essen zu besorgen. „Dadurch wurde es dann etwas ruhiger“, schmunzelt Wolfgang Pucher, der sagt, dass es wohl keine Einrichtung im ganzen Land gibt, in der die Obdachlosen das Gefühl haben, hier daheim zu sein. „Das sagen alle, die hier leben.“
Bewohner sind Gäste, keine Klienten
Die Bewohner oder „die Gäste“ – das Wort Klient ist verpönt – leben in Containern, die geteilt sind und die jeden von ihnen sechs Quadratmeter Wohnfläche sowie eine eigene Eingangstür bieten. Eine Ärztin schaut ein Mal pro Woche vorbei und es gibt diplomierte Krankenschwestern, die hier ihren Dienst tun. Alle ehrenamtlich, versteht sich. Und: „Alle Bewohner im VinziDorf beziehen entweder die gesetzlich vorgeschriebene Mindestsicherung, haben eine Pension oder bekommen Arbeitslosengeld. Außerdem haben alle unserer Gäste ihre Dokumente beisammen“, erklärt der streitbare Pfarrer nicht ohne berechtigten Stolz. Diesen Stolz möchte er auch seinen Bewohnern mit auf dem Weg geben: „Ich rede alle mit Sie an, denn ich möchte zeigen, dass ich eine Achtung vor ihnen habe.“ Überhaupt hält er es für realistisch, dass ganz Österreich einmal frei von Obdachlosen sein wird. „Das sind ja nur an die 1000 Menschen, die unter einer Brücke oder in Abbruchhäusern schlafen müssen, das ist doch keine Zahl. Das muss doch zu schaffen sein.“ Was die Bewohner des VinziDorfs allerdings nicht schaffen, ist der Wiedereinstieg in ein sogenanntes normales Leben: „Solche Menschen, die das schaffen könnten, nehmen wir erst gar nicht auf. Denn wer eine Chance auf eine Zukunft hat, wird ohnehin von anderen Einrichtungen betreut. Die Menschen, mit denen niemand mehr etwas anfangen kann, die werden dann zu uns geschickt.“
Über den neuen Papst Franziskus sagt Pucher: „Es war höchste Zeit, dass wieder einmal jemand Papst wird, der die Schuhe Jesu anzieht und keine Designerpantoffeln.“ Und weiter: „Franziskus hat eindeutig gesagt, dass wir eine Kirche der Armen werden müssen und dass auch die Gläubigen nicht das Recht haben, ihren wohlerworbenen Wohlstand exzessiv zu genießen und gleichzeitig wegschauen.“
Es gibt noch viel zu tun
Mit dem Wegschauen kennt sich Pfarrer Wolfgang Pucher mittlerweile aus, zu oft hat er erlebt, dass seine Gäste niemand in der Nachbarschaft haben wollten. Deshalb freut er sich über Auszeichnungen und Ehrungen (Ehrenzeichen der Landeshauptstadt Graz, Großes Ehrenzeichen des Landes Steiermark, Österreicher des Jahres im Bereich Soziales, u.v.m.) um so mehr. Nicht aus Eitelkeit, sondern weil sie eine Information nach außen hin darstellen, und weil sie oft mit Geld verbunden sind. Geld, das dringend gebraucht wird. „Zwei Drittel unseres Budgets bekommen wir aus Spenden, ein Drittel werden von der Stadt Graz und dem Land Steiermark übernommen“, legt Pucher die Einkünfte des VinziDorfs offen.
„Es ist noch viel zu tun“, sagt er zum Schluss. Weltweit gibt es 2,4 Milliarden Menschen, die in bitterer Armut leben.“ Nachsatz: „Wir müssen anfangen zu teilen.“
Mag. Manfred Rupp, 42, hat Theologie studiert, und leitet seit April 2006 das Vinzi Dorf. Werner Schneider sprach mit ihm.
„Alk-Info“: Herr Mag. Rupp, wie sind Sie zum Vinzi Dorf gestoßen?
