Verkehrspsychologe Dr. Gregor Bartl über verkehrspsychologische Nachschulungen:
„Betrunken Auto fahren ist kein Kavaliersdelikt mehr!“
von Harald Frohnwieser
Auto fahren ist erlaubt, Alkohol trinken ebenso. Doch beides zusammen kann gefährlich werden. Wer betrunken am Steuer erwischt wird, muss nicht nur damit rechnen, den rosa Schein für einige Zeit los zu werden, er wird auch in eine verkehrspsychologische Nachschulung geschickt. Mit dem Ziel, dass wieder ein verantwortungsbewusster Verkehrsteilnehmer aus ihm oder ihr wird. Der Verkehrspsychologe Dr. Gregor Bartl, der in seinem Institut „Alles Führerschein“ in Wien solche Nachschulungen durchführt, erzählt im „Alk-Info“-Interview über die Herausforderungen, den Kursteilnehmern Strategien anzubieten, damit sie sich in Zukunft nicht mehr alkoholisiert hinter das Lenkrad setzen.
„Alk-Info“: Warum muss jemand eine verkehrspsychologische Nachschulung absolvieren?
Dr. Gregor Bartl: Wie das Unfallrisiko in Bezug auf den Alkohol ausschaut ist ganz genau untersucht worden. Klar ist, je mehr Promille Alkohol jemand im Blut hat, desto größer ist das Unfallrisiko. Deshalb gilt bei den Fahranfängern für die ersten zwei Jahre die 0,1-Promille-Grenze. Wird er mit einem Wert, der darüber liegt, erwischt, wird er schon zu einer Nachschulung geschickt. Für alle anderen gilt die 0,5-Promille-Grenze, ab da wird gestraft. Das hat auch einen Sinn, weil das Unfallrisiko ab 0,6 Promille doppelt so hoch ist wie wenn man nüchtern Auto fährt, ab 0,8 ist es vier bis fünf Mal so hoch, dann steigt das Risiko überproportional an, bei 1,5 ist das Risiko, einen Unfall zu verursachen, schon 30 Mal so hoch. Wer mit einem Wert von mehr als 1,2 Promille erwischt wird, muss zu einer Nachschulung.
Ist dann auch der Führerschein weg?
Wenn jemand zum ersten Mal mit 0,8 bis 1,2 Promille erwischt wird und keinen Unfall verursacht hat, ist er den Schein für einen Monat los, bei 1,2 bis 1,6 Promille dauert der Führerscheinentzug vier Monate, ab 1,6 Promille ein halbes Jahr.
Ist das ausreichend?
Die Dauer des Führerscheinentzuges ist im Jahr 2009 massiv verlängert worden und ist jetzt ausreichend. Denn das Ziel ist, den Alko-Lenker wieder zu reintegrieren, der Entzug ist keine Strafe, sondern als eine Sicherungsmaßnahme und Abkühlungsphase gedacht. Die Nachschulung ist dazu da, damit der oder die VerkehrsteilnehmerIn die Verantwortung im Straßenverkehr wieder mitträgt. Die Geldstrafe, zu der er oder sie verurteilt wird, ist sozusagen die Rache für das Delikt, das begangen wurde.
Wer verfügt darüber, dass jemand zu einer Nachschulung muss?
Das ist im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens gesetzlich geregelt, damit keiner sagen kann, dass das nur ihn betrifft. Es gibt kein Gerichtsverfahren, außer bei einem Personenschaden.
Was erwartet die Teilnehmer, die zu Ihnen geschickt werden?
Der Begriff Nachschulung ist im Grunde genommen irreführend. Es wird nichts oder wenn, dann nur sehr wenig geschult. Man kann sich das wie eine offene Diskussion vorstellen, wo die Teilnehmer von speziell geschulten VerkehrspsychologInnen motiviert werden über sich selbst nachzudenken. Das Problem, was sie haben, ist ja nicht, dass sie es nicht gewusst haben, dass alkoholisiert Autofahren verboten ist. Denn betrunken zu fahren ist längst kein Kavaliersdelikt mehr. Die Menschen wissen, dass sie einen Fehler gemacht haben, den sie schon am nächsten Tag bereuen. Wir müssen also nicht am Wissen, sondern am Wollen arbeiten. Diese Hilfestellung, die wir bieten, ist eine hochqualifizierte Tätigkeit, für die man eine gute Ausbildung braucht. Wir brauchen die Menschen nicht belehren, sondern wir begleiten sie, damit sie drauf kommen, was da los war und damit sie für die Zukunft persönliche Strategien entwickeln, die in ihr Leben passen.
