Alkohol-Religion-Kultur
Es gibt auch das Genießen ohne Gefährdung

von Werner Schneider

Österreich ist ein kleines Weinland ebenso wie Frankreich, Italien, Deutschland oder Spanien – die überseeischen Weingiganten wie Südafrika, USA oder Chile jetzt noch gar nicht mitgerechnet. Man findet aber auch genug über Bier, Cognac, Whisky oder Whiskey, Calvados, Brandy, Wodka usw. Kurzum: Vergorenes und Gebranntes scheint in vielen Ländern als Kulturgut gewertet zu werden. Das hat zum Teil auch religiöse Gründe.

Kelterszene auf dem Sarkophag des römischen Stadtpräfekten Iunius Bassus TheotecniusMan muss zuerst die Relationen sehen: In Österreich sind etwa 360.000 Personen alkoholkrank (5 %) und 730.000 (10,6 %) haben einen problematischen Umgang mit Alkohol. Das heißt: 85 % können mit alkoholischen Getränken umgehen und sie genießen.
Der Anbau von Weinreben durch Menschenhand lässt sich schon 5000 Jahre vor unserer Zeitrechnung im Raum des heutigen Südkaukasus bzw. im Irak nachweisen. Im burgenländischen Zagersdorf finden sich bei Grabbeigaben aus der Eisenzeit Traubenkerne, also etwa 700 v. Chr. Berauschende Getränke kommen in vielen Religionen vor, meist mit strengen Regeln verbunden.
So schreibt etwa Schimschi Zahubi in einem Beitrag über das Judentum eher humorig: „Ein besoffen umher torkelnder Rabbi an der Klagemauer, der sich vergeblich bemüht, seinen Beschwerdebrief in einen Mauerspalt zu klemmen, diesen Anblick kann man bis heute nicht genießen.“ Denn im Judentum sind die Regeln, wann getrunken werden darf, sehr genau definiert: Am Sabbateingang wird der Wein gesegnet und man darf „einen guten Tropfen in sich hineingießen“ (Zahubi). Auch bei anderen Festivitäten wie Beschneidungen und Hochzeiten wird getrunken, doch lehnt der jüdische Glaube die Berauschung um ihrer selbst willen ab.
Die Tränen Christi
Das Christentum ist ebenfalls fest mit dem Begriff Wein verbunden: Jesus verwandelte bei der Hochzeit zu Kana Wasser in Wein. Hier kommt wohl auch der Hygienebegriff der damaligen Zeit ins Spiel. Wasser war meist verunreinigt und führte zu Krankheiten. Dafür wurde Wein getrunken. Wobei sich Wissenschaftler einig sind, dass es sich um ein Getränk gehandelt hat, das irgendwo zwischen Traubensaft und Wein angesiedelt war.
In der Liturgie wird Brot (Hostie) und Wein gereicht.
Mit Messwein machen nicht nur die Klöster mit angeschlossenem Winzerbetrieb (etwa Stift Göttweig) gute Geschäfte, auch mancher Weinbauer hat für Messwein eine treue Abnehmerschar. In Italien tragen Weine so klingende Namen wie Lacrimae (Tränen) Christi oder Vin Santos.
Beim Bier waren ebenfalls Mönche findig. In der Fastenzeit durfte nur Flüssiges zu sich genommen werden. Also brauten die frommen Gottesmänner (Paulaner), die Kurfürst Maximilian I. aus Italien ins bayrische Land geholt hatte, ein starkes Bier, das im Gegensatz zum „ainböckschen“ (ein Bock) aus dem Hofbräuhaus, später auch als Doppelbock bekannt wurde. Was den umliegenden Wirten und dem Hofbräuhaus sauer aufstieß: Die Paulaner verwendeten ihr vollmundiges Bier nicht nur als Fastenspeise, sie machten auch ein lukratives Geschäft daraus… Inzwischen ist der Begriff vom „flüssigen Brot“ schon in den Alltagssprachschatz übergegangen.
Imageschaden durch Weinskandal
Während die Braukunst sich weitgehend linear entwickelte, musste der Weinanbau immer wieder größere Zäsuren hinnehmen. Einerseits war da einmal die eingeschleppte Reblaus, die ganze Weingebiete schlagartig vernichtete. Und schließlich der sattsam bekannte Weinskandal 1985, bei dem das Frostschutzmittel Glykol als Süßstoff aus ordinärem Landwein plötzlich Prädikatswein (Spätlese usw.) werden ließ.