Mag. Manfred Rupp: Des ist eigentlich recht einfach. Ich habe die Jahre zuvor im Behindertenbereich gearbeitet und ein Freund von mir hat mich angeredet und gesagt: ‚Der Pfarrer Bucher sucht jemanden, der die Leitung des Vinzi Dorfes übernimmt‘, einen Neuen, weil der andere aufgehört hat. Ich habe mir gedacht, eigentlich klingt das nach einer interessanten Aufgabe und habe mich beworben. Und dann bin ich genommen worden.
Jetzt, nach so vielen Jahren leben Sie mit dem Vinzi Dorf schon richtig mit?
Ja, das ist natürlich ein Teil geworden von meinem Leben.
Ich sehe einen Ehering, Sie sind verheiratet…
…ich bin verheiratet und habe drei Kinder, zwischen sechs und elf Jahre alt. Sie waren alle schon einmal oder mehrmals da. Die haben mit den Männern schon Karten gespielt. Die Familie lebt ein bisschen mit, sie kommt ab und zu mit her, wenn wir etwas unternehmen, zum Beispiel Ausflüge machen, dann schaut sie vorbei. Es ist eben nicht nur ein Job, sondern ein bisserl mehr.
Gibt es eigentlich Aggressionsprobleme auch im Dorf, oder geht es eher friedlich ab?
Natürlich gibt es Aggressionspotential, weil der Alkohol die Aggressionsbereitschaft steigert. Das ist einmal so, der eine wird ruhig, der andere wird laut. Das ist da auch und es sind zum Teil Leute, die durch den Alkohol schon eine gewisse Persönlichkeitsveränderung erlebt haben.
Haben Sie Kontakt mit den Anonymen Alkoholikern?
Wir hier nicht? Ich wollte mit einem hingehen, den Termin haben wir schon gehabt, er hat es aber dann nicht geschafft. Dort hinzugehen.
Glauben Sie, dass die Schwellenangst wegfällt, wenn jemand von den Anonymen Alkoholikern hierher käme?
Die Schwellenangst würde sicher wegfallen. Aber das Problem unserer Männer ist, glaube ich, dass sie einfach nicht trocken werden wollen. Es ist schwierig zu sagen. Wir haben einen Bewohner, der mit den Anonymen Alkoholiker schon Kontakt gehabt hat, der schon mehrmals dort war. Aber es ist so, dass viele der Männer schon eine Entzugsgeschichte hinter sich haben, oder eine Therapiegeschichte. Deshalb gibt es vieles, was sie schon kennen, ob das jetzt die stationären Entzüge im LSF (Landesnervenklinik Sigmund Freud, Graz, Anm.) sind, oder Kontakte mit dem Blauen Kreuz – Anonyme Alkoholiker eher weniger – und dass das Interesse nicht mehr so groß ist, auswärtiger Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die sagen: ‚Das kenne ich schon alles, das habe ich schon alles probiert, es gelingt mir eh nicht.‘
Das ist eigentlich kein Resignieren sonder ein Arrangieren mit der Situation.
Ja – resignieren? Sie sagen das eigentlich sehr schön mit dem ‚Arrangieren mit der Situation‘. Weil: Resignieren heißt, sich aufgeben. So verstehe ich resignieren. Aber sich aufgegeben haben wenige da.
Bei dem Dialog mit dem Luis ist mir aufgefallen, er wirkt nicht wie jemand, der resigniert hat.
Ich habe das Gefühl, dass sie mehr oder weniger Frieden im Leben gefunden haben und die Situation einfach akzeptieren, dass sie Alkoholiker sind, dass sie es nicht schaffen ohne Alkohol und dass sie froh sind, dass sie einen Hort haben, wo sie sein können. Wo sie deswegen nicht weniger wert sind, weil sie trinken.
Welcher ist der Langjährigste und wie lange ist er da?
Der ist seit 1. Dezember 1993 da. Er ist fast schon 20 Jahre hier und im Alter von Anfang 40 hergekommen.