Bieten Ihre PsychologInnen Strategien an?
Wir erarbeiten sie gemeinsam mit den Kursteilnehmern. Weil jede Lösung, die jemand für sich entdeckt stabiler ist, als wenn sie ein anderer empfiehlt. Natürlich haben wir eine gewisse Tool-Box voll von Strategien und natürlich haben wir aufgrund unserer Erfahrung ein Wissen darüber, bei wem welche Strategie wirkt und welche nicht. Unser Wissen dient uns dazu, damit wir erkennen, was jeder Einzelne braucht. Wir sagen den Teilnehmern auch immer, dass sie lügen dürfen, weil damit nehmen wir ihnen den Wind aus den Segeln. Uns geht es nicht darum, dass jemand vor uns eine Beichte ablegt, es geht nur darum, dass jemand für sich die richtige Lösung findet. In den Nachschulungen gibt es nichts zu verlieren, man kann nur gewinnen.
Vorträge gibt es keine?
Nein, es gibt Gespräche und Diskussionen innerhalb der Gruppe. Wir wollen, dass die Leute miteinander diskutieren, weil dies ein Wirkfaktor ist. Die Gruppendynamik bringt die Menschen dazu, sich zu öffnen. Wenn ich anderen zuhöre, dann habe ich auch das Bedürfnis, etwas über mich zu erzählen. Wenn jemand offen über sich spricht, kann er andere animieren, es ihm gleich zu tun. Es gibt auch kein Lernziel und es gibt keine Prüfung. Es geht um den Prozess ohne Stress, ohne Druck. Der Nachschulungskurs ist ein Wegstück im Leben eines Menschen. Er oder sie ist vorher seinen/ihren Weg gegangen und er/sie wird nachher einen Weg gehen, in den Nachschulungen gibt es eine Begleitung. Die Teilnehmer werden nicht als Heilige aus den Schulungen herauskommen, sie werden weiter an sich arbeiten müssen. Die Frage ist, wieso ein Mensch zu einem Alko-Lenker wird. Antwort: Weil etwas mit ihm nicht in Ordnung ist. Wir helfen ihm dabei, das wieder in Ordnung zu bringen.
Wie viele Teilnehmer gibt es pro Kurs?
Der Gesetzgeber schreibt sechs bis elf Personen vor.
Wie lange dauert ein Kurs? Und: Kann man jederzeit einsteigen?
Ein Kurs dauert vier Wochen lang, wobei pro Woche ein Kurs stattfindet. Man muss innerhalb eines Kurses bleiben, man kann die Kurssitzungen nicht wechseln. Daraus ergibt sich, dass nicht jeden Tag ein Kurs anfängt, sondern etwa zwei bis drei Mal im Monat. Man hat auch Zeit mit der Nachschulung, man kann es sich einteilen. Ein Tipp von mir aber ist, dass man sich rechtzeitig um einen Termin bemüht, damit man danach keinen Stress hat. Wenn man sich erst drei Wochen, bevor man den Führerschein wieder zurück bekommt, um einen Termin bemüht, wird sich das nicht ausgehen. Weil man den Schein erst dann bekommt, wenn man die Nachschulung absolviert hat.
Sie haben vorhin gesagt, dass sich die Menschen im Kurs öffnen sollen. Kann das jemand, der nicht gewohnt ist, über sich zu sprechen, in nur vier Abenden lernen?
Das geht nicht immer, weil jeder Mensch unterschiedlich ist. Natürlich sind viele am Anfang verschlossen, aber nicht wenige sagen, dass sie die Nachschulung positiv erlebt haben, weil sie über ganz persönliche Sachen reden konnten. So etwas ist immer gut, weil da sehr viele Dinge bewusst werden, die bisher im Verborgenen lagen. Und alles, was mir bewusst ist, kann ich steuern, was mir nicht bewusst ist, steuert mich.
Gibt es auch Einzelgespräche?