Nach diesem Rückschlag, der vor allem einen gewaltigen Imageschaden anrichtete – mit einhergehenden Umsatzeinbrüchen – versuchten Jungwinzer mit Erfolg völlig neue Wege zu gehen. Man reduzierte den Ertrag pro Hektar (früher um 10.000 Liter) radikal auf 3000 bis 5000 Liter und erzielte so einer enorme Qualitätssteigerung. Die Jungen bildeten sich international weiter und besuchten Weinakademien nach erfolgreichem Abschluss einer Weinbauschule wie etwa in Klosterneuburg bei Wien. Mit dem neuen, qualitätvolleren Wein änderten sich auch die Trinkgewohnheiten, es wurde nicht mehr in Viertel bestellt, sondern in Achtel. Selbst einfachere Gasthäuser boten neben dem früher üblichen Ausschank aus dem „Doppler“ (zwei Liter Flaschen) auch Bouteillen (0,75 Liter) an.
Schnaps plus Gratis-Blindenhund
Eine ähnliche Entwicklung nahm der Vormarsch des Hochprozentigen. Hier waren in Österreich und Deutschland eher „günstige“ Produkte wie Obstler oder Weinbrände die Standarddigestifs. Zynischer Spruch zu manchem Produkt: „Zu diesem Schnaps bekommen Sie einen Blindenhund gratis!“ In anderen Ländern, etwa Frankreich, gabWeinrebe es den Cognac als geschützte Marke längst als Kulturgut. Die Kommissar Maigret Filme machten den aus der Normandie stammenden Apfelbrand Calvados in unseren Breiten berühmt.
Um die Gunst der edleren Brandy-Herstellung buhlen Italien (nebst dem Grappa) mit der Vecchia Romagna und Spanien mit seinen schier unzählbaren Brandysorten. Wobei der Veterano von Osborne mit seinen die Landschaft beherrschenden Metallstieren (etwa 150 Quadratmeter groß) es sogar bis in die spanische Nationalflagge schaffte (inoffiziell, versteht sich).
Nur der Wodka schaffte es nicht, obwohl russisches Nationalgetränk, sein Image als reines Rauschmittel abzulegen. Dies dürfte auf die eher üppigen Trinkgewohnheiten der Russen und anderer ehemaliger Ostblockstaaten zurückzuführen sein.
Österreich schuf eine kleine aber feine Edelbrandkultur mit einem Zentrum im burgenländischen Kukmirn. Man stieg auch hier von der Massenproduktion zu feinen Gaumenfreuden um, mit entsprechendem Preis.
Männlichkeitsritual
Für den Alkoholiker / die Alkoholikerin alles absolut verbotenes Terrain, doch wie eingangs schon erwähnt, sind 85 % der erwachsenen Bevölkerung absolut in de Lage auch Trinkkultur zu entwickeln. Was bedeutet: Verkostung, Genuss bei einer Bouteille, ein Aperitif und ein Digestif und eventuell zwei Cocktails – natürlich nicht auf einmal genossen, sondern je nach Anlass. Nur weil es den Missbrauch gibt, muss der Alkohol nicht samt und sonders verteufelt werden.
Problematisch wird es, wenn jungen Leuten der Begriff der Kultur in Zusammenhang mit Alkohol gar nicht mehr vermittelt wird, folglich auch das Maßhalten in den Hintergrund gedrängt wird. Energy-Drinks gemixt mit Billig-Fusel sind beliebte Einstiegsdrogen in eine Alkoholikerlaufbahn. Während etwa bei Naturvölkern bei diversen Riten vergorener Saft (hat eine Höchstalkoholgrenze von 18 Volumsprozenten) genossen wird, und nur dann, wobei die Jungen nur kosten dürfen, gilt bei uns das „etwas vertragen“ als Männlichkeitsritual und die Mädchen holen rasant auf, wie Statistiken beweisen.
Hier läuft etwas aus dem Ruder. Leider, denn Alkohol kann sehr wohl Teil der Kultur sein – wenn er wie Kultur behandelt wird.

Fotos: Werner Schneider (1), commons.wikimedia.org / Giovanni Dall'Orto (1)