Der ist jetzt über 60…
…ist über 60 und ist erstaunlich gut beisammen, für das, dass er durchgehend trinkt. Also eigentlich ein Kontrabeispiel für eine Alkoholikerkarriere.
Im Vinzi Dorf trafen Luis, einer der Bewohner, der dort in einer winzigen Holzhütte lebt, und W. ein derzeit trockener Alkoholiker, zu einem zwanglosen Geplauder zusammen. Werner Schneider hat diesen Dialog aufgezeichnet.
W.: Servus Luis, ich erzähle dir erst einmal von mir. Ich bin der W. Ich habe von meinem Studium weg brav g’soffen, habe es aber trotzdem immer geschafft, meinen Job zu machen. Ich bin Quartalsäufer, ich habe Pausen gemacht, wieder gesoffen, wieder Pausen gemacht – so lange, bis ich mich in den Kopf geschossen habe. Ich habe das wie durch ein Wunder überlebt. Jetzt bin ich in der Pension und derzeit trocken.
Luis: Also ich bin 55, am 30. Juli war ich das, und wie soll ich sagen, ich bin daher gekommen … Also ich habe eine Tochter, gell, und da haben wir uns getrennt, weil das einfach nicht mehr hingehaut hat. Getrunken hab‘ ich auch gerne, das sag‘ ich ehrlich. Jetzt weniger, so verstehen wir uns wieder gut. Ich habe selbst eine Wohnung gehabt aber durchs Trinken ist dann alles weg gewesen. Ein Kollegen hat gesagt, er kennt da heraußen etwas, nicht wahr, da bin ich dann her und der Manfred, der Rupp (Dorfleiter des Vinzi Dorfes, Anm.), hat zu mir gesagt, ja, wenn ich will kann ich gleich da bleiben. Dann habe ich zuerst im Container gewohnt. Aber man hat gesehen, dass ich ruhig bin, anständig, vernünftig, nicht wahr, außerdem bin ich mit meiner Trinkmenge stark herunter gekommen – ich trinke schon noch meine drei, vier Bier pro Tag, aber mehr nicht.
Hast du dich selber so einschränken können?
Ja. Ich war schon einmal im LSF (Landesnervenklinik Sigmund Freud in Graz, Anm.). Da habe ich gesagt ‚Aus, ich muss mich nicht jeden Tag anblatteln‘ (volltrinken, Anm.), weil mit dem Geld geht es sich auch nicht aus. Da, wegen dem Fuß, da habe ich einen Unfall gehabt, beim Bahnhof.
Warst du Bundesbahner?
Nein, ich wollte mit der Rolltreppe in die Annenpassage (Einkaufsstraße, Anm) wegen meinem Fahrrad. Da habe ich auch zu viel getrunken gehabt, na eigentlich so viel auch nicht, aber ich habe die hohen Schuhe angehabt, bin mit dem Schuhbandel irgendwie hängen geblieben, da hat’s mir den Fuß zusammengerissen und da habe ich gesagt ‚Hopp, jetzt is‘ aus‘. Ich trinke schon noch gemütlich, beim Essen oder wenn wir beisammensitzen – aber so wie früher, das gibt’s nicht mehr.
Hast du einen Beruf gelernt?
Ja, Maler und Anstreicher. Dann habe ich Bodenleger und Tapezierer noch dazu gemacht.
Mit der Arbeit schaut’s nicht gut aus…
…nein, ich bin ja schon in der Rente. Die haben mich geschickt wegen dem Fuß. Ich kann ja nicht mehr auf eine Leiter, ich kann meinen Beruf nicht mehr ausüben. Ich kann nicht mehr mit der Leiter gehen, da kann mich keiner mehr brauchen. Darum haben sie mir gesagt, ich soll auch in Pension gehen. Das ist automatisch gegangen vom Krankenhaus aus. Die haben gesagt, da geht nix mehr in seinem Beruf und was sollen wir mit ihm machen, sollen wir ihm einen Schreibtisch hinstellen? Na, da bin ich zu blöd dafür, ehrlich gesagt. Ja wirklich (lacht).