Die gibt es in begründeten Ausnahmefällen. Wenn zum Beispiel jemand nicht fähig ist, mit einer Gruppe zurecht zu kommen oder wenn Deutsch nicht verstanden wird. Bei Letzterem haben wir eine(n) DolmetscherIn, der/die auch mitgebracht werden kann. Das funktioniert gar nicht so schlecht.
Wie geht ein Kursteilnehmer, der einen Menschen verletzt oder gar getötet hat, innerhalb der Gruppe damit um?
Zunächst einmal: Wir haben Menschen, die „nur“ betrunken am Steuer erwischt wurden, aber keinen Personenschaden verursacht haben, und wir haben Menschen, die andere schwer verletzt oder getötet haben. Da arbeiten wir den Unterschied heraus. Der, der jemanden verletzt hat und jetzt gebückt in der Gruppe sitzt ist nicht schlechter als jemand, der das nicht hat, denn der hat nur Glück gehabt, dass nicht mehr passiert ist. Es gibt natürlich Menschen, die seelisch so verwahrlost sind, dass sie gar nicht begreifen, dass sie einem anderen Menschen schwer geschadet oder getötet haben. Denen fehlt die Fähigkeit, sich in andere hinein zu versetzen. Solche Menschen sind für uns eine große Herausforderung.
Kann man in nur vier Abenden erreichen, dass solche Menschen begreifen, was sie getan haben?
Jein. Manche Menschen können wir besser, manche weniger gut erreichen. Wir Verkehrspsychologen fordern daher vom Gesetzgeber, dass wir bei Personen, die schwere Anpassungsstörungen haben, längerfristige Maßnahmen haben. Das wird aber von der Politik nicht gewollt, da fehlt das Feingefühl. In anderen Ländern gibt es das schon.
Gibt es mehr Männer oder mehr Frauen in den Gruppen?
80 Prozent sind Männer, aber die Frauen holen leicht auf. In unserer Arbeit machen wir da aber keine Unterschiede. Bei den jungen Autofahrern hingegen schon, weil die zum Alkohol einen anderen Zugang haben als die älteren Fahrer. Die Jungen trinken, weil sie Spaß haben, die Älteren, weil sie ihre sozialen Kontakte festigen wollen.
Wie gehen Sie damit um, wenn einer der Kursteilnehmer alkoholkrank ist?
Wir haben einen scharfen Blick darauf, ob jemand an Alkoholismus erkrankt ist. Wir bieten dann eine Hilfestellung an, aber ob die dann auch angenommen wird, wissen wir oft nicht. Wir geben aber die Empfehlung ab, dass jemand, der alkoholkrank ist, ganz auf den Alkohol verzichtet. Unser Endziel ist, dass jeder weiß, wo er im Bezug auf den Alkohol steht. Habe ich noch die Kontrolle darüber oder habe ich sie schon verloren? Wir in Mitteleuropa haben aber eher das Problem der trinkenden Fahrer, in Süd- und Nordeuropa gibt es hingegen mehr fahrende Trinker.
Warum gibt es so viele trinkende Fahrer?
Das werde ich oft gefragt. Das liegt wohl daran, dass sowohl das Auto fahren als auch der Alkohol einen hohen Stellenwert in unserer Gesellschaft haben. Beides ist erlaubt, aber wenn man gleichzeitig beides praktiziert kann es gefährlich werden und ist ab einer bestimmten Promille-Grenze auch verboten.
Muss man nüchtern zur Nachschulung kommen?
Ja, das muss man. Und das wird auch mit Hilfe eines Alkomaten überprüft. Hat man Alkohol getrunken, muss man einen neuen Kurs, der immerhin 495 Euro kostet, absolvieren, und zwar ganz von vorne. Da kann man schon erkennen, ob jemand alkoholkrank ist, wenn er diese Auflage nicht einhalten kann.
Gibt es Erfahrungen darüber, wie sich die Nachschulungen auf die Teilnehmer auswirken?
Die Nachschulungen reduzieren das Rückfallrisiko um 50 Prozent gegenüber einer Kontrollgruppe ohne Schulungen. Das ist ein großer Erfolg. In Österreich gibt es sie seit den 1970er Jahren. Die Nachschulungen gibt es in immer mehr Ländern, weil man erkannt hat, dass sie Potential haben.
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Fotos & Grafiken: Thomas Frohnwieser (7)
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