Von Trunksucht und heiteren Weisen
„Ich bin am Ende, mir zittern schon die Hände…“
von Werner Schneider
Lieder und Alkohol und Lieder über Alkohol gehören zusammen. Das fängt mit volksliedhaften Beispielen wie „Trink, Brüderlein trink“ an und endet bei „und ich sauf und ich sauf und hör‘ niemals damit auf“. Es gibt keine Untersuchungen, die eindeutig den Zusammenhang zwischen Liedtexten und Trinkgewohnheiten aufzeigen. Wohl aber haben die diversen Texter ganz offensichtlich die Trinkgewohnheiten genau studiert. Hier nur ein winziger Auszug aus deutschsprachigen Liedern über die Generationen hinweg. Nacht alles, was harmlos klingt ist es auch – wenn man es hinterfragt.
Beginnt man unter den Überbegriff „Lieder und Alkohol“ international zu recherchieren, kommt man auf Millionen Einträge. Anscheinend gibt es überall dort, wo Alkohol erlaubt ist (also nicht in islamischen Staaten), anscheinend gute Gründe, ihn zu besingen. Das beginnt schon im Mittelalter, wo Sauflieder bei den ersten schriftlichen Aufzeichnungen zu finden sind.
Wir wollen uns hier also nur mit deutschem Liedgut (welch seltsamer Begriff, wer die Texte liest, wird an den Liedern nicht soviel Gutes finden) beschäftigen. Und da wieder nur sehr auszugsweise, denn es wimmelt nur so von den Alkohol verherrlichenden Vertonungen mancher Geschmacklosigkeit.
Zu den Trinkliedern, die international bekannt sind, gehören die klassischen Wiener- oder Heurigenlieder. Der Wiener besingt den Wein oder das Sterben oder beides. „Es wird a Wein sein und mir wer’n nimmer sein…“ ist nur ein Beispiel für letztere Spezies. Nicht das Trinken – was ja noch nicht zu verurteilen wäre – sonder das Betrunkensein wird hochgejubelt: „Wenn ich mit meinem Dackel von Grinzing (Wiener Weinvorort Anm.) heimwärts wackel…“ Man muss schon ordentlich getankt haben, bis man „wackelt“. Drastisch, weil Trunkenheits-Unsitten verherrlichend, ist das Lied von Herrmann Leopoldi (Österreichischer Gigant unter den Mundarttextern) „Der stille Zecher…“ So heißt es da etwa: „I bin a stiller Zecher und sing die ganze Nacht, wenn mi mein voller Becher in Stimmung hat gebracht. Und sagt wer ich soll ruhig sein, dann sag’ i drauf zu eahm (ihm): Mein lieber Herr, was ham’s denn nur? Was wolln’s denn nur in einer Tour? I bin an stiller Zecher, drum mach‘ i so an Lärm.“ Das Randalieren wird nicht nur toleriert sondern (heiter?) zur Tugend erhoben. Auch als sich die Polizei einschaltet, ist der stille Zecher noch renitent: „Des is an Unrecht doch! Gehn’s nur in die Oper rein, dort singen d‘ Leut viel lauter noch und die sperrt keiner ein.“ Im selben Lied auch noch die trunkene Distanzlosigkeit und Aufdringlichkeit: „Holleri, hollero, hallihallo, heut' ist mir alles Wurscht ich bussel alle oh…“ Man stelle sich nur einen nach Wein stinkenden Mann vor, der einen küssen will. Im Lied klingt’s lustig.
„Und wenn der erste Maßkrug leer…“
Auch Deutschland kennt das traditionelle Schönsingen von alkoholischen Unsitten. Ganz kurios: 1939, als in Adolf Hitlers kürzestem 1000-jährigem Reich Alkoholismus ein Grund für eine Einweisung in ein Konzentrationslager sein konnte, entstand das Lied: „In München steht ein Hofbräuhaus…“
Hier wird nicht nur der Alkoholkonsum, sondern bereits eine Form des Alkoholismus (der dringend notwendigen Schluck am Morgen) zur deutschen, männlichen Tugend erhoben: „…da hat so mancher brave Mann (sic!) – eins, zwei g’suffa – gezeigt was er vertragen kann. Schon früh am Morgen fing er an (sic!). Und spät am Abend kam er heraus…“ Es ist also der „brave Mann“, der sich die zittrigen Finger schon „am Morgen“ mit einer Maß (dass es keine kleineren Mengen im Hofbräuhaus gibt, wird in selbigem Lied ebenfalls lobend erwähnt: „da gibt’s nur die große Maß“) die Hand ruhig trinkt und dann bis zum Abend sitzen bleibt („Und wenn der erste Maßkrug leer, dann bringt die Reserl bald mehr“). Im NSDAP-Programm wurden diese Menschen als „Asoziale“ abgestuft (siehe auch „Sterilisieren, ermorden, krepieren lassen“). Aber für Joseph Goebbels Propagandamaschinerie klang das gutbürgerliche sich Hinübertrinken gut.