Ich sage immer: Zu blöd ist kein Mensch, es hat nur jeder etwas anderes gelernt.
Also ich sag‘ so: Ich habe viel gemacht bei der Firma, ich war auch viel im Ausland. In Deutschland habe ich viel gearbeitet, nachher war ich – wie heißt das noch, na, wo das kleine Land ist, da war ich auch – dreimal war ich in Moskau. Da hat man schon Sachen miterlebt, die man gar nicht glauben kann.
Da bist du ordentlich herumgekommen.
Ja, aber in Moskau, das war schon eine Katastrophe, wenn man die Leute dort anschaut, arm. Wir haben die Kantine von der Ast (Bauunternehmen Anm.) gehabt. Also unsere Firma hat mit der Ast zusammengearbeitet und da hat unser Chef halt die Aufträge gekriegt. Da bin ich halt immer hin geflogen, da war ich noch mit meiner Frau zusammen, also mit meiner Ex und meiner Tochter, und da hat alles hingehaut, das Geld hat gepasst. Dort (in Moskau, Anm.) auch, da haben wir einen Wiener Koch gehabt.
War das noch in der Sowjetzeit?
Nein, das war schon nach der Öffnung. Da war der (Michail) Gorbatschow noch. Unsere Küche war eine österreichische Küche, was da weggeschmissen worden ist, haben die anderen von den Mistkübeln herausgeholt. Da haben wir aber geschaut, die armen Hunde dort. Wir haben aber Russen bei der Firma gehabt, die waren angestellt – von denen hat keiner was getan, die sind herumgestanden und haben ihren Wodka gesoffen. Die ganze Bude hat gestunken. Da haben wir gesagt: ‚Raus, das halt kein Mensch aus‘.
Wodka hat dich nie gereizt in Russland?
Na, hie und da ein Stamperl (kleines Glas, Anm.) aber das war nie meine Sache. Wir haben ein steirisches Bier bekommen, das haben wir in der Kantine gekriegt, das ist eingeflogen worden, auch Wein und alles, für die Österreicher halt, nicht wahr. Da habe ich mir eine Palette gekauft und mit heim genommen ins Hotel, eingeschlichtet in den Kühlschrank. Gegessen haben wir eh in der Kantine, dann zuhause gemütlich ein Bier – war eh super, wir haben eh alles gehabt dort. Wir haben wirklich ALLES gehabt.
Du warst verheiratet oder bist du es noch?
Ich war nur 13 Jahre mit einer zusammen als Lebensgefährte.
Wie alt ist deine Tochter?
Die ist jetzt 24.
Was macht sie?
Verkäuferin ist sie.
Und du sagst, jetzt habt’s ihr wieder ein gutes Verhältnis…
…haben wir immer gehabt. Da hat’s nie etwas gegeben mit meiner Tochter, jetzt hat sie ihren Freund bei dem sie lebt. Das ist außerhalb von Graz, da fahre ich nicht hin. Weißt, wie soll ich da schon hinkommen? Auto habe ich auch keines … Aber da will sie nicht herkommen, da sagt sie ‚nein, da gehe ich nicht her‘. Habe ich gesagt: ‚Brauchst dich ja nicht schämen wegen mir. Ich schäme mich auch nicht. Ist halt soweit gekommen, da kannst auch nix machen.‘ Vielleicht geht’s wieder einmal besser, wenn ich einen Lotto-Sechser mache, kauf‘ ich mir ein Haus (lacht) – ist leichter gesagt als getan!
