Alkohol für Soldaten im 1. Weltkrieg
Schnaps und Wein im Marschgepäck
von Harald Frohnwieser
Als am 28. Juni 1914 in Sarajevo die tödlichen Schüsse auf den österreichischen Thronfolger Franz-Ferdinand fielen, erklärte Österreichs Kaiser Franz Josef den Serben den Krieg. Doch es dauerte nicht lange, und der erste Weltkrieg der Menschheitsgeschichte war in vollem Gange. Soldaten vieler Länder, die einst siegessicher an die Front zogen, lernten schon bald den Wahnsinn des Krieges kennen, der bis 1918 dauerte und 17 Millionen Menschenleben forderte. Damit die Männer ihre Angst vergessen und sich wie betäubt auf den Feind stürzen konnten, wurde ihnen von ihren vorgesetzten Offizieren Schnaps, Rum, Wodka, Wein oder Bier mit ins Marschgepäck gegeben.
„Man kann den Krieg führen ohne Frauen, ohne Munition, sogar ohne Stellungen, aber nicht ohne Tabak und schon gar nicht ohne Alkohol“, stellte der Schriftsteller Arnold Zweig in seinem 1935 erschienen Roman „Die Erziehung von Verdun“ fest, in dem er anschaulich die Schrecken des Ersten Weltkrieges beschreibt. Das war freilich keine dichterische Freiheit, die sich der 1968 verstorbene Autor gönnte, sondern bittere Realität. Den Soldaten, egal ob Deutsche, Österreicher, Russen, Franzosen oder Briten wurde täglich eine beträchtliche Ration Alkohol mit auf dem Weg in gegeben, der für die meisten von ihnen den sicheren Tod bedeutete.
Ein britischer Offizier brachte die Rolle, die der Alkohol in diesem grausamen Krieg spielte, auf den Punkt: „Wir brauchen den Alkohol als Stärkung, wenn wir völlig abgekämpft sind.“ Mit Alkohol meinte der Mann in erster Linie Rum, den die britischen Soldaten mit aufs Schlachtfeld bekamen, während die Franzosen auch damals den Rotwein bevorzugten, die Russen natürlich mit Wodka gedopt wurden und die deutschen Soldaten Schnaps und Bier mit auf dem Weg bekamen. Soldaten aus Bayern erhielten zudem auch ihr Lieblingsgetränk, das Bier. Die Österreicher in Uniform hatten neben Branntwein auch täglich einen halben Liter Wein mit im Marschgepäck.
„Unsere Kehlen brannten von dem vielen Branntwein“, schrieb der österreichische Soldat Fritz Weber (1895 bis 1972) in seinen Erinnerungen, „aber der Dusel kommt nicht. Zu viel Todesangst ist in uns, das verscheucht die Betäubung.“
„Der schönste Moment des Tages“
Alkohol als eines von ganz oben angeordnetes Hilfsmittel, das zur Betäubung führen soll, und zwar ganz bewusst. Während in Friedenszeiten Soldaten streng bestraft werden, wenn sie während ihres Dienstes Alkohol trinken, gehen im Krieg die Uhren anders: Die Krieger müssen bei Laune gehalten werden damit sie ihre Angst bewältigen. Oder ihre Hemmungen abbauen, den Feind abzuschlachten. Der deutsche Historiker Guido Knopp beschreibt in seinem im Jänner 2014 erschienen Buch „Der Erste Weltkrieg: Bilanz in Bildern“ (Verlag Edel Germany) auf mehreren Seiten eindrucksvoll, warum den Soldaten täglich Alkohol verabreicht wurde. So zitiert er einen jungen Deutschen, der 1916 in der Schlacht von Verdun kämpfte, mit den Worten: „Es ist wohl möglich, das man nachher umso mehr zusammenklappt, aber eine halbe Stunde frohe, heitere Laune ist in einer solchen Lage dem Soldaten das halbe Himmelreich.“ Und ein Brite hielt fest, dass es „der schönste Moment des Tages“ sei, wenn er seine Portion Alkohol intus hatte.
Ein schöner, kurzer Moment, der den Wahnsinn des Schlachtfeldes vergessen ließ. Aber nicht nur wegen der guten Laune wurde der Alkohol verabreicht, er sollte die Soldaten auch dazu veranlassen, ihre Deckung in den Schützengräben zu verlassen und in Richtung Feind in den meist sicheren Tod zu stürmen. Vor einem Großangriff an der Somme – ein Fluss im Norden Frankreichs – wurden britischen Soldaten derart viel Rum ausgeschenkt, dass viele von ihnen aufs Schlachtfeld nur noch wanken konnten. Die Wirkung des Alkohols war auch deshalb so verheerend, weil Soldaten aus Angst vor einem Bauchschuss oder anderen Unterleibsverwundungen vor einem Angriff kaum Nahrung zu sich nahmen. Alkohol auf leerem Magen wirkt naturgemäß heftiger als wenn man sich vor dem Trinken satt gegessen hat.
Alkoholismus schwächte die Truppen
Der tägliche Alkoholgenuss der Soldaten sollte nicht ohne Folgen bleiben. Viele der Männer entwickelten eine ernste Abhängigkeit, die für ihre Truppe ziemlich gefährlich war. Alkoholexzesse untergruben zunehmenden die Moral der Gruppe. Oder führten zu haarsträubenden Aktionen, die wahrlich kein Ruhmesblatt auf die Soldaten warfen. So ist in den Akten des Standschützen-Bataillons Innsbruck ein ganz besonderer Vorfall für die Nachwelt festgehalten. „Standschütze Kreidl hat sich als Lenker eines Proviantfuhrwerkes aus dem zu transportierenden Rumvorrat derart besoffen, dass er besinnungslos in den Straßengraben fiel und das Fuhrwerk allein an die Abladestelle kam. Nur dem Umstande, dass der Instinkt der Pferde größer war als der Verstand des Mannes, ist zuzuschreiben, dass weder dem Staate noch der zu verpflegenden Mannschaft ein bedeutender Schaden erwachsen ist“, heißt es in dem Papier. Übrigens: Der Vorgesetzte des betrunkenen Standschützen sah von einer Anzeige ab, zur Strafe wurde er aber an drei aufeinanderfolgenden Tagen gefesselt.
Auch die Briten blieben vom zunehmenden Alkoholismus ihrer Soldaten nicht verschont. So gab es Einheiten, die kaum mehr in der Lage waren, auf Leitern zu steigen, die aufs offene Schlachtfeld führten, weil sie dazu viel zu betrunken waren. Andererseits jedoch musste ein schottischer Sanitätsoffizier zugeben, dass „wir den Krieg ohne die tägliche Rumration kaum gewonnen hätten“.
„Dieser Krieg zerriss alles – die Körper, die Sinne, die Moral“, schreibt Guido Knopp in seinem Resümee.
Aber tut das nicht jeder Krieg? Egal, wann und wo er stattfindet?