„Es gibt kein Bier auf Hawaii“
Unverfänglicher meist die Lieder, die nach dem Krieg entstanden und das Zeug zu Top-Schlagern hatten (Charts gab es noch nicht). „Es gibt kein Bier auf Hawaii, es gibt kein Bier…“ jammerte Paulchen Kuhn larmoyant. „Es ist so heiß auf Hawaii, kein kühler Fleck, und nur vom Hula-Hula geht der Durst nicht weg.“ Bier als einzig denkbarer Durstlöscher in einem pazifisch-tropischen Land? Der deutsche Schlager wollte es so. Da kam selbst das Liebesglück unter die Räder. Denn Paulches Partnerin will ihn zum Mann, doch das geht wegen des fehlenden Biers auf dem blöden US-Eiland nicht. Dabei gäbe es eine Lösung: „Wenn sie mit nach Pilsen führe, dann wären wir längst schon ein Paar, doch sie will nach Hawaii ja sie will nach Hawaii…“
Man wollte den deutschsprachigen Kuhn-Fans nicht reines Pils einschenken: Pilsen war damals während des realen Sozialismus in der damaligen CSSR ein halbwegs verkommenes Nest und nicht etwa ein ansehnliches Urlaubsziel für Frischverliebte – so Kleinigkeiten müssen nicht breit getreten werden.
Wesentlich härtere Bandagen waren bei Deutschlands Lieblingskomiker der 50er und 60er Jahre, Heinz Erhardt, zu hören. In der seichten Komödie „Ach Egon“ wird der tragische Song „Egon Egon Egon“ dargeboten, er brachte es zum veritablen Gassenhauer, Evelyn Künneke sei Dank. Darin wird unter dem Deckmäntelchen des Heiteren der Niedergang einer Spiegeltrinkerin in fortgeschrittenem Stadium besungen. Der Text ist wert, ihn näher zu betrachten.
„…die Flaschen sprechen Bände“
„Egon, ich hab‘ ja nur aus Liebe zu dir, ja nur aus lauter Liebe zu dir, ein Glas zu viel getrunken.“ Soweit so harmlos. Ein kleiner Rausch aus Liebeskummer. Das hat noch nichts mit Alkoholismus zu tun. Doch dann wird dicker aufgetragen: „Ich bin am Ende, mir zittern schon die Hände, die Flaschen sprechen Bände, die leer auf meinem Nachttisch stehen.“ Gut beobachtet, ein Trinkerschicksal aus dem Lehrbuch für Suchtkranke. Händezittern, leere Flaschen neben dem Bett…
Ungeniert wird der Absturz weiter zelebriert: „Früher trank ich höchstens mal nen Pfefferminzlikör und ein kleines Helles zu, das war doch kein Malheur. Heute geb‘ ich unterm Dutzend Cognacs keine Ruh‘…“ Das Lied endet: „Ich werde nur aus Liebe zu dir, ja nur aus lauter Liebe zu dir noch mal zugrunde geh’n.“ Aus Liebe oder wegen der Flaschen, die Bände sprechen? Wie bereits erwähnt, das alles in einer Komödie. In einem anderen Erhardt-Schwank aus dem Jahr 1970 („Das kann doch unsren Willi nicht erschüttern“) singt der Komiker in Italien, wo er mit seiner Film-Familie den Urlaub verbringt, zum Gaudium der anderen Urlauber: „Wenn ich einmal traurig bin, dann trink ich einen Korn. Und wenn ich dann noch traurig bin, dann trink ich noch'n Korn…“ Das wiederholt sich ein paar Mal, bis Willy/Erhardt kurz vor dem „Hollarie-Hollaro“-Refrain gesteht, dass er (mit dem Korn saufen) wieder von vorn anfängt. Weil traurig sein halt gar so lustig ist.