Es ist schon so der eine hat’s Glück, der andere nicht. Ich habe das Glück gehabt, dass ich meine Sauferei fast 40 Jahre lang verstecken habe können. Habe auch gut verdient und habe es leicht gehabt. Ich habe eine Sekretärin gehabt und wenn ich zu Mittag schon bumm zu (im Vollrausch, Anm.) war, dann habe ich ihr gesagt sie soll alle Termine absagen, weil ich zu einer wichtigen Besprechung muss und habe meinen Rausch ausgeschlafen. Wenn ich wieder munter war bin ich mit drei Wodka wieder ins Büro gegangen und habe nicht mehr gezittert.
Bei uns war das auch so. Schon in der Lehrzeit. Mein Lehrmeister hat gesagt: ‚Bub, trink‘ einen Wein‘, da habe ich gar nicht wollen, mir hat gegraust davon, da hast müssen, hast dich ja gar nichts zu sagen getraut, damals. Da hast müssen dein Achterl trinken, der ist jeden Tag in der Früh auf die Baustelle gekommen mit einem Doppler Wein. Und die Lehrbuben haben müssen genauso mitsaufen wie die Gesellen. Aber der ist alt geworden, der Meister, der ist sogar bei meiner Mutti ihrem Begräbnis noch mitgegangen, obwohl er schon um die achtzig Jahre alt war.
Dem seine Leber hat’s ausgehalten…
Wohl, die hat’s ausgehalten. Er hat gerne getrunken, ist ein klasser Chef aber auch gewesen, gelernt haben wir viel bei ihm, am zweiten Tag hat er mich schon Türstöcke streichen geschickt. Wenn man bei den anderen Firmen geschaut hat, die haben nach zwei Monaten noch immer Türstöcke geschliffen, ich hab‘ da schon lackiert und alles. Darum kann ich auch was.
Tust du hie und da noch ein bissel pfuschen (schwarz arbeiten, Anm.)?
Ich helfe bei Freunden und so…
…sind wir genau, pfuschen sagt man nicht – aushelfen ist das…
…ja bei meinen Freunden, gemütlich etwas essen und trinken und fertig. Da verlange ich nichts dafür. Früher habe ich schon viel gemacht, heimkommen von der Baustelle, ins Auto Material und Werkzeug eingeräumt und bin schon weitergefahren. Früher ist das gar nicht anders gegangen. Heute geht das nicht mehr, wenn’s dich da erwischen zahlst du fünfmal mehr als du beim Pfuschen verdient hast.
Ich seh’s bei mir, ich bin Pensionist und darf an die 370 Euro dazuverdienen…
Ich gar nichts. 750 habe ich Pension, mit dem muss ich auskommen, da darf ich nichts dazuverdienen.
Ich verdiene jetzt 300 Euro im Monat dazu, davon zahle ich 36 Prozent Steuer.
Bleibt eh wieder nichts über…
…ich mach’s nur, weil ich es gerne mache, ich freue mich, wenn ich mit Leuten zusammenkomme, wenn ich ein bisschen tratschen kanm…
…bei mir sagen sie auch immer, wenn ich Besuch bekommen: ‚Wer ist denn das schon wieder gewesen?‘ Aber meine alten Freunde kommen alle, obwohl ich hier wohne. Ehrlich gesagt, früher habe ich gar nicht soviel Besuch bekommen, wie ich noch die Wohnung gehabt habe. Schon wegen der Frau. Da haben viele gesagt: ‚Ach, deine Frau ist a bissel g‘fährlich…‘
…wieso?
Die war ein bisschen grantig, meine, wenn wir dahergekommen sind.
Hat sie euch dann eine Goschen angehängt (angepöbelt, Anm.)?
Ja, ja, und ich hab‘ nachher gesagt da gibt’s ja nix, da haben wir uns eben wo anders getroffen, haben ein paar Bier getrunken und wenn ich heimgekommen bin, hat sie schon wieder geschimpft (lacht).