Schauen wir noch kurz in die jüngere und jüngste Vergangenheit.
Barde Udo Lindenberg, der in einem Luxushotel lebt und aus seiner (früheren) Liebe zu Whisky keinen Hehl machte, huldigt der Minibar in seinem Song „Unterm Säufermond…“
Da heißt es: „Er läuft hin und her im Zimmer, wie magnetisch fällt sein Blick auf die Minibar wie immer. ‚Gib mir noch n‘ kleines Glück…' Und der Whisky – der zieht runter und sein Blut wird schnell und warm und jetzt nimmt ihn Lady Whisky ganz zärtlich in den Arm.“ Da bleibt dann kein Platz für Gefühlsduselei, trocken singt Lindenberg: „Eine Nutte heute Nacht, die’s dir für’n paar Scheine macht – die brauchst du nicht wenn Lady Whisky von der Liebe spricht“ (siehe auch „Mit jedem Glas kommt das Versgen“).
„Wir rülpsen nicht, wir kotzen schon“
Wie man sich fühlt, wenn man alleine ist, der „Stoff“ weniger wird und die Panik sich anschleicht, kommt auch vor: „In den Ohren ist ein Sirren und im Herzen ist ein Schlag, alle Fenster hört er klirren – dieses Zimmer ist ein Sarg…“ Es endet: „Dieses Leben ist so arm – ferngesteuerte Quälerei. Öffne die große Flasche Nummer drei.“
Oberblödler Otto Waalkes kann auch nicht von dem Thema lassen (ist ja auch zu lustig). Nach einer Aufzählung hochprozentiger Getränke (schön melodisch) heißt es in seinem „Alkohollied“: „Wir haben Grund zum Feiern, keiner kann mehr laufen, doch wir könn‘ noch saufen.“ Mit feinem Gespür dafür, was Alkoholiker alles in sich hineingießen, wenn der Entzug jede Hemmung aus dem Weg räumt, reimt Otto: „Klosterfrau Melissengeist, oder wie der Stoff sonst heißt, Kölnisch Wasser, Pitralon, wir rülpsen nicht, wir kotzen schon.“ Irgendwie lustig.
Die Frage ist, wie das bei jungen Menschen ankommt. Trinkfestigkeit hatte immer etwas mit Männlichkeit zu tun. Bei Frauen war Alkoholkonsum im Übermaß nicht gesellschaftsfähig, das waren enfants terribles. Inzwischen feiern die Mädchen fröhlich mit, wenn harte Sachen die Party spannend machen. In einem Blog heißt es allen Ernstes, dass Lieder wie die von Waalkes und noch ärgere (von den Rappern etwa) der Jugend den Ernst der Sucht vor Augen führten. Der Autor blieb schlauerweise anonym, denn mehr Unsinn kann man nicht verzapfen. Wenn das Idol vom Saufen singt, gepaart etwa mit jener so modernen Pseudo-Gesellschaftskritik oder wenn sich dazu noch das heitere Geblödel gesellt, dann sollen Teenager den tieferen satirischen Sinn erkennen…?
„…und ich sauf und ich sauf!“
Es sei noch ein Song zitiert, der vom Saufen handelt, ohne Alkohol nur irgendwie zu erwähnen: „Wenn du nicht da bist, geht’s mir Scheiße, ich fang an zu zittern. Hörst du das Gewitter, es ist wie ein Leben hinter Gittern … Mann, du bist alles, was ich brauch und ich lauf und lauf, vielleicht nicht immer geradeaus, doch du bist alles, was ich brauch und ich sauf und ich sauf.“
Wie bereits erwähnt fehlen noch Hitparadenstürmer aus dem englischsprachigen Raum. Von Dean Martin etwa; oder den Doors („Show Me The Way To He Next Whisky-Bar“). Man müsste sich die Trinklieder Schottlands, Irlands oder Italiens hernehmen. Spanien nicht zu vergessen oder Frankreich. Überall gibt es Alkoholisches, das zum Kulturgut erhoben und somit besungen wird. Doch das würde den Rahmen sprengen. Deutsche Texte geizen ohnehin nicht mit Entlarvendem.
Fotos: BBMC Tobias Ranzinger (1), hermannleopoldi.at (1), udo-lindenberg.de / Tine Acke (1), Odeon (1), Columbia (1), Constantin-Film (2)