Bei meiner war das auch oft so, sie hat gesagt ‚ich halt‘ deine Sauferei nicht mehr aus‘, na, als Quartalsäufer hab ich mir halt dann gesagt, ‚machst eine Pause‘ und habe drei vier Wochen gar nichts getrunken. Aber immer mit dem Hintergedanken, wenn der oder der Geburtstag hat, dann trink‘ ich wider etwas, und wenn ich was feiere, trink‘ ich was, wenn die Frau was feiert trinke ich auch – also in den Pausen habe ich immer nur dran gedacht, wann trinke ich das nächste Mal wieder.
Ich habe früher auch … wie soll ich sagen, das ist früher bei mir auch so gegangen. Wenn ich gesagt habe ‚aus‘, dann war’s aus. Dann habe ich zu dem Leuten gesagt: ‚auf wiedersehen‘, denn wenn ich nicht mehr mag, dann mag ich nicht mehr. Ich geh‘ mich doch nicht ansaufen und am nächsten Tag habe ich sooo einen Kopf. Ich habe ja arbeiten auch gehen müssen. Am Wochenende sind wir oft fortgegangen, etliche Freunde von mir, eine ganze Partie halt, am Landeplatz, da haben wir unser Stammlokal gehabt, nicht wahr, dort haben wir halt etliche Bier getrunken, bis zwei, drei in der Früh, oft bis vier auch, da haben wir unsere Gaude (Spaß, Anm.) gehabt, dann habe ich mich ausgeschlafen – Sonntag haben sie eh Ruhetag gehabt. Da war ich schon alleine, habe ich halt meinen Rausch ausgeschlafen.
Ich habe auch immer meinen Rausch ausgeschlafen, entweder am Tag oder in der Nacht und habe dann mit einer Flasche Sekt oder ein paar Wodka Orange wieder aufgewärmt.
Nein, am nächsten Tag habe ich nichts runtergebracht.
Ich leider schon…
Na ja, einen Rausch habe ich jetzt schon auch gehabt. Dort in meinem Stammlokal hat sie einen Erdbeerschnaps angesetzt gehabt und gesagt ‚Luis kost‘ einmal‘. Und der hat mir so geschmeckt, der war so süßlich, den hat man gar nicht gespürt, im Lokal gar nix – und wie ich rausgegangen bin, da bin ich mit allen Vieren nach Hause gekrochen. Wie sie wieder hat gesagt ‚magst ein Stamperl kosten?‘ habe ich gesagt ‚kannst mir den Buckel runterrutschen‘ (lacht). Ich muss ehrlich sagen, ich habe viele Freunde hier gefunden, ich kann hingehen wo ich will, überall bin ich herzlich willkommen, ich mach‘ keinen Wirbel oder sowas. Wenn ich merke, halt, das ist zu viel, stehe ich auf, zahle meinen Sachen und geh‘. Andere fangen zu streiten oder zu raufen an – das interessiert mich nicht.
Ich trinke jetzt gar nicht mehr, ich gehe zu den Anonymen Alkoholikern…
…da war ich einmal drinnen, aber das war nichts für mich, da bin ich gleich wieder gegangen.
Was hat dir nicht gefallen?
Das war nichts für mich, diese Rederei da. Wenn einer will, bitte. Ich hab‘ die anderen ja gesehen, die sind rausgegangen, sind schon wieder gehängt und haben ein paar Bier runtergelassen. Wenn’s so ist, dann brauch‘ ich eh nicht hingehen.
Du bist bei den Anonymen Alkoholikern auch willkommen, wenn du sagst ‚ich trink‘ was‘.
Ich weiß, ich bin da hingegangen, weil ich wirklich viel getrunken habe, durch die Trennung damals, da habe ich ordentlich angefangen. Ich bin ausgezogen mit einer Tasche voll Gewand.
Bist du schon Opa?
Nein, denn da hätte ich schon Bescheid gekriegt. aber sie hat gesagt, sie will keine Kinder. Da habe ich gesagt: ‚Das ist deine Sache‘, denn zwingen kannst eh keinen…
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Fotos: Thomas Frohnwieser (2), Werner Schneider (3), Melbinger (2) Logo: VinziWerk